Bayern

Münchens Großgärtner

Vor fast 230 Jahren hat Friedrich Ludwig von Sckell den Englischen Garten entworfen. In einem der ersten Volksparks sollten sich alle Altersgruppen und sozialen Schichten wohlfühlen. Wie viel ist von dieser Vision heute noch übrig?


1790, kurz nachdem der Park eröffnet worden ist, zeigt dieser Stich den Apollotempel.

1790, kurz nachdem der Park eröffnet worden ist, zeigt dieser Stich den Apollotempel.

Von Helena Ott

Es ist ein zaghaftes Erwachen. Ganz vorne an den Zweigen der Sträucher am Wegrand spitzen grüne Knospen. Die Gesichter wenden sich wie Blütenköpfe alle in eine Richtung, Richtung Sonne. Am Ufer vom Eisbach nehmen Krähen ein Bad, schütteln und putzen sich. Auf Fahrrädern, E-Scootern, zu Fuß oder auf Pfoten, der Englische Garten ist an diesem Mittwochvormittag in Bewegung. Die ersten sind nur noch im Pullover unterwegs und drei Sonnenbader liegen in knapper Bademontur auf den mitgebrachten Liegen.

Seinem Erbauer Friedrich Ludwig von Sckell würde das bunte Treiben an diesem Aschermittwoch wohl gefallen. Am morgigen Freitag ist der 200. Todestag des Garten-Planers. Sein Ziel war es, mit dem Englischen Garten einen Ort zu schaffen, an dem sich alle Altersgruppen und sozialen Schichten gleichermaßen wohlfühlen.

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1905: Auch für Tierfreunde hat der Englische Garten schon immer etwas geboten. Hier ein Reiter.

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Friedrich Ludwig von Sckell hat den Englischen Garten geplant.

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1908: Ein Bild aus der Winterzeit, wie man es heute kaum noch kennt. Menschen beim Eislaufen auf dem Kleinhesseloher See.

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Ist er nicht eine Schau? Der Englische Garten von oben gesehen und in besonderem Licht.

In dem vor fast 230 Jahren angelegten Landschaftspark sollte ein jeder Zerstreuung und Erholung von Beruf und Alltag finden. Im Sommer sind gerade die Wiesen zwischen Surferwelle und dem Säulenrondell auf dem Hügel, dem Monopteros, brechend voll. Wenig andere Parks bieten mitten in der Stadt so eine Vielfalt an Aktivitäten: Im Eisbach abkühlen, Volleyball oder Federball spielen, Picknick machen, Joggen, Fahrradfahren, Tretbootfahren oder die Aussicht auf die Frauentürme genießen.

Angenommen wird der Park auch über 200 Jahre nach seiner Gestaltung. Aber welchen sozialen und ökologischen Wert hat das für die Stadt?

Mit einer Fläche von 376 Hektar, und damit etwa 520 Fußballfeldern, gehört der Englische Garten zu den größten innerstädtischen Parkanlagen der Welt; größer als der Central Park in New York und der Hyde Park in London. Wer am Eingang zwischen US-Botschaft und Haus der Kunst startet, kann fünf Kilometer weit in Richtung Norden laufen und kommt wahlweise in Freimann oder Unterföhring ganz im Norden der Stadt heraus.

Was natürlich und zufällig wirken soll, wurde genauestens geplant und inszeniert, die Wegeführung, die Sichtachsen auf die Stadt und das Verhältnis von Freiflächen zu Baumgruppen und Sträuchern. Heute pflegen etwa 60 festangestellte Mitarbeiter den Englischen Garten, überwiegend als Gärtner, Gartenhelfer, aber auch Kraftfahrer, heißt es von der Bayerischen Schlösserverwaltung.

Je näher man sich im Park am Stadtkern bewegt, desto breiter die Wege, desto höher die Dichte von Bänken und desto mehr Brückchen über Eisbach und Schwabinger Bach. Hat man allerdings den Kleinhesseloher See umrundet und hat die steile Brücke über die fünf Spuren des Mittleren Rings genommen, landet man im wilderen Norden. Menschliche Geräusche werden leiser und vereinzelter und man hört die frischen Stimmen von Amsel, Fink und den Specht rhythmisch klopfen.

"Der Englische Garten funktioniert für seine Nutzer zunächst einmal wegen der ordentlichen Größe", sagt der Landschaftsarchitekt Klaus Neuman, der mit seinem Planungsbüro mehrere aktuelle Grünanlagen entworfen hat. "Es gibt eine gute Mischung aus großen vielfältig nutzbaren Freiflächen mit Übersicht und auch Bereiche, wo man sich zurückziehen kann."

Allerdings müsse man immer im Hinterkopf behalten, dass der Englische Garten erst seit den 1970er Jahren ist, "wie wir ihn heute kennen". Vorher durften Spaziergängerinnen und Spaziergänger die Wege nicht verlassen und die Wiesen nicht betreten. "Die Leute haben sich die Flächen angeeignet und vom Rasen Besitz ergriffen", sagt Neumann. Heute profitierten die Besucher von dem über 200 Jahre alten Baumbestand. Von solchen Gehölzen könnten heutige Landschaftsarchitekten, die auf der freien Fläche Grünanlagen oder Parks entwerfen nur träumen.

Trotz seiner riesigen Fläche erfährt der Englischen Garten den meisten Auflauf um den Eisbachlauf auf Höhe zwischen Odeonsplatz und Universität. Bei den milden Temperaturen und der Sonne sprenkeln sie wieder den Uferrand. Mit ihren beiden Freundinnen sitzt Bianca Schuster (18) im noch etwas feuchten Gras vor dem Eisbach. Sie sind zum Lesen und Quatschen hergekommen, die aufgeschlagenen Bücher auf den Knien. "Ich finde schon, dass es gelingt, hier Alt und Jung und verschiedene Schichten zusammen zu bringen", sagt die Zwölftklässlerin.

Sie würde sich jetzt nicht zu einer reichen Familie zählen, aber man sähe eben zwischendurch auch immer mal wieder Leute in schicken Mänteln. "Ich würde aber sagen, da ist alles dabei", sagt Schuster und ihre beiden Freundinnen nicken. Die drei kommen etwa einmal in der Woche nach der Schule hierher.

Am gegenüberliegenden Ufer hat eine Gruppe von zwölf Jungs die milchkartongroße Musikbox auf volle Lautstärke gedreht. Und beschallen damit circa einen Radius von 100 Metern. Natascha Gronowski (27) und ihren Freund stört das nicht. "Ehrlich gesagt finde ich es gut, dass hier alles nicht so reglementiert ist, wie es ja sonst in der Stadt oft ist", sagt sie. Laute Musik und etwas Gegröle gehöre eben in dem Alter dazu. "Die brauchen auch ihren Raum dafür", sagt die Touristin aus Oberhausen im Ruhrgebiet.

Ein paar Meter weiter sitzt Cornelia Schinkler mit ihren beiden Kindern, sieben und zehn Jahre am Ufer. Sie sind aus Landshut einen Tag in München und fühlen sich wohl. "Ich war überrascht, dass es direkt in der Stadt so entspannt ist", sagt Schinkler. Für einen schönen Park findet ihre Tochter vor allem eines wichtig: "Für mich muss immer Natur mitspielen, ohne ist es nicht so gemütlich", sagt Filippa.

Im Englischen Garten ist davon genug zu finden. Aber es ist nicht mehr wie vor 230 Jahren als in München noch keine 50 000 Menschen gewohnt haben. Der Park wird jetzt viel stärker bevölkert. "Aber an den Menschen allein, daran können sich die Tiere gewöhnen", sagt Martin Hänsel vom Bund Naturschutz München. Dagegen schreckten vor allem Hunde, die nicht angeleint sind immer wieder Bodenbrüter und kleine Säuger auf. Der Mensch könne immer so viel Naturerfahrung machen, wie er dieser Raum lässt.