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Michael Henke: "Julian Nagelsmann stand zu oft im Mittelpunkt beim FC Bayern"

Michael Henke, der frühere Co-Trainer von Ottmar Hitzfeld, spricht in der AZ über den Trainerwechsel beim FC Bayern. "Bei Tuchel ist alles gegeben."


Sein letztes Spiel: Nach dem 1:2 in Leverkusen wurde Julian Nagelsmann freigestellt. Thomas Tuchel hat daraufhin das Traineramt beim FC Bayern übernommen.

Sein letztes Spiel: Nach dem 1:2 in Leverkusen wurde Julian Nagelsmann freigestellt. Thomas Tuchel hat daraufhin das Traineramt beim FC Bayern übernommen.

Von Maximilian Koch

AZ: Herr Henke, waren Sie überrascht von der Freistellung Julian Nagelsmanns beim FC Bayern vergangene Woche?

MICHAEL HENKE: Der Zeitpunkt war auch für mich überraschend, es bestand ja noch die Chance auf drei Titel. Wobei ich schon mitbekommen habe, dass eine gewisse Unzufriedenheit beim FC Bayern geherrscht hat, es gab immer wieder Kritik und Diskussionen. Gerade durch die Siege in der Champions League gegen Paris hatte man allerdings gedacht, dass Julian Nagelsmann fest im Sattel sitzt. Das hat Nagelsmann wohl auch selbst gedacht.

Es kam anders, wie wir nun wissen. Was muss man als Bayern-Trainer eigentlich mitbringen, um länger im Amt zu bleiben? Nagelsmann konnte mit 35 Jahren ja noch gar nicht die Lebenserfahrung einiger seiner Vorgänger haben.

Das spielt eine Rolle, ganz klar. Ein Punkt ist aus meiner Sicht, dass Nagelsmann bei Bayern zu oft im Mittelpunkt stand durch seine öffentlichen Äußerungen. Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass er sich etwas wichtiger nimmt, als er ist. Ich glaube, dass es eine der großen Qualitäten von einem Jupp Heynckes oder Ottmar Hitzfeld war, die Stars auch Stars sein zu lassen. Natürlich immer mit der nötigen Disziplin und der Erwartungshaltung, besondere Leistungen zu bringen - aber man muss diesen Stars ihre Bühne lassen, die sie sich erarbeitet haben. Große Trainer beherrschen das. Denn eines ist auch klar bei aller Bedeutung des Trainers: Das Wichtigste sind die Spieler. Nagelsmann ist ein intelligenter Mensch, er wird das lernen. Aber da hat ihm vielleicht noch ein bisschen die Erfahrung gefehlt.

Wie sehen Sie die Entwicklung von Thomas Tuchel, Nagelsmanns Nachfolger?

Die internationale Erfahrung bei Paris Saint-Germain und dem FC Chelsea hat Tuchel unglaublich geholfen bei seiner Entwicklung und seinem Standing. Das hat Nagelsmann so noch nicht. Erfolg hatte Tuchel zuvor schon bei Borussia Dortmund, trotzdem musste er dann irgendwann gehen, weil noch etwas fehlte. Das ist jetzt anders. Es gibt ja ohnehin nicht so viele Trainer, die für Bayern in Frage kommen. Man hat den Anspruch, einen deutschsprachigen Trainer zu verpflichten, der möglichst internationale Erfolge vorweist. Das ist alles gegeben bei Tuchel.

Dennoch wird das Topspiel gegen Dortmund am Samstag (18.30 Uhr/Sky live) zu einer kniffligen Aufgabe. Tuchel hat kaum Vorbereitungszeit mit seiner neuen Mannschaft. . .

Auf diesem hohen Niveau ist das kein großer Nachteil für Tuchel. Das Bayern-Team ist ja bekannt. Es geht vor allem darum, die richtige Ansprache zu finden, eine andere Ansprache als bei Nagelsmann, um einen neuen Impuls zu geben. Bayern ist gefordert, einen deutlich besseren Auftritt als beim 1:2 in Leverkusen hinzulegen.

Wie ist Ihr Gefühl für das Spitzenspiel?

Die Dortmunder haben einen Riesenlauf. Ich habe sie im Champions-League-Heimspiel gegen Chelsea gesehen (1:0, Anm.d.Red.)i, da hat man gut erkennen können, was sie aktuell für eine Ausstrahlung haben. Aber die Dortmunder werden sich sicher nicht freuen über den Trainerwechsel. Aufgrund des Heimvorteils tippe ich auf einen Sieg der Bayern.

Holen die Münchner dann auch die elfte Meisterschale in Folge?

Ich habe vor dem Trainerwechsel gesagt, dass es eigentlich super für Dortmund läuft: Bayern ist weiter in der Champions League gefordert und verliert dort Körner. Nach zehn Meisterschaften in Folge liegt der Fokus mehr auf der Königsklasse, Dortmund kann sich hingegen voll auf die Bundesliga konzentrieren. Das war die große Chance für den BVB - ich sage bewusst: war. Denn jetzt nach dem Trainerwechsel wird die Liga wieder mehr im Mittelpunkt stehen für Bayern, es geht darum, jedes Spiel unter Tuchel zu gewinnen. Daher denke ich, dass sich Bayern knapp durchsetzt - obwohl ich als Westfale Dortmund schon mal wieder die Meisterschaft gönnen würde.

Trauen Sie Bayern auch den Triumph in der Champions League zu? Im Viertelfinale wartet Manchester City.

Tuchel hat es ja schon gesagt: Mit diesem Kader kannst du alles erreichen. In der europäischen Spitze ist es sehr eng, aber ich traue es Bayern zu.

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AZ-Interview mit Michael Henke: Der 65-Jährige war über viele Jahre Co-Trainer von Ottmar Hitzfeld bei Borussia Dortmund und beim FC Bayern. Er gewann sieben Mal die Deutsche Meisterschaft und zweimal die Champions League.i