Als ”Undrafted Free Agent” zu den Las Vegas Raiders
Dominik Eberle: “Mentale Stärke ist das Wichtigste”
30. April 2020, 11:00 Uhr aktualisiert am 30. April 2020, 11:00 Uhr
Der aus Nürnberg stammende Dominik Eberle hat das geschafft, wovon unzählige Jugendliche träumen: Er wurde unmittelbar nach dem NFL-Draft als "Undrafted Free Agent" von den Las Vegas Raiders unter Vertrag genommen. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der 23-Jährige, der die Position des Kickers bekleidet, über seine Zeit am College, seine ersten Erfahrungen mit den Raiders und darüber, wie er mit Drucksituationen im American Football umgeht.
Herr Eberle, mittlerweile ist seit dem Anruf aus Las Vegas schon ein bisschen Zeit vergangen. Können Sie es bereits realisieren, dass Sie es zu einem NFL-Team geschafft haben?
Dominik Eberle: Nein, es ist echt unglaublich, dass man diese Möglichkeit bekommt, vor allem bei einer so guten Franchise und Organisation wie den Raiders. Ich freue mich darauf.
Haben Sie bei Ihrem Umzug in die USA je daran gedacht, dass Sie eines Tages bei einem NFL-Team unter Vertrag genommen werden?
Eberle: Nein, als ich damals umgezogen bin, war ich noch Fußballer. Ich habe früher immer Fußball gespielt. Als ich in die Vereinigten Staaten zog, wollte es mit dem Fußballspielen einfach nicht klappen. Mein Freund hat mir dann American Football empfohlen. Ich habe mich dann so verbessert, dass ich das Potenzial zum College-Spieler hatte. Auch das ist etwas, wovon man träumen kann. Aber die NFL war ein Ziel, das so weit entfernt war. Das ist echt unglaublich.
Wie sehr hat es Ihnen zu Beginn Ihrer Zeit als Kicker geholfen, dass Sie bereits Fußball gespielt haben?
Eberle: Ich finde, dass man die Beinstärke durch das Fußballspielen kriegt. Es gibt auch viele Kicker in der NFL und im College, die mit dem Fußball aufgewachsen sind.
Sie haben an der High School mit dem American Football angefangen. Im Jahr 2015 sind Sie dann an die Utah State University gewechselt. Wie groß war dieser Schritt rückblickend für Sie?
Eberle: Es ist schon ein großer Schritt, weil man dann auch weg von seiner Heimat und seiner Familie ist. Utah ist einen einstündigen Flug von meiner Familie entfernt, es ist also schon relativ nahe. Aber man ist ganz alleine und muss neue Kollegen im Team kennenlernen und sich mit ihnen anfreunden. Der Schritt ist relativ groß, aber jeder hat mich sehr gut aufgenommen und mir hat es dort dann auch super gefallen. In Utah lebe ich neben den Bergen, man hat dort alle vier Jahreszeiten. Das hat mich an Deutschland erinnert. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt.
Wie sah Ihr Tagesablauf als College-Football-Spieler in Utah aus?
Eberle: Du bist in erster Linie Student und musst dort deine Leistungen bringen, damit du auch spielen darfst. Normalerweise mussten wir spätestens gegen 6.30 Uhr, manchmal auch um 5.30 Uhr, mit dem Training beginnen. Danach muss man ins Klassenzimmer und seine Schularbeiten machen. Gegen 13 Uhr geht es zurück in die Einrichtungen zum Training, ob im Kraftraum oder auf dem Feld. Manchmal ist man erst gegen 19 Uhr fertig mit dem Footballtraining. Danach musste ich meistens noch meine Aufgaben fürs College machen. Man hat die ganze Woche über dann eine gewisse Routine, an die man sich erst gewöhnen muss, weil es anfangs so viel ist. Aber je länger man am College ist, desto besser meistert man es mit der Zeit.
Ist es Ihnen schwer gefallen, Football und Schule unter einen Hut zu bringen?
Eberle: Für mich war es nicht so schwer, weil ich schon immer strukturiert war. Ich wusste, an welchen Tagen ich meine Aufgaben machen muss und wie viel Zeit ich dann noch für andere Sachen habe. Ich habe Wirtschaft studiert, was mir relativ leicht fiel und es ist dann auch gut gelaufen. Aber ich habe auch mitbekommen, dass es für manche meiner Kollegen wirklich schwer wurde. Die mussten dann die Entscheidung treffen, ob sie American Football weiterspielen oder nicht.
Ihnen sind am College einmal in einem Spiel drei Fieldgoals über 50 Yards gelungen. Wann haben Sie zum ersten Mal realisiert, dass Sie den Sprung in die NFL tatsächlich schaffen können?
Eberle: Es war immer mein Ziel. Ich wusste, dass ich das Talent habe und dass ich den Rhythmus, den ich im Spiel hatte, in jedes andere Spiel mitnehmen muss. Man muss versuchen, sich immer wieder zu verbessern. Es ist schon gut, ein tolles Spiel zu haben, da es dir mehr Selbstvertrauen gibt und du weißt, dass du auch aus großen Entfernungen treffen kannst. Aber darauf darf man sich nicht verlassen. Man muss sich immer wieder auf das nächste Spiel fokussieren.
Dominik Eberle über die Draft Days, die besondere Corona-Situation und seinen gedrafteten Teamkollegen Jordan Love
Nun haben Sie sich dieses Jahr zum NFL-Draft angemeldet, bei dem die 32 NFL-Franchises College-Spieler in ihr Team holen. Wie haben Sie die letzten Wochen vor den Draft Days erlebt?
Eberle: Das Coronavirus hat auch hier einiges verändert. Es wurden Maßnahmen ergriffen, sodass jeder Mensch zuhause bleibt und nur dann das Haus verlässt, wenn er wirklich muss. Normalerweise darf man zum College oder zu seinen Trainingseinrichtungen, wo das Training auch analysiert wird. Aber in der aktuellen Situation musste man zuhause bleiben und selbst Wege finden, um zu trainieren - ob im Park oder in einer Schule. Auch der Austausch mit den Coaches fand nur virtuell statt.
Wie haben Sie den Hype um den NFL-Draft in dieser besonderen Situation aufgefasst?
Eberle: Es war komisch. Wir konnten ja die ganze College-Football-Saison anschauen. Jeder Draft bringt einen Hype mit sich und jeder Football-Fan will, dass sein Team sich verstärkt und die besten Spieler holt. Der Hype ist immer gleich, aber durch die Krise war man an einem Punkt angelangt, zu sagen, man beendet alle Sportarten und fokussiert sich auf die Bekämpfung dieses Virus. Es war dann wirklich eine positive Nachricht für die Menschen in den USA, dass der Draft doch noch stattfinden würde und dass sich alle für ein paar Stunden und Tage auf das Positive fokussieren und sich somit ablenken könnten.
Wie liefen denn die Tage des Drafts für Sie persönlich ab?
Eberle: Ich wusste, dass ich am dritten Tag entweder während des Drafts oder danach einen Anruf bekommen würde und darauf habe ich mich vorbereitet. Ich war mit meiner Familie zuhause und wir haben den Draft angeschaut. Ich wusste, dass mein Kollege im College-Team, Jordan Love, wahrscheinlich am ersten Tag gedrafted würde. Als er dann in der ersten Runde tatsächlich zu den Green Bay Packers kam, habe ich mich so sehr für ihn gefreut. Er ist ein richtig guter Kerl und es war wirklich schön zu sehen, dass sein Traum in Erfüllung gegangen ist. Ich habe mich dann darauf vorbereitet, dass ich am Samstag meinen Anruf erhalte.
Sie sprechen den Draft Ihres ehemaligen Teamkollegen Jordan Love an, den viele als die Überraschung der ersten Runde wahrgenommen haben. Denken Sie, dass er sich auf Dauer neben Aaron Rodgers, einem der Besten im Footballgeschäft, durchsetzen kann?
Eberle: Jordan ist in allen Sachen, die er macht, dermaßen talentiert. Er ist ein sehr junger Kerl. Er ist gerade einmal 21 Jahre alt und war erst 17, als er aufs College kam. Er hat auch die Mentalität, dass er immer lernen und sich verbessern will. Ich glaube, er hat ein sehr großes Potenzial, alles in dieser Liga zu erreichen, was er erreichen will. Und er ist in einer Position, in der er mit Aaron Rodgers, einem der besten Quarterbacks, die es überhaupt gibt, spielen darf. Ob er am Anfang startet oder erst später, ist ihm egal, er will sich einfach immer verbessern. Dass er nun von einem Hall-of-Fame-Spieler lernen kann, ist perfekt für ihn.
Zurück zu Ihnen: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Anruf aus Las Vegas erhalten haben?
Eberle: Ich wusste, dass Las Vegas mich wollte. Sie haben mir auch vorher deutlich kommuniziert, dass sie am Ende des Drafts keine Picks mehr haben werden. Sie sagten mir, dass sie mir ein Angebot machen würden, wenn der Draft vorbei ist und dass sie wollen, dass ich unbedingt nach Las Vegas komme. Das war optimal für mich, denn mir hat Las Vegas gut gefallen. Ich hatte vor der Krise die Möglichkeit, einmal bei den Raiders zu trainieren und analysiert zu werden. Es war zu dem Zeitpunkt gut zu wissen, dass Las Vegas eine Möglichkeit für mich wäre. Aber durch den Draft weiß man nie, welches Team einen letztlich drafted oder auch nicht. Ich hatte auch zu anderen Teams Kontakt. Wenn man nicht gedrafted wird, darf man seine eigene Entscheidung treffen, wenn man gedrafted wird, hat man keine Wahl.
Aufgrund der guten Gespräche mit den Raiders vor dem Draft hatten Sie also schon fest damit gerechnet, dass sie im Nachhinein verpflichtet werden, sollte es im Draft nicht klappen...
Eberle: Ja. Man kann schon sagen, dass ich wusste, dass ein Angebot von den Raiders nach dem Draft kommen würde. Ich habe sofort zugesagt, weil ich wusste, dass Las Vegas eine richtig gute Adresse ist. Es ist wirklich eine tolle Franchise und Organisation, bei der ich viel Respekt vor allen Leuten habe und ich kann mich glücklich schätzen, dass ich nun Teil einer der besten Organisationen der NFL bin.
Dominik Eberle über den Umgang mit Drucksituationen, seine Chancen auf einen Kaderplatz und seine Tipps für andere Talente
Als Kicker ist man häufig enormen Drucksituationen ausgesetzt und kann Spiele entscheiden. Wie gehen Sie mental mit dem Druck vor Ihren Versuchen um?
Eberle: Für mich ist die mentale Stärke das Wichtigste am Kicken. Man darf nicht an den Druck denken, wenn man einen Kick ausführt. Ich versuche, bei jedem Kick - egal in welchem Viertel - das Gleiche zu machen wie im Training. Ich versuche, mental den gleichen Rhythmus, die gleiche Schrittfolge zu haben und jeden Kick gleich zu treten. Man darf die aktuelle Situation auf dem Feld nicht in seinen Kopf lassen. Ich gehe raus und denke mir: 'Ich verwandle diesen Kick'.
Mit George Mariner wurde ein weiterer Teamkollege aus College-Zeiten ebenfalls als Undrafted Free Agent von den Raiders verpflichtet. Wie hilfreich ist es für Sie zu wissen, dass Sie in Las Vegas bereits jemanden kennen?
Eberle: Das ist sehr gut für mich. Je mehr Leute man kennt, desto einfacher ist es, den nächsten Schritt dort zu machen. Mit George Mariner bin ich auch gut befreundet und ich freue mich, dass ich wieder mit ihm zusammen spielen kann. Zusätzlich gibt es noch zwei Spieler bei den Raiders, die vorher für Utah State gespielt haben. Mit einem davon habe ich auch gespielt, den anderen kenne ich nur durch meine Coaches.
Worauf freuen Sie sich denn im Hinblick auf die nächsten Wochen und Monate am meisten?
Eberle: Keiner weiß aktuell aufgrund der Coronakrise so genau, an welchen Tagen trainiert werden darf und wann es wirklich richtig los geht. Ich freue mich auf den Tag, an dem es los geht.
Wie werden Ihre nächsten Tage und Wochen aussehen?
Eberle: Ich werde zuhause immer noch weitertrainieren. Ich habe Gewichte in meiner Garage, damit ich mich körperlich fit halten kann. Bei mir in der Nähe gibt es ein Feld, wo ich auch kicken kann.
Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, dass Sie es in den finalen 53-Mann-Kader der Raiders schaffen?
Eberle: Als Kicker weiß man nie, in welche Situation man kommt. Aber jeder Kicker ist richtig gut. Ich kenne Daniel Carlson (weiterer Kicker der Raiders; Anm. d. Red.) gut, er ist richtig talentiert. Das Einzige, worauf ich mich fokussieren kann, sind die Kicks im Training. Ich werde jeden Tag versuchen, die beste Trefferquote - also 100 Prozent - zu erreichen. Daniel und ich sind beide froh, gegeneinander zu konkurrieren, aber werden das auch auf einer freundschaftlichen Basis tun.
Woran müssen Sie noch arbeiten, um sich langfristig durchzusetzen?
Eberle: Es ist immer die Aufgabe jedes Einzelnen, sich zu verbessern. Ob das die Technik ist, die Schritte oder der Kontakt mit dem Ball. Die Schritte und der Ballkontakt müssen ab dem Zeitpunkt, an dem man seine Technik perfektioniert hast, gleich sein. Gleichzeitig muss man auch willig sein, etwas Neues zu probieren, ob manches auf andere Art und Weise noch besser ginge.
Immer wieder gelingt Deutschen den Sprung in die NFL. Sehen Sie sich auch ein Stück weit als Vorbild für deutsche Spieler, die es zu einem Team in der NFL schaffen wollen?
Eberle: Ich muss erst einmal mein Ziel erreichen, in der NFL zu spielen, um auch wirklich als Vorbild dazustehen. Aber Spieler wie Sebastian Vollmer oder Markus Kuhn sind alle unglaublich talentiert und haben auch den Weg am Anfang geebnet, dass man es als Deutscher in die NFL schaffen kann. Da gibt es dann noch Jakob Johnson in der NFL und andere Deutsche, die aktuell im College spielen. Es ist wirklich unglaublich, wie weit der Football in Deutschland gekommen ist. Die Ausbildung wird immer besser und ich freue mich darauf, viele weitere Deutsche zu sehen, die es in die NFL schaffen werden. Das Feedback, das ich nun zuletzt aus Deutschland bekommen habe, war überragend.
Was würden Sie ambitionierten deutschen Spielern empfehlen, um den auf den ersten Blick unmöglich scheinenden Sprung in die NFL zu schaffen?
Eberle: Mein größter Ratschlag ist es, auf College-Football zu setzen. Es gibt verschiedene Stufen im College-Football von Division I bis Division III, in denen man spielen kann. Viele Schulen in den USA bieten auch Austauschprogramme an und zahlen dafür, dass man hierher kommt und studiert. Man sollte das ausnutzen, um sich dann auch athletisch zu verbessern. Ich glaube, das wäre der beste Schritt für deutsche Spieler, damit man sich weiterentwickelt.