Konjunkturflaute
Deutsche Wirtschaft schrumpft - Verbraucherlaune getrübt
27. August 2024, 8:36 Uhr
Gesunkene Investitionen, Krise am Bau und sparsame Verbraucher: Nach einem leichten Schrumpfen der deutschen Wirtschaft im Frühjahr droht Deutschland der Rückfall in die Rezession. Im zweiten Quartal sank das Bruttoinlandsprodukt gemessen am Vorquartal um 0,1 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Damit bestätigte sich eine erste Schätzung von Ende Juli. Mit dem Minus schnitt Deutschland schlechter ab als viele andere europäische Länder. Ökonomen erwarten vorerst wenig Besserung.
"Die aktuellen Zahlen zeigen, dass die deutsche Wirtschaft auf der Stelle tritt", kommentierte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Das zeige, wie nötig die Wachstumsinitiative der Bundesregierung sei. Die Ampel-Koalition hat sich 49 Maßnahmen vorgenommen, um die Wirtschaft anzukurbeln - umgesetzt ist davon aber bisher kaum etwas.
Trotz Konjunkturflaute verbuchte der deutsche Staat im ersten Halbjahr aber steigende Steuereinnahmen und ein leicht gesunkenes Defizit, berichteten die Statistiker weiter. Mit einer Staatsdefizitquote von 1,8 Prozent hält Deutschland die EU-Haushaltsvorgaben locker ein - ungeachtet des Dauerstreits um Bundeshaushalt und Schuldenbremse.
Einer der Gründe für die schrumpfende Wirtschaft im zweiten Quartal waren den Statistikern zufolge mangelnde Investitionen in Ausrüstungen - also vor allem in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge. Sie sanken um 4,1 Prozent zum Vorquartal und damit noch deutlicher als die Investitionen in Bauten (minus 2,0 Prozent).
"Nach dem leichten Anstieg im Vorquartal hat sich die deutsche Wirtschaft im Frühjahr wieder abgekühlt", sagte die Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, Ruth Brand. Im ersten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent zum Vorquartal gestiegen. Auch vom Außenhandel fehlen Impulse: Exportiert wurden im Frühjahr 0,2 Prozent weniger Waren und Dienstleistungen als im ersten Vierteljahr. Das trifft die deutsche Industrie.
Die staatliche Förderbank KfW geht nur von einem leichten Wirtschaftswachstum im dritten Quartal aus. "Die deutsche Wirtschaft wird sich in den kommenden Quartalen nach und nach erholen, doch erst 2025 wird das Jahreswachstum wieder deutlich positiv", sagte Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Sie verwies unter anderem auf kräftige Reallohnsteigerungen, damit wachse die Kaufkraft der Verbraucher.
Noch aber springt die Kauflaune der Verbraucher nicht an - viele halten ihr Geld in der Inflation zusammen. Im zweiten Quartal schrumpfte der private Konsum laut Statistischem Bundesamt um 0,2 Prozent zum Vorquartal. Die Stimmung der Verbraucher kühlte sich im August zudem ab, zeigt die neueste Konsumklimastudie der Nürnberger Institute GfK und NIM.
Die Erwartungen der Konsumenten hinsichtlich Einkommen und Konjunktur seien zurückgegangen - die Sparneigung dagegen gewachsen. "Offenbar war die Euphorie, die die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland ausgelöst hat, nur ein kurzes Aufflackern und ist nach Ende des Turniers verflogen", sagte NIM-Konsumexperte Rolf Bürkl.
Mit dem Minus im zweiten Quartal droht Deutschland erneut eine Rezession. Schrumpft das Bruttoinlandsprodukt in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen, sprechen Ökonomen von einer technischen Rezession. Schon 2023 war die Wirtschaftsleistung leicht zurückgegangen. Zuletzt hat sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft noch verschlechtert: Der vom Ifo-Geschäftsklimaindex fiel im August das dritte Mal in Folge.
Die Bundesbank rechnet damit, dass sich die Konjunkturbelebung hinauszögert. Sie erwartet eine Konjunkturflaute, aber keinen breiten und länger anhaltenden Rückgang der Wirtschaft. Im Juni hatte die Bundesbank für dieses Jahr ein Wachstum von 0,3 Prozent prognostiziert.
Besser als bei der Konjunktur steht es um die Staatsfinanzen. Das deutsche Staatsdefizit ist leicht zurückgegangen. Nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes gab es im ersten Halbjahr 38,1 Milliarden mehr Ausgaben als Einnahmen. Die Ende 2023 ausgelaufenen Energiepreisbremsen dämpften den Anstieg der Staatsausgaben. Zugleich stiegen die Steuereinnahmen des Staates im ersten Halbjahr um 3,6 Prozent zum Vorjahreszeitraum.
Mit 24,6 Milliarden Euro hatte der Bund den größten Anteil am Staatsdefizit, indes sank die Finanzlücke dort kräftig um 17,9 Milliarden Euro. Dagegen stieg das Defizit von Ländern und Gemeinden stark.. Die Sozialversicherung verzeichnete einen Finanzierungsüberschuss von 0,2 Milliarden Euro, deutlich weniger als ein Jahr zuvor (9,6 Milliarden Euro).
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ergibt sich für das erste Halbjahr eine Defizitquote von 1,8 Prozent. Das ist viel weniger, als die Haushaltsregeln der EU nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (Maastricht-Kriterien) erlauben. Demnach darf das öffentliche Defizit nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen. Allerdings handelt es sich bei den aktuellen Zahlen lediglich um Halbjahreszahlen, die sich nicht auf das Jahr hochrechnen lassen. Dafür schwanken Einnahmen und Ausgaben im Jahresverlauf zu stark.
Die EU-Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden sollen für eine solide Haushaltsführung sorgen. Überwacht werden sie von der EU-Kommission, die Verfahren wegen übermäßiger Defizite unter anderem gegen Frankreich und Italien einleitete.
Deutschland steht im Vergleich zu diesen Ländern aktuell fast als Musterknabe da - was Finanzminister Lindner in den Verhandlungen zum Bundeshaushalt als Motivation zur Einhaltung der Schuldenbremse anführt. Seine Argumentation: Wenn nun auch Deutschland die europäischen Regeln brechen würde, wäre das eine Einladung an andere europäische Staaten, mehr Schulden zu machen, als tragfähig ist.
Anders als Lindner wollen die Koalitionspartner SPD und Grüne alle Möglichkeiten für neue Kredite im Etat für 2025 nutzen und zum Beispiel wegen des Ukraine-Kriegs eine Notlage erklären. SPD und Grüne setzen auf eine Reform der Schuldenbremse nach der nächsten Bundestagswahl.
Auch die "Wirtschaftsweisen" halten die deutsche Regelung für unnötig streng. Werde sie weiter eingehalten, sinke die deutsche Schuldenquote in den nächsten Jahrzehnten viel stärker als nötig - perspektivisch deutlich unter das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Deutschland hätte dann womöglich gespart, obwohl man das Geld gut hätte einsetzen können.
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