AZ-Interview

Heiner Brand: "Unsere Mannschaft kann vorne mit dabei sein"


Von Jeanne Jacobs / Onlineredaktion

Weltmeister-Trainer Heiner Brand spricht in der AZ über die Heim-WM, die Chancen des deutschen Teams und Fehler der Vergangenheit: "Bei der EM haben Einzelne ihr eigenes Süppchen gekocht".

Der 66-jährige Heiner Brand führte die deutschen Handballer 2007 als Bundestrainer sensationell zum WM-Titel.

AZ: Herr Brand, Sie waren als Spieler 1978 Weltmeister, als Trainer 2007 - und nun könnten Sie auch noch als WM-Botschafter 2019 den Titel holen. Was ist Ihnen präsenter: der WM-Titel als Spieler oder der als Trainer? HEINER BRAND: Der als Spieler ist ja schon 40 Jahre her! Natürlich ist 2007 präsenter, auch wenn die Empfindungen als Spieler wesentlich stärker sind, wenn man selbst im Gefecht ist. Aber 2007 war halt durch die Heim-WM eine außergewöhnliche Situation. Und dann diese Endrunde: die letzten Spiele in Köln, praktisch vor meiner Haustür! Köln ist ja eine Stadt, in der ich auch einen Teil meiner Freizeit verbringe.

Treffen sich die Weltmeister von '78 noch ab und zu? All die großen Namen: Deckarm, Klühspies, Wunderlich, Ehret, Freisler...
Wir treffen uns regelmäßig, jedes Jahr an Fronleichnam, von Donnerstag bis Sonntag. Mit den Frauen, und als die Kinder noch klein waren, waren die auch immer dabei. Und ab und zu sehen wir uns auch bei Länderspielen, oder jetzt im Januar bei den Hauptrundenspielen der WM. Und bei besonderen Gelegenheiten auch noch - das wird also sehr intensiv gepflegt.

Und was stellen Sie dann so an?
Wir sind immer woanders. Letztes Jahr waren wir in Bad Gögging, haben uns Kelheim angeschaut. Vor zwei Jahren haben wir mal was in Gummersbach organisiert, davor der Kurt Klühspies in Wetzlar. Nächstes Jahr ist Claus Hormel in der Frankfurter Ecke dran.

Wie geht's Jo Deckarm, der 1979 in einem Europacup-Spiel nach einem Zusammenstoß ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitt und bis heute auf Hilfe angewiesen ist?
Im Augenblick sehr gut. Er ist von Saarbrücken nach Gummersbach umgezogen und lebt dort jetzt richtig auf, weil er sehr viel Kontakt zu ehemaligen Mitspielern hat, die ihn besuchen. Das passt jetzt schon wesentlich besser. Aber er hat da im Seniorenzentrum noch ein Foto von seiner Heimat stehen.

"Mir waren da ein paar zu viele Diskussionen"

Zurück in die Gegenwart: Wie schätzen Sie das deutsche Team ein?
Wir sind unheimlich breit aufgestellt, so breit wie wahrscheinlich noch nie. Nur müssen die Spieler halt eine Einheit werden. Das waren sie bei der EM nicht. Da haben einzelne Leute ihr eigenes Süppchen gekocht und gedacht, ihre Ideen durchsetzen zu wollen. So was funktioniert nicht. Natürlich kann man immer mal Dinge mit dem Trainer diskutieren, aber wenn das abgeschlossen ist, dann gibt es auf dem Spielfeld nur noch eins: in eine Richtung gehen! Das schien mir bei der EM nicht der Fall gewesen zu sein. Mir waren da ein paar zu viele Diskussionen.

Das war im vergangenen Januar in der Tat kein guter Start für den neuen Bundestrainer Christian Prokop. Hat er die Mannschaft nun im Griff und auf seiner Seite?
Die Diskussion ist mir zu viel auf den Trainer fokussiert. Er hat sicherlich seine Erfahrungen sammeln müssen. Ich weiß auch aus Gesprächen mit ihm, dass er einiges selbst reflektiert, was man auch machen muss. Aber da sind auch die Spieler und das direkte Umfeld gefordert, das unterstützen muss - und er muss seinen Weg gehen. Das ist die einzige Chance.

Wen sehen Sie bei der WM am Ende ganz vorne?
Ich sehe keinen absoluten Favoriten. Die Skandinavier Dänemark und Schweden werden sicher stark sein. Bei den Franzosen weiß ich gar nicht, ob das eine Schwächung ist, dass Nikola Karabatic (vierfacher Weltmeister, dreimaliger Welthandballer, d. Red.) nicht dabei ist, weil er zuletzt doch nicht mehr so die dominierende Rolle gespielt hat. Aber auch unsere Mannschaft kann vorn mit dabei sein.

"In der Breite sind wir sicher noch die beste Liga der Welt"

Obwohl die angeblich "stärkste Handball-Liga der Welt" schon seit einigen Jahren nicht mehr beim Final Four der Champions League vertreten war. Woran liegt das?
In diesem Jahr haben mich die Franzosen wie Montpellier und Nantes schon begeistert. Aber die kochen auch nur mit Wasser. Wenn man sich die Champions League ansieht, erkennt man, dass in Europa eine Verschiebung stattgefunden hat. Einige Vereine mit sehr viel Geld haben mächtig investiert: Skopje, Szeged, Veszprem, Kielce. Früher gingen eine Zeit lang alle nach Deutschland und ein paar nach Spanien. Als der Boom in Spanien zu Ende war, gingen alle nach Deutschland, und jetzt hat es sich verteilt. Wobei solche Gebilde auch schnell wieder zusammenbrechen können. Das ist nicht wirklich die seriöse Art der Finanzierung. Dann werden Deutschland und Frankreich wieder dominierend sein. Aber in der Breite sind wir sicher noch die beste Liga der Welt.

Wie werden Sie die WM verfolgen?
Beim Auftakt werde ich in Berlin sein, dann die Gruppenspiele in Köln verfolgen, wo ich ja WM-Botschafter bin, Halbfinale und Finale lasse ich mir mal offen - je nach Abschneiden des deutschen Teams.

Und dann sind Sie ja auch noch Experte bei Sky.
30 Spiele im Jahr kommentiere ich für die - mehr will ich auch gar nicht. Vorträge für Wirtschaftsfirmen halte ich ja auch noch. Dabei habe ich mich ja eigentlich zur Ruhe gesetzt. Man muss schon aufpassen. Wenn man viel frei hat, neigt man dazu, überall zuzusagen. Ich bin ja auch noch Botschafter einiger karitativer Einrichtungen. Da kommt einiges zusammen, und plötzlich hat man gar keine Zeit mehr - für so was wie Sport zum Beispiel.

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