Warnstreiks
Metall-Tarifrunde geht in die heiße Phase
28. Oktober 2024, 5:00 Uhr
Sieben Prozent mehr Geld - die Forderung der IG Metall für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie ist in diesem Jahr simpel wie selten. Der Tarifvertrag ist gekündigt, die nachlaufende Friedenspflicht von vier Wochen endet an diesem Montag (28. Oktober). Ab Dienstag wird die IG Metall bundesweit ihre Mitglieder in vielen Betrieben zu ersten Warnstreiks aufrufen. Die drastischen Sparpläne bei VW verdeutlichen den Ernst der Lage, auch wenn der Auto-Riese für die meisten Beschäftigten einen eigenen Haustarif hat.
Verhandelt wird um die Arbeitsbedingungen von rund 3,9 Millionen Beschäftigten in gleich mehreren Schlüsselbranchen der deutschen Industrie. In den regional gefassten Flächentarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie sind Maschinenbau, Elektro sowie große Teile der Autoindustrie versammelt.
Die Positionen sind noch weit auseinander, was nach zwei Verhandlungsrunden allerdings auch nicht ungewöhnlich ist. Die IG Metall fordert bei einer Laufzeit von zwölf Monaten für die Beschäftigten 7 Prozent mehr Geld und überproportional 170 Euro im Monat mehr für die Auszubildenden. Außerdem will sie mehr Beschäftigten die Wahlmöglichkeit zwischen freier Zeit und Bezahlung eröffnen. Die Gewerkschaft begründet diese dritthöchste Forderung der vergangenen 30 Jahre mit den Kaufkraftverlusten, die ihre Mitglieder in den zurückliegenden Jahren der Hochinflation erlitten haben.
Die Arbeitgeber haben flächendeckend ein erstes Angebot vorgelegt, das bei einer mehr als doppelt so langen Laufzeit von 27 Monaten in zwei Stufen auf eine Steigerung um 3,6 Prozent kommt. Die erste Stufe von 1,7 Prozent solle dabei erst im Juli 2025 greifen. Gesamtmetall verweist auf die schlechte konjunkturelle Lage der Unternehmen, die zusätzlich unter zahlreichen Standortnachteilen litten. Die Produktion der Unternehmen liege bislang 7,4 Prozent unter dem Vorjahr und 15 Prozentpunkte hinter dem Vorkrisenniveau von 2018. Weder in diesem noch im laufenden Jahr sei eine Trendwende erkennbar. Die Betriebe dürften daher nicht weiter belastet werden.
Der größte deutsche Auto-Hersteller Volkswagen fällt zumindest mit sechs westdeutschen Werken und mehr als 120.000 Beschäftigten nicht unter den Flächentarifvertrag. Für sie gilt der VW-Haustarif. Mit einem ungekündigten Stufenplan sollen die drei Werke in Sachsen mit rund 12.000 Leuten bis 2027 dazukommen.
Laut Betriebsrat will der VW-Vorstand von insgesamt zehn deutschen Standorten mindestens drei Werke schließen und auch bei den übrigen die Belegschaften dezimieren. Zusätzlich drohten Entgeltbußen bis zu 18 Prozent. Die Probleme in der Autoindustrie sind keineswegs auf VW begrenzt, sodass die Krise in Wolfsburg die Gefahren von De-Industrialisierung und Arbeitsplatzverlust in Deutschlands Vorzeigebranche deutlich macht.
Auf Druck der Gewerkschaft sind die VW-Tarifverhandlungen um einige Wochen vorgezogen worden, hängen aber eng mit den strategischen Entscheidungen über die künftige Auslastung der Werke zusammen. Warnstreiks sind bei VW mit Ausnahme des Werks Osnabrück mit etwa 2.500 Beschäftigten erst ab dem 1. Dezember möglich. Die Gewerkschaft fordert bei Volkswagen wie in der Fläche 7 Prozent mehr Geld und die Rücknahme der Schließungspläne.
Die IG Metall hat angekündigt, dass mit dem Ende der Friedenspflicht am 29. Oktober eine erste bundesweite Warnstreikwelle beginnt. Das ist durchaus unmittelbar gemeint, denn bei Tarifverhandlungen in der Vergangenheit haben die ersten Beschäftigten bereits um 00.01 Uhr in ihren Nachtschichten "den Hammer fallengelassen".
Durch die Arbeitsniederlegungen wird zunächst einmal die Produktion der bestreikten Betriebe gestört. Bezahlt wird die Arbeitszeit während eines Warnstreiks nicht. Anders als beispielsweise bei Streiks im Verkehr mit ausgefallenen Zugfahrten oder Flügen kann die Produktion aber später nachgeholt werden. Die M+E-Produkte werden zudem häufig an andere Industriebetriebe geliefert. Es ist daher zunächst sehr unwahrscheinlich, dass Endkunden größere Nachteile spüren.
Ungeachtet der Warnstreiks gehen die Verhandlungen in elf Regionen parallel weiter. Den Anfang der dritten Verhandlungsrunde machen die Tarifgebiete Küste und Niedersachsen bereits an diesem Dienstag (29. Oktober). Die übrigen Gebiete folgen bis zum 5. November. In den Gesprächen wird geschaut, wo eine Annäherung möglich scheint. Wenn sich ein Pilotbezirk herauskristallisiert, wird dort stellvertretend zu Ende verhandelt. Dabei können sich auch die zentralen Einheiten einschalten, also der Dachverband Gesamtmetall in Berlin und der Vorstand der IG Metall in Frankfurt. Wenn es ein Ergebnis gibt, wird dies in den folgenden Tagen auf die anderen Tarifgebiete übertragen.
Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf warnte im Gespräch mit dem Nachrichtenportal "t-online", es helfe überhaupt nicht, die Erwartungshaltung weiter anzuheizen. "Die Lage ist, wie sie ist." Da machten Warnstreiks eine Einigung nicht leichter.
Das ist ein informeller Prozess zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern, der auch vom Ehrgeiz der regionalen Verhandler abhängt. Beide Seiten müssen zudem darauf achten, dass ihre jeweiligen Verhandlungsführer ausreichend Rückhalt auch in den anderen Regionen haben. Schon aus diesem Grund stammen die Abschlüsse der jüngeren Vergangenheit ausschließlich aus den mitgliederstarken IGM-Bezirken Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern. 1997 war mit Niedersachsen letztmals eine der kleineren Einheiten dran. Besonders häufig wird "der Pilot" in Baden-Württemberg geschmiedet, wie zuletzt auch 2022 in Ludwigsburg. Dort wurde eine Lösung in der fünften Runde gefunden, eine über die Jahre durchaus übliche Dauer.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind reguläre Streiks sehr unwahrscheinlich, auch wegen des bereits früh in der zweiten Runde vorgelegten Angebots. Der letzte reguläre Streik mit vorheriger Urabstimmung datiert aus dem Jahr 2002, als laut Zählung der Arbeitgeber 166 Betriebe in Baden-Württemberg und Berlin-Brandenburg bestreikt wurden. Die IG Metall betont zwar stets ihre volle Streikkasse, geht aber selten diesen letzten Schritt. In der Tarifrunde 2022 hat der damalige Verhandlungsführer Roman Zitzelsberger nach eigenem Bekunden mit Urabstimmung und Streik gedroht.
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