Bayern

Halbzeit für Grün-Rot in München: Die Bilanz beim Wohnbau

Die Versprechen von Grün-Rot waren groß: 4.000 geförderte Wohnungen im Jahr, mehr Wohnraum für Azubis und Mitarbeiter. Was wurde umgesetzt?


Sieht fast ländlich aus: 2021 hat die städtische Gewofag hier an der Erwin-Schleich-Straße in Allach 51 Wohnungen in Holzhybridweise gebaut.

Sieht fast ländlich aus: 2021 hat die städtische Gewofag hier an der Erwin-Schleich-Straße in Allach 51 Wohnungen in Holzhybridweise gebaut.

Von Christian Hertel

Wir wollen eine "Stadt für alle" - heißt es im Koalitionsvertrag von Grünen und SPD im Kapitel zum Wohnungsbau. Es ist gleich das erste nach dem Vorwort. Dort betonen die beiden Fraktionen, dass sie die Probleme auf dem Wohnungsmarkt alleine nicht lösen können - ohne Gesetzesänderungen von Bund und Freistaat.

Einige konkrete Ziele haben sich Grüne und SPD trotzdem gesetzt. Was wurde umgesetzt? Und was wurde versprochen, aber vergessen?

Ein Überblick.

So steht es im Koalitionsvertrag: "Wir vereinbaren: Eine schrittweise Steigerung auf jährlich 4000 geförderte und preisgedämpfte Wohneinheiten. Die Errichtung von 2000 anstatt wie bisher 1250 Wohneinheiten durch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften schrittweise."
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Immobilienexperte Stephan Kippes.

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Moritz Burgkardt kämpft für Mieterschutz.

Von diesem Zielen ist München meilenweit entfernt: Zwischen 2020 und 2022 wurden in München zirka 5.100 geförderte und preisgedämpfte Wohnungen "auf den Weg gebracht", wie es aus dem Planungsreferat heißt. Fertig sind also längst noch nicht alle. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften erfüllen zumindest die Minimalanforderung: Sie konnten 2022 insgesamt 1.252 Wohneinheiten fertigstellen.

"Durch die Gründung eines neuen ,Wohnwerks' wollen wir bezahlbares Wohnen für Auszubildende und berufliche Fachschüler*innen schaffen."
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Umgesetzt! Im Mai 2022 hat der Stadtrat das "Azubiwerk" gegründet. Auch die ersten Projekte werden fertig: Noch bis 25. März können sich Azubis auf rund 70 Appartements in Neuperlach bewerben. Die Warm-Miete liegt bei 330 Euro. Weitere Projekte in Freiham und in Trudering sind in Planung.

"Die ,Münchner Sozialgerechte Bodennutzung' wird weiterentwickelt. Unser Ziel ist dabei, dass die Stadt 50 Prozent der Flächen übertragen bekommt, um sie dauerhaft im Sinne einer sozialen Quartiersentwicklung zu sichern."
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Umgesetzt - aber anders. Kurz zum Hintergrund: Die Sozialgerechte Bodennutzung (Sobon) soll bezahlbaren Wohnraum in München sichern. Sie legt fest, dass sich Bauträger an den Lasten beteiligen müssen, die ihre Planungen auslösen. Denn Neubaugebiete brauchen schließlich Kitas, Schulen, Straßen und Grünflächen. Im Juli 2021 hat der Stadtrat eine Reform der Sobon beschlossen. Jetzt gilt ein Baukastenmodell, bei dem Investoren in verschiedenen Kategorien mindestens 100 Punkte erreichen müssen. Das Grundmodell sieht vor, dass auf privaten Flächen vom neu geschaffenen Wohnbaurecht 60 Prozent im geförderten und preisgebundenen Segment, 20 Prozent frei finanzierter Mietwohnungsbau und nur noch 20 Prozent frei finanzierte Eigentumswohnungen entstehen dürfen.

Die Bindungsdauer für den geförderten, preisgedämpften sowie frei finanzierten Mietwohnungsbau beträgt künftig immer 40 Jahre. Theoretisch könnte ein Investor aber auch 50 Prozent Eigentumswohnungen bauen, dann müsste er 50 Prozent der Fläche an die Stadt München verkaufen - und zwar zu vorab festgelegten vergünstigten Preisen. Das 50-Prozent-Ziel aus dem Koalitionsvertrag ist also nur als Option erhalten geblieben.

"Unser Ziel ist es, die Schaffung von Werkswohnungen oder die Förderung von Genossenschaften zur Bedingung bei der Ansiedlung neuer Betriebe zu machen."
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Noch in der Umsetzung. Im Winter 2022 hat der Stadtrat das Planungsreferat mit der Prüfung beauftragt. Das Ganze ist - so stellt es das Planungsreferat dar - rechtlich komplex. Ergebnisse will das Referat heuer dem Stadtrat vorlegen.

"Die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) ist ein unverzichtbares Instrument der Stadtplanung, welches wir im Nordosten und Norden der Stadt nutzen wollen".i

Es geht voran: Für den Münchner Nordosten hat der Stadtrat 2022 eine Weichenstellung beschlossen: Der erste Preisträger des Wettbewerbs dient als Grundlage für die weitere Planung. Diese sieht Wohnraum für bis zu 30.000 Einwohner und 10.000 Arbeitsplätze vor. Als Nächstes wird der Siegerentwurf auf seine Umsetzbarkeit hin überprüft, etwa, was den Verkehr, aber auch die Folgen für das Klima und die Landschaft betreffen. Gleichzeitig bereitet die Stadt konkrete Grundstücksverhandlungen vor. 2023 wird es Beteiligungs- und Dialogangebote für die Eigentümer und die Öffentlichkeit geben.

Für das Neubaugebiet im Münchner Norden soll eine Ideenwerkstatt, an der Fachleute und die Öffentlichkeit teilnehmen sollen, im Herbst 2024 starten. Außerdem führt die Stadt Gutachten etwa zu Grundwasser, Mobilität und Klima durch.

"Neue Liegenschaftspolitik: Kommunaler Grundstücksfonds (,Wir kaufen uns die Stadt zurück') zur Ausweitung des städtischen Grundstücks- und Immobilienbestands."
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Es ist offenbar komplizierter als gedacht. Die Kämmerei hat sich bereits mit Rechtsfragen beschäftigt. Problematisch sind nicht nur die Finanzierungsmodelle. Auch die sehr entscheidende Frage, wie die Stadt überhaupt an geeignete Grundstücke kommen soll, ist offen.

"Die jährliche Sanierungsquote wollen wir von einem auf zwei bis drei Prozent steigern, im Bestand der Stadt und der städtischen Wohnungsbaugesellschaften legen wir ein Ziel von drei Prozent fest."
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Wie die Sanierung der Gebäude vorangeht, kann das Planungsreferat nicht beantworten. Es hat erst einmal ein Gutachten beauftragt.

"Wir vereinbaren: Konsequente Ausübung der Vorkaufsrechte."
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Bis ein Gericht das Vorkaufsrecht für Kommunen kippte, gab die Stadt dafür immer mehr Geld aus. 2021 kaufte sie elf Immobilien für rund 89 Millionen Euro. Allerdings kaufte die Stadt längst nicht immer.

Diese Bilanz zieht der Aktivist: "Es müsste mehr passieren"

Mit dem Ziel, den "turbokapitalistischen Machenschaften von Spekulanten, Miethaien und Lobbyverbänden einen Knüppel in die Beine zu werfen", hat sich vor ein paar Jahren die Bürgerinitiative "Ausspekuliert" gegründet. Wie schneidet die Stadt in den Augen der Aktivsten bei der Wohnungspolitik ab? "Meine Einschätzung ist, dass sich die Stadt bemüht, aber dass sie oft von der Landes- oder Bundespolitik blockiert wird", sagt Moritz Burgkardt von Ausspekuliert. Zum Beispiel müsste die Bundesregierung Gesetze ändern, damit Kommunen wie München wieder durch ein Vorkaufsrecht Immobilien kaufen können, bevor sie an Investoren gehen. "Ich habe das Gefühl, die Stadt kauft trotzdem immer noch, wenn möglich. Das finde ich bewundernswert. Denn klar ist das teuer", sagt Burkhardt. Allerdings glaubt er, dass das auch daran liegt, weil der Druck der Linken im Stadtrat so groß ist. Aus seiner Sicht müsste die Stadt das Thema Leerstand entschiedener anpacken. Denn auch in München stehen Tausende Wohnungen leer. Zum Beispiel sind derzeit 1250 Appartments in der Studentenstadt unbewohnt. Zuständig ist der Freistaat, das weiß auch Burgkardt. Allerdings: "Die Stadt müsste viel mehr darauf drängen, dass hier etwas passiert." Auch selbst könnte die Stadt noch mehr bauen, findet der Aktivist. Wünschen würde er sich von der Stadt, dass sie mehr Druck auf die Stadtwerke ausübt, die Energiepreise zu senken. Denn tatsächlich sind sie in vielen Städten niedriger. In einem Zeugnis würde Burgkardt der Stadt für ihre Wohnungpolitik wohl eine drei geben, sagt er.

Das sagt der Immobilienexperte: "Es müsste viel mehr gebaut werden"

Müsste er eine Note für die Wohnungspolitik vergeben, läge die Stadt sicher nicht im obersten Bereich, sagt Stephan Kippes. Er ist für die Öffentlichkeitsarbeit des Immobilienverbands Deutschland (IVD) im Süden der Republik, also auch in München, zuständig.Größtes Problem sei, dass viel zu wenig Wohnungen gebaut werden. Ziel der Stadt ist, dass bis 2028 jährlich 8500 neue Wohnungen entstehen. "Dies ist die absolute Unterkante dessen, was nötig wäre", sagt Kippes. Es wären sogar einige Jahre mit fünfstelligen Neubau-Zahlen notwendig, um die Marktsituation wenigstens etwas zu entspannen, schätzt er. Tatsächlich gebaut wurden 2021 aber nur 6820 Wohnungen. 2022 wurden nur 6700 neue Wohnung genehmigt. Wie viele davon fertig wurden, ist noch nicht bekannt.Einen Grund, warum zu wenig gebaut wird, sieht Kippes in den neuen, schärferen Regeln, die der Stadtrat für die "Sozialgerechte Bodennutzung" (Sobon) erlassen hat.Dass Bauträger dadurch mehr günstigen Wohnraum schaffen müssen, werde für sie zum Problem, sagt Kippes. Denn nicht nur die Grundstücke seien teuer, sondern auch die Handwerkerkosten explodieren und günstige Zinsen gebe auch keiner mehr. "Früher haben sich Investoren um Grundstücke in München gebalgt", meint Kippes. Das sei inzwischen ganz anders.Außerdem beobachtet Kippes, dass Verkäufer Wohnungen in München nicht mehr zu jedem Preis loswerden. Doch für ihn ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht. Denn das heiße, dass mehr Menschen um Mietwohnungen konkurrieren.