Bayern
Ein Kiosk, in dem man Zuhören bekommt
21. April 2023, 17:47 Uhr
München - Es wird nervös gehupt in der Prälat-Zistl-Straße, am Freitag, gegen 13 Uhr. Denn ein großes kleines Häuschen auf einem Tieflader-Anhänger steht dort, der Zuhörraum vom Verein "Momo hört zu". Und es blockiert den Verkehr. Ziemlich viel los am ersten sonnigen Tag rund um den Viktualienmarkt, nach den langen quälenden Kältetagen.
Ein älteres Paar überholt ungeduldig die Kolonne. Das sorgt für Extra-Stau zwischen Schrannenhalle und Hochbunker. Vor dem Zuhörraum bremsen sie abrupt. Hier stoppt sie Michael Spitzenberger (55) von "Momo hört zu", mit einem Handzeichen. Spitzenberger ist ein Tausendsassa, der schon viele Berufe hatte, vom Fischvertriebler bis zum Handwerker und Hotelkaufmann. Er gilt als einer der Initiatoren des grünen Kummerkastens.
Acht Leute schieben den Anhänger samt Zuhörraum auf den Platz zwischen Hochbunker und Schranne. Schaulustige machen Fotos. "Ist das ein Tinyhouse?", fragen zwei Seniorinnen. Spitzenberger erklärt, dass es ein Raum für Menschen mit Redebedarf ist, egal ob alt oder jung, reich oder arm.
Nach etwa 30 Minuten steht das hellgrüne Häuschen endlich, heruntergehoben von einem Tieflader. Etwa sieben Quadratmeter groß, mit einer halbrunden Sitzbank innen. 14.30 Uhr ist es, als ein TU-Student die Tür aufschließt. Er ist einer von sechs bis acht Männern und Frauen, die das hellgrüne Häuschen in sechs Wochen zusammenbauten, alle aus dem Studium "Architektur für Entwerfen und Konstruieren".
Drei Monate lang wird dieses Häuschen hier nun stehen, ein Modellexperiment, gefördert von der Stadt und privaten Spendern. Drei Zuhörer wollen Montag bis Freitag von 12 bis 18 Uhr Münchnerinnen und Münchnern spontan und unverbindlich zur Verfügung stehen, ganz diskret. Hier können sich die Leute über ihre Sorgen unterhalten, mit Michael Spitzenberger, seiner Frau Sonja oder Patrick Vieler (siehe Foto).
Modell gestanden hat dafür ein Vorbild aus Hamburg. Dort gibt es einen Zuhör-Kiosk, direkt an einem U-Bahn-Zugang. "Wir wollten den Zuhörraum aber so öffentlich wie möglich aufstellen", sagt Spitzenberger - ein großer Fan von Michael Ende und der Figur Momo aus dem gleichnamigen Film von 1986. Seine Katze heiße Momo, sein Sohn auch.
Seit 2020 plant Spitzenberger dieses Häuschen. Warum? "Seit der Pandemie sind die Menschen noch mehr vereinsamt", erklärt Spitzenberger. Er hat sich mit dem Hamburger Zuhör-Kiosk-Erfinder Christoph Busch kurzgeschlossen. "Bis zu sechs Personen kommen dort täglich", weiß Spitzenberger. Und da müsse man schon mit einer Stunde pro Person rechnen.
Und klar sei, "wenn jemand ein Anliegen hat, das polizeirelevant oder ein Fall für die Beihilfe eines Psychologen ist, leiten wir die Leute natürlich weiter", erklärt Spitzenberger - kein Psychologe, sondern "ein guter Zuhörer bin ich, wie Momo", sagt er, am besten bei einem guten Kaffee. Den wird es im Kiosk umsonst geben.
Und aus seiner Erfahrung als Sozialarbeiter weiß der 55-Jährige auch, dass Einsamkeit wohl das größte Gesprächsthema sein wird, "und zwar völlig unabhängig, vom Einkommen", sagt Spitzenberger. Er glaube ohnehin, dass uns die schnelllebige Zeit einsam mache. Ein Rezept: Handy aus. "Sich selbst zu ertragen ist der erste Schritt aus der Einsamkeit", sagt er.