Konjunktur
Chancen durch Pleiten? Marktbereinigung bietet Perspektive
29. August 2023, 5:07 Uhr
Angesichts zunehmender Unternehmensinsolvenzen in Deutschland müssen sich Banken und andere Gläubiger auf steigende Zahlungsausfälle einstellen.
Die Summe der Gläubigerschäden von 36 Milliarden Euro im vergangenen Jahr dürfte 2023 deutlich überschritten werden, sagte der Leiter Wirtschaftsforschung von Creditreform, Patrik-Ludwig Hantzsch, der Deutschen Presse-Agentur. Die Wirtschaftsauskunftei rechnet mit einer Verschärfung der Situation in den kommenden Monaten. Doch aus Expertensicht haben die Pleiten nicht nur schlechte Seiten.
Volkswirtschaftlich brächten sie eine wichtige Marktbereinigung, sagt etwa Steffen Müller, Leiter der Insolvenzforschung beim Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). So zeigten Daten, dass insolvente Firmen im Schnitt deutlich weniger produktiv seien als Unternehmen, die nicht in die Insolvenz gehen.
Würden sie am Leben gehalten, "dann würden wir unsere gesamtwirtschaftliche Produktivität über kurz oder lang beschädigen." Da derzeit viele zukunftsträchtige Unternehmen händeringend Arbeitskräfte suchten, wäre es "besonders schädlich", schwache Unternehmen im Markt zu halten und diese wichtigen Ressourcen dort zu binden, so der Experte.
Zwar habe sich der Arbeitsmarkt in jüngster Zeit etwas abgeschwächt und es gebe etwas weniger offene Stellen. Dennoch griffen sozialpolitische Begründungen für Arbeitsplatzrettungen wie in den von Massenarbeitslosigkeit geplagten 1990er und 2000er Jahren heute nicht mehr und seien angesichts des großen Fachkräftebedarfs "aus der Zeit gefallen". Hinzu kämen die Faktoren Transparenz und Gläubigervertrauen: Im Geschäftsverkehr müsse klar sein, dass das Gegenüber tatsächlich zahlungsfähig sei, sagte Müller.
Auch Hantzsch hält es für volkswirtschaftlich "richtig und wichtig, dass sich das paradoxe Insolvenzgeschehen der vergangenen Jahre nun normalisiert". Es seien "deutlich zu viele Unternehmen am Markt geblieben, die eigentlich nicht wettbewerbsfähig waren", und die nur dank ausufernder Staatshilfen während der Corona-Pandemie überlebt hätten - etwa durch die Aussetzung von Insolvenzantragspflichten.
Kritisch sei jetzt allerdings der Zeitpunkt, erklärte Hantzsch. Viele angeschlagene Firmen träfen auf ein verschärftes Wettbewerbsumfeld und einen volatilen Markt. "Die "plötzlichen" Ausfälle in größerer Zahl werden für Gläubiger, Geschäftspartner und Kreditgeber zu einem existenziellen Problem", so der Creditreform-Experte.
"Die derzeitige Normalisierung ist also ein zweischneidiges Schwert." Die Zahl der Insolvenzen dürfte auch in den kommenden Monaten im Vergleich zum Vorjahr deutlich steigen. "Panik ist aber dennoch kein guter Ratgeber", so Hantzsch. Zu Zeiten der Finanzkrise im Jahr 2009 seien in der Spitze mehr als 33.000 Unternehmen insolvent gewesen. "Von diesen Werten sind wir noch weit entfernt."
Derzeit treffe es die Bauwirtschaft besonders hart, da die Ausgangsbedingungen durch die genannten Faktoren besonders schwierig seien, erklärte Hantzsch. Höhere Kreditkosten, Material- und Energiepreise haben Neubauten kräftig verteuert. Zuletzt sorgten Pleiten mehrerer Projektentwickler für Aufsehen.
Im Baugewerbe wurden von Januar bis Mai nach Branchendaten 11,2 Prozent mehr Insolvenzen als im Vorjahreszeitraum und im Bauhauptgewerbe sogar 20,8 Prozent mehr Insolvenzen registriert. 551 Unternehmen des Bauhauptgewerbes mussten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres Insolvenz anmelden, nach 456 im Vorjahreszeitraum.
"Es gibt einige Unternehmen, die haben seit Anfang des Jahres keinen neuen Auftrag geschrieben", sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Zwar komme man aus einer Phase historisch hoher Auftragsbestände, "aber das ist endlich". Vor allem Firmen, die es nicht geschafft hätten, sich in anderen Marktbereichen zu etablieren, um das Minus im Wohnungs- und Neubau auszugleichen, hätten es schwer.
Um gegenzusteuern, verlangt der Verband von der Bundesregierung ein Maßnahmenpaket, das neben Zinsverbilligungen auch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Investoren sowie Investitionszulagen für öffentliche Unternehmen enthalten sollte, so Müller. Die hohen Standards bei der Energieeffizienz seien zudem in Verbindung mit der Wärmeplanung der Kommunen sowie dem steigenden Anteil erneuerbarer Energien nicht notwendig, "das muss korrigiert werden".
IWH-Insolvenzexperte Steffen Müller warnte allerdings vor einem vorschnellen Eingreifen des Staates. Gerade mit Blick auf die hohen Gewinne der Branche in den vergangenen Jahren dürften Hilfen "sehr schwer vermittelbar" sein, glaubt Müller.
Unterstützungsmaßnahmen wären aus seiner Sicht nur bei einem drohenden Kollaps der Baubranche mit Ansteckungsgefahren für andere Wirtschaftszweige zu überlegen. "Da sehe ich uns nicht." Allerdings müsse genau hingeschaut werden - schließlich habe ein "aufgeblähter Bausektor" schon früher am Beginn größerer Krisen gestanden.
Das Statistische Bundesamt hatte im Juli auf Basis vorläufiger Angaben fast ein Viertel (23,8 Prozent) mehr Anträge von Firmen auf Regelinsolvenzverfahren als im Vorjahresmonat registriert. Damit setzte sich der Anstieg aus den Vormonaten fort.
Im Insolvenzfall erhalten die Gläubiger derweil nach Creditreform-Angaben in Deutschland durchschnittlich lediglich einen niedrigen einstelligen Prozentsatz ihrer offenen Forderungen zurück - was im Zweifel aber deutlich besser sei als ein Totalverlust, sagte Experte Hantzsch von Creditreform. Grundsätzlich könne eine Insolvenz auch ein Neustart für ein Unternehmen sein. "Im Erfolgsfall kann der Betrieb seine Verpflichtungen gegenüber Gläubigern dann besser bedienen. Dann wird die Insolvenz zu einer Restrukturierung."
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