Profi beim FC Bayern
Senkrechtstarterin Franziska Kett
25. März 2023, 15:47 Uhr aktualisiert am 25. März 2023, 15:47 Uhr
Auf geht's Bayern, schießt ein Tor", tönt es von den Rängen. Inzwischen ist es dunkel und ein leichter Nebelschleier liegt über dem Feld, das durch Scheinwerfer taghell ist. In der Schlussphase liegen die Frauen des FC Bayern München knapp, aber verdient mit 1:0 in Führung. Es ist kalt am FC-Bayern-Campus, einige Fans sind in Decken gewickelt, die anderen wärmen sich mit einem Getränk oder einer Bratwurstsemmel. Die Stimmung ist gut, doch der Sieg im Bundesliga-Spiel gegen die SGS Essen ist noch nicht eingetütet. Es ist die 77. Minute.
Lea Schüller, Nationalspielerin des Jahres und Torschützenkönigin der Vorsaison, verlässt für das 18-jährige Offensivtalent Franziska Kett das Feld. Ein Einwurf der Gegnerinnen endet mit einem Angriff der Bayern. Der letzte Ball landet nach einigen Stationen bei Franziska Kett. Sie legt sich den Ball auf den rechten Fuß und zieht ab, Schuss - Tor! Die Spielerinnen liegen sich in den Armen und das Publikum feiert die Vorentscheidung mit Trommeln und Fahnen.
Anfänge beim FC Edenstetten
Mit vier Jahren begann Franziska Kett zusammen mit ihrer Zwillingsschwester bei ihrem Heimatverein FC Edenstetten das Fußballspielen. Spaß am Fußball fand sie, nachdem sie ihrem Bruder regelmäßig beim Training zugesehen hatte. Ihre Familie war immer sport- und fußballbegeistert. In der Jugend bei Edenstetten konnte man das Talent von Franziska schon erahnen. 2018 wechselte sie ins Nachwuchsleistungszentrum der SpVgg GW Deggendorf. Dort spielte sie bis zur C-Jugend hochklassig mit den Buben. Ihre Stärken waren schon damals ihre Körperlichkeit und Schnelligkeit. Sie hatte dementsprechend auch keine Probleme, mit dem Niveau der Buben mitzuhalten. Zusätzlich spielte sie schon mit 13 für die U15-Nationalmannschaft.
2020 wurde sie von der Trainerin der zweiten Mannschaft des FC Bayern München gesichtet. "Der FC Bayern war immer ein Kindheitstraum", erzählt Franziska mit einem Lächeln. Somit wechselte sie 2020 im Alter von 15 Jahren zum FC Bayern in die Landeshauptstadt. Dort wohnt sie seitdem in einem Internat und besucht ein Sportgymnasium.
"Schneller erwachsen geworden"
Anfangs war es "nicht leicht", weg von der Familie und auf sich allein gestellt zu sein. "Ich bin dadurch schneller erwachsen geworden", sagt sie. Im Sommer 2022 erhielt sie, nachdem sie zwei Jahre bei der zweiten Mannschaft der Bayern-Frauen gespielt hatte, einen Profivertrag. Daneben hat sie alle U-Nationalmannschaften durchlaufen, derzeit spielt sie in der U19 - Nationalmannschaft.
Ihr Hauptziel vor der Saison war es, ohne Blessuren zu bleiben, weil sie in der Vergangenheit oft verletzt war. Außerdem möchte sie so viele Spielminuten wie möglich sammeln. In der ersten Mannschaft spielt sie zusammen mit vielen A-Nationalspielerinnen, somit sind Niveau, spielerische Qualität und Tempo nochmal eine Klasse höher. Innerhalb des Teams wurde sie mit ihren damals 17 Jahren sehr gut aufgenommen. "Alle sind sehr nett und geben mir Tipps", sagt sie. Am besten versteht sie sich mit Nationalspielerin Sydney Lohmann.
Vor 50 000 Fans im Camp Nou
Obwohl es ihre erste Saison ist, erhält Franziska Kett bereits viel Spielzeit. Sie steht vier Mal in der Startelf - beispielsweise im legendären Camp Nou im Champions-League-Match gegen den FC Barcelona vor 50 000 Menschen.
Ein bisschen Schicksal ist auch dafür verantwortlich, dass sie sich so schnell in der Mannschaft etabliert hat. Dadurch, dass der norwegische Trainer Alexander Straus in der Vorrunde verletzungsbedingt auf viele Spielerinnen verzichten muss, bekommt sie öfter das Vertrauen. Diese Chancen nutzt Kett - und erzielte bereits zwei Saisontore. Ihre Einwechslungen bringen frischen Wind in die Mannschaft. Ihre offensiven Qualitäten, ihre Körperlichkeit und Beidfüßigkeit sind eine Bereicherung für das Team. Als sie von ihrem ersten Tor erzählt, lacht sie, denn "es war nicht das beste Tor, aber trotzdem werde ich es am meisten in Erinnerung behalten".
Der Frauen- und Männerfußball unterscheiden sich grundlegend. Die größten Differenzen gibt es im finanziellen Bereich. Profifußballerinnen in der 1. Frauen-Bundesliga verdienen im Durchschnitt 43 670 Euro im Jahr. Bei den Männern sind es 1,8 Millionen. Der deutsche Frauenfußball befindet sich gerade auf dem Weg zur Professionalisierung. Gute Trainingsbedingungen und ein Gehalt, von dem man leben kann, gibt es nicht bei jedem Verein. Im Frauenfußball wird weniger provoziert, diskutiert und geschauspielert. Außerdem zeigen sich die Frauen oft nahbarer und positionieren sich politisch, besonders im Bereich Diversität und Toleranz. Während Homosexualität im Männerfußball ein Tabuthema ist, gibt es im Frauenfußball viele offen queere Spielerinnen.
Souverän und selbstsicher
Franziska Kett ist circa 1,71 Meter groß, hat dunkelblondes langes Haar und ist eine eher ruhige und zurückhaltende Person. Die stetig wachsende Aufmerksamkeit bei Fans und Medien ist ungewohnt für sie. Nach dem Spiel gegen die SGS Essen ist es kalt und Franziska macht sich in eine Decke gewickelt auf den Weg Richtung Kabine, dabei begegnet sie einigen Fans, die nach Autogrammen fragen. Auch vor dem Stadion warten viele Anhänger des FC Bayern, die versuchen, die Spielerinnen abzufangen, um nach Fotos zu fragen. Franziska wirkt im ersten Moment ungläubig, dass die Menschen Fotos mit ihr machen wollen. Sie meistert die Situationen souverän, professionell und selbstsicher. Sie unterschreibt auf Trikots und macht Selfies. Noch sind solche Situationen surreal für sie.
Drei Fehltage pro Woche
Natürlich verspüre sie auch Druck. Damit umgehen zu können, ist eine der Herausforderungen für sie. Denn das Leben als Profifußballerin ist anstrengend. Bei jungen Spielerinnen kommt oft noch der Schulstress hinzu. Franziska ist gerade in der elften Klasse. Ihr Schultag dauert von 10 bis 15:30 Uhr. Dreimal die Woche hat sie während der Schulzeit mit der ersten Mannschaft Training, manchmal auch nach der Schule mit der zweiten Mannschaft. Am Wochenende sind die Bundesliga-Spieltage. Während der Champions-League-Saison sind auch unter der Woche Spiele. So kommt es vor, dass sie zusammen mit der Mannschaft nach Barcelona oder Lissabon fliegt, während sie eigentlich in der Schule sitzen müsste. Im Schnitt hat sie drei Fehltage pro Woche. Die Lehrer versuchen ihr, so gut es geht, mit Einzelnachhilfe entgegenzukommen. Teilweise werden Klausuren wegen ihr verschoben. Ihr Lieblingsfach neben Sport ist Mathe. Es ist oft nicht einfach Schule, Spiele, Training und Schule unter einen Hut zu bekommen. Franziska ist froh, wenn sie ihr Abitur hat, denn die Schule nimmt neben dem Sport fast all ihre Zeit in Anspruch. Ihr Ziel für den Abischnitt: "Hauptsache eine Zwei vor dem Komma, der Rest ist egal".
Stress beeinflusst die Psyche
Im Frauenfußball ist es wichtig, sich ein zweites Standbein aufzubauen, da die Gehälter weit von denen der Männer entfernt sind. Nach der Schule will sie auf jeden Fall studieren. Was genau, weiß sie noch nicht. "Entweder Lehramt oder Sozialpädagogik, auf jeden Fall was mit Kindern", sagt sie. Der Stress beeinflusst auch die Psyche, denn Freizeit und Familie kommen oft zu kurz. Ihre Familie ist ihr wichtig, denn diese hat sie immer unterstützt. Ohne sie wäre sie jetzt nicht da, wo sie ist. Wenn sie Zeit findet, verbringt sie gern Zeit in ihrer niederbayerischen Heimat. Ihre Herkunft ist auch aufgrund ihres Dialektes nicht zu überhören.
Frauenfußball ist seit der EM 2022 im Sommer auf dem Vormarsch. Immer mehr Menschen kommen in die Stadien und die Aufmerksamkeit in den Medien wird stetig größer. In den Kommentarspalten auf Social Media ist der Sport trotzdem noch von vielen Vorurteilen geprägt. Für Kett ist das "nicht schön zu hören", aber darüber müsse man hinwegschauen und sich auf den Sport konzentrieren. Franziska ist bodenständig, aber auch hochmotiviert und dementsprechend setzt sie sich ambitionierte Karriereziele. Sie strebt danach, in die A-Nationalmannschaft berufen zu werden und Stammspielerin beim FC Bayern zu werden.
Franziska Kett ist eine echte Senkrechtstarterin. Der Weg dorthin war nicht immer einfach und geprägt von Druck und Verzicht, "aber was tut man nicht alles für seinen Traum".
Zur Autorin:
Katja Bernkopf studiert in Passau Journalistik und strategische Kommunikation. Ihr Beitrag ist in einer Lehrredaktion entstanden, die in dem Studiengang integriert ist. Die Lehrredaktion wird von Redakteuren unserer Mediengruppe betreut.