AZ-Interview
Thomas Helmer: "FC Bayern sollte Timo Werner definitiv verpflichten"
31. Januar 2019, 6:19 Uhr aktualisiert am 31. Januar 2019, 13:23 Uhr
Ex-Bayern-Kapitän Thomas Helmer spricht in der AZ über den Trainer der Münchner, das Titelduell mit Dortmund, Sandro Wagners Wechsel und Timo Werner.
München - Thomas Helmer (53) wurde mit dem FC Bayern Meister und Uefa-Cup-Sieger. Er moderiert den "CHECK24 Doppelpass" auf Sport1 (sonntags, 11 Uhr).
AZ: Herr Helmer, Sandro Wagner verlässt den FC Bayern und wechselt nach China. Können Sie seine Entscheidung nachvollziehen?
THOMAS HELMER: Abgezeichnet hat sich der Wechsel aus meiner Sicht nicht. Wagner wusste ja immer um seine Rolle bei Bayern. Dass er zuletzt gar nicht mehr im Kader stand, hat ihn wohl zum Nachdenken gebracht. Ich verstehe ihn schon. Er ist jetzt 31, kann sich realistisch einschätzen. Wagner hat gemerkt, dass er bei Bayern nie zum Nummer-eins-Stürmer aufsteigen würde.
Wäre China für Sie auch mal reizvoll gewesen?
(lacht) Ich beantworte die Frage mal so: Ich hatte am Ende meiner Karriere ein Angebot aus Japan. Das war für mich so weit weg. Ich will nicht sagen, ich hätte Angst gehabt. Aber ich habe es mir einfach nicht zugetraut. Wagner nimmt seine Familie mit, das macht es etwas leichter für ihn. Man kann in China schon sehr gut leben, das habe ich von Jörn Wolf (Assistent von Trainer Roger Schmidt bei China-Klub Beijing Guoan, Anm.d.Red.) gehört. Wenn man sich damit abgefunden hat, dass das fußballerische Niveau schlechter ist und es nicht mehr unbedingt um Titel geht, kommt man dort vielleicht für eine kurze Zeit klar.
Helmer über Wagner: Es gibt sicher einen Plan B
Bayern hat jetzt mit Robert Lewandowski nur noch einen Mittelstürmer. Zu wenig?
Das Gute ist, dass Lewandowski immer fit und motiviert ist. Natürlich kann mal ein blödes Foul passieren, eine Verletzung. Die Bayern haben sich dafür aber sicher einen Plan B überlegt, sonst hätten sie Wagner nicht verkauft.
Und wie soll der aussehen? Thomas Müller und Serge Gnabry sind keine klassischen Mittelstürmer.
Man muss sich nur mal Borussia Dortmund anschauen mit Mario Götze im Sturmzentrum. Das ist ja auch nicht seine Lieblingsposition. Aber Götze bewegt sich ständig, öffnet Räume für die Kollegen. Es funktioniert gut. Vielleicht hat Bayern da ein bisschen hingeschielt und fängt den Verlust bis Sommer intern auf. Dann muss man wieder neu über einen Back-up für Lewandowski nachdenken.
Timo Werner wird ja immer wieder mit Bayern in Verbindung gebracht…
Ich teile die Befürchtung bei Werner nicht, dass er keine Position bei Bayern finden würde. Die findet er auf jeden Fall. Wenn man Werner bekommen kann, sollte Bayern ihn definitiv verpflichten. Er ist ein super Spieler, sehr jung, noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung.
Helmer über Vakanzen: Es fehlt ein Kampfschwein im Mittelfeld
Auf welchen Positionen muss Bayern sonst noch etwas tun?
Werner könnte auch auf der offensiven Außenbahn spielen, das ist der eine Bereich. Und mir fehlt so ein Kampfschwein im Mittelfeld, das richtig gut Fußball spielen kann. Joshua Kimmich ist kein Sechser, der alles weggrätscht. Benjamin Pavard ist schon mal ein sehr guter Einkauf. Der kann hinten rechts, in der Mitte und auch links spielen.
Das zweite große Bayern-Thema des Winters war Chelseas Callum Hudson-Odoi, den Sportdirektor Hasan Salihamidzic trotz offensiven Werbens nicht bekommen hat. Ein Rückschlag für Brazzo?
Ich glaube, dass es im Sommer noch mal eine Möglichkeit für Bayern gibt. Brazzo hat sich aus meiner Sicht nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, eher im Gegenteil: Er hat sich ganz klar positioniert. Hudson-Odoi ist ein sehr guter Spieler, verdammt jung. Er passt gut in die Umbruchphase bei Bayern.
Trotzdem hat Bayern zuletzt einige junge Spieler nicht bekommen - etwa die Dortmunder Jadon Sancho und Christian Pulisic oder Frenkie de Jong von Ajax. Fehlt Bayern die Anziehungskraft?
Für junge Spieler ist es beim FC Bayern schon immer extrem schwierig gewesen. Für 18- oder 19-Jährige ist der Schritt riesig. Ich finde es gut, wenn ein Spieler wie Sancho sagt, dass er sich Bayern noch nicht zutraut. In Dortmund hat er die größere Chance zu spielen, und das ist das Wichtigste für junge Spieler. Bayern kann für Sancho ja immer noch kommen.
Helmer über den BVB: Es wird schwer für Bayern
Welcher Ihrer Ex-Klubs wird denn das Meisterrennen für sich entscheiden?
Das kommende Wochenende wird einiges zeigen. Dortmund hat in Frankfurt nie besonders gut ausgesehen, das ist ein schweres Spiel. Leverkusen trifft mit dem neuen Trainer Peter Bosz auf Bayern. Vielleicht kommt jetzt noch mehr Spannung in den Titelkampf. Dortmund hat noch die schwierigeren Aufgaben in der Rückrunde. Aber wenn der BVB keine Verletzten bekommt, wenn die Form und Begeisterung anhält, wird es für Bayern sehr schwer. Wenn es Dortmund allerdings dieses Jahr nicht schafft, wird es die kommenden Jahre schwerer für den BVB.
Geht es für Niko Kovac im Sommer bei Bayern weiter?
Auf jeden Fall, ja. Niko hat diese Delle im Herbst sehr cool und souverän bewältigt. Er hat auch den einen oder anderen Fehler abgestellt, er rotiert nicht mehr so viel. Das hat mir sehr imponiert. Niko ist immer ruhig geblieben, er hat sehr an Profil gewonnen. Deswegen glaube ich, dass Bayern in der Rückrunde sehr erfolgreich spielen wird. Und dann spricht nichts dagegen, dass Niko weitermacht.
Wie sieht es bei Mats Hummels und Jérôme Boateng aus?
Das liegt an den beiden selbst. Ich glaube nicht, dass Bayern sie wegschicken würde. Niklas Süle hat anscheinend die Nase vorne. Deshalb ist es durchaus vorstellbar, dass Hummels oder Boateng in der Rückrunde so wenig spielt, dass er den Verein verlassen würde. Süle hat sich sehr gut entwickelt, er ist stark im Zweikampf, groß und schnell. Da hat er einen Vorteil gegenüber Hummels und Boateng. Ich finde die beiden in der Spieleröffnung aber überragend.
Lesen Sie auch: Alternativen für Lewandowski? Fehlanzeige!
Lesen Sie auch den AZ-Kommentar: Wagner-Verkauf - Bayern treibt ein gefährliches Spiel