Sportpolitik
Bann oder Boykott: Russland-Debatte spaltet olympische Welt
21. Februar 2023, 9:14 Uhr aktualisiert am 28. Februar 2023, 16:58 Uhr
Die Kontroverse um Russlands Sportler spaltet die olympische Welt. Mit ihrer Boykott-Drohung und verbalen Dauerattacken auf Thomas Bach setzt die Ukraine das Internationale Olympische Komitee unter Druck.
Doch das IOC beharrt auf seinem Kurs. Die Athletinnen und Athleten aus Russland und seines Unterstützers Belarus, die seit dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine vor einem Jahr in den meisten Sportarten von internationalen Wettbewerben ausgesperrt sind, sollen bald wieder dabei sein dürfen.
Der Dachverband verweist auf die Menschenrechte. Kein Athlet dürfe wegen seiner Nationalität dauerhaft ausgesperrt werden. Auch Russen und Belarussen seien nicht für die Entscheidungen der Politiker ihres Landes haftbar, erklärt das IOC. Dabei beruft sich das IOC auch auf eine Vorgabe der Vereinten Nationen. Zudem betont IOC-Präsident Bach: "Unsere Rolle ist, die Menschen zusammenzubringen." Es sei nicht Sache von Regierungen, über die Teilnehmer an sportlichen Wettbewerben zu entscheiden. "Es wäre das Ende von internationalen Wettkämpfen wie Olympischen Spielen und anderen Titelkämpfen", sagt Bach. Darin sieht er sich auch durch die Haltung vieler Verbände außerhalb Europas bestärkt, für die der Krieg keine größere Rolle spielt.
Russische und belarussische Fahnen, die Hymnen und nationale Symbole bleiben auf den internationalen Sportbühnen verboten. Nur als neutrale Athletinnen und Athleten dürften die Vertreter beider Länder wieder teilnehmen. So läuft es unter anderem schon bei Tennisturnieren. Funktionären von Sportverbänden beider Länder und Politikern bleibt ein Zutritt zu den Wettbewerben verwehrt. Immer wieder bekräftigt das IOC auch, über eine Olympia-Teilnahme von Sportlern aus Russland und Belarus sei noch nicht entschieden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj brachte es zuletzt in einer Rede so auf den Punkt: "Während Russland tötet und terrorisiert, haben Vertreter dieses Terrorstaates keinen Platz bei Sport- und olympischen Wettkämpfen." Auch viele Sportler des Landes zeigen sich wütend über die IOC-Pläne und verweisen darauf, dass bereits eine Reihe ukrainischer Athleten bei den Gefechten um ihre Heimat getötet worden sind. Der frühere Box-Weltmeister Wladimir Klitschko wies die Sicht von IOC-Chef Bach zurück, der Sport sei von der Politik zu trennen. "Es hat alles miteinander zu tun. Sport hat mit dem Krieg wahnsinnig viel zu tun", sagt Klitschko. Sollten Russen für Olympia zugelassen werden, droht die Ukraine mit einem Boykott der Sommerspiele in Paris.
Ein Verzicht auf eine Olympia-Teilnahme sei zumindest eine von mehreren Optionen, sagte Außenminister Dmytro Kuleba zuletzt der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Das Nationale Olympische Komitee der Ukraine hält sich laut eines Beschlusses von Anfang Februar einen Boykott als letztes Mittel offen. Zunächst aber wollen die Ukrainer alles dafür tun, dass Russen und Belarussen nicht bei Olympia dabei sein dürfen. "Wir haben den großen Wunsch, sie so lange nicht zu sehen, wie der Krieg nicht mit unserem Sieg endet", sagt Sportminister und NOK-Chef Wadym Hutzajt.
Das IOC hat die Olympia-Boykottdrohung durch die Ukraine kritisiert und als verfrüht bezeichnet. Die Drohung verstoße gegen die Grundlagen der olympischen Bewegung und die Prinzipien, für die sie stehe, teilte das IOC mit.
Die Mehrheit der internationalen Spitzenverbände haben nach dem Beginn des Ukraine-Krieges russische und belarussische Athleten vom Start bei Wettbewerben und Titelkämpfen ausgeschlossen. Einzelne Sportorganisationen wie der Tennis-Weltverband haben hingegen Spieler als neutrale Sportler an Turnieren weiter teilnehmen lassen. Die IOC-Initiative, die Rückkehr von Russen und Belarussen als neutrale Athleten wieder zuzulassen, stieß bei den Weltverbänden teils auf Zustimmung, teils auf Ablehnung. So will sich der deutsche Kanu-Weltverbandspräsident Thomas Konietzko nicht vorbehaltlos dem Vorhaben des IOC anschließen. Der Leichtathletik-Weltverband ist weiterhin gegen eine Rückkehr. Für eine Wiedereingliederung hat die Vereinigung der Nationalen Olympischen Komitees Asiens plädiert. Russen und Belarussen sollen mit neutralem Status bei den Asienspielen starten.
Nur unter strengen Voraussetzungen will der Deutsche Olympische Sportbund einer Teilnahme von russischen und belarussischen Athleten an internationalen Wettkämpfen zustimmen. Athleten, die im Krieg gekämpft hätten oder den Krieg offen unterstützten, müssten sanktioniert bleiben, fordert der DOSB. Zudem müssten die Sanktionen gegen die beiden Staaten und Regierungen strikt beibehalten werden. Die Vereinigung "Athleten Deutschland" lehnt eine Rückkehr von Sportlern beider Länder als verfrüht ab. Auch bei den Spitzenverbänden gibt es kein einheitliches Bild.
Das Bundesinnenministerium hat sich der Forderung von Sportpolitikern aus 35 Nationen nach einem Ausschluss von russischen und belarussischen Sportlern von Olympia in Paris angeschlossen. Ministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnet eine Teilnahme an internationalen Wettkämpfen als "kaum vermittelbar". Auch der Vorsitzende des Bundestagssportausschusses, Frank Ullrich (SPD), hält das für ein "falsches Signal".
Russlands Sportspitzen begrüßen den IOC-Vorstoß, fordern zugleich aber eine uneingeschränkte Wiederzulassung. Russen müssten zu den gleichen Bedingungen an internationalen Wettkämpfen und Olympischen Spielen teilnehmen können wie alle anderen Athleten, forderte Stanislaw Posdnjakow, Präsident des russischen Nationalen Olympischen Komitees. Russland ist seit 2016 wegen flächendeckenden Dopings und Daten-Manipulationen im Moskauer Analyselabor als Nation von Sommer- und Winterspielen ausgeschlossen. Allerdings hat das IOC seitdem die Möglichkeit geschaffen, Sportler aus Russland als neutrale Athleten ohne Flagge und Hymne starten zu lassen.