Simons Querschuss

Die Skandalzunge


Simon Forster ist Sportvolontär bei der Landauer Zeitung. (Foto: Angelika Gabor)

Simon Forster ist Sportvolontär bei der Landauer Zeitung. (Foto: Angelika Gabor)

Von Simon Forster

Mario Balotelli hasst Journalisten. Und das hat seinen Grund: Denn die Regenbogenpresse liebt ihn. Der 22-jährige Italiener beliefert die Medien wie kaum ein Zweiter mit Futter und sieht sich des Öfteren einer gemeinen Hetze ausgeliefert. Jetzt könnte man behaupten, dass Balotelli selbst schuld daran sei, doch damit würde man die Kunstfigur Mario Barwuah Balotelli missverstehen. Wie so oft.

Als Balotelli im letzten Winter für 20 Millionen Euro von England nach Italien wechselte, wirkte es wie die Ankunft des verlorenen Sohnes. Beim AC Milano wurde er von Vize-Präsident Paolo Berlusconi warmherzig als "Negerlein der Familie" begrüßt. Und damit traf er den Kern in Balotellis Leben.

Genie und Wahnsinn

Jeder kennt die Szene, als sich Mario Balotelli das italienische Nationaltrikot vom Leib zerrt, es zu Boden wuchtet und in Bodybuilder-Pose jubelt. Das war im EM-Halbfi nale 2012 gegen Deutschland, das Balotelli im Alleingang gewann. Er vereinte an diesem Abend all das, was die deutsche Elf vermissen ließ. Genie. Wahnsinn. Absoluten Willen. Aber diese Szene war auch exemplarisch. Balotelli ist ein Selbstdarsteller, einer der durch sein Auftreten gerne arrogant und selbstverliebt wirkt. Der gern provoziert und polarisiert. Der häufig über das Ziel hinausschießt.

Von seinem Jubel gegen Deutschland ließ sich Balotelli eine Statue hauen, die jetzt in seinem Zuhause thront. Er wird es zufrieden betrachten, sein Denkmal aus Platin und die Augen aus Edelstahl. Es wird ihn erinnern, an seine glanzvollste Stunde. Aber es existieren eben auch Momente, die Balotelli infrage stellen, die ihn in die Opferrolle weisen, und die so manche Fragezeichen aufleuchten lassen.

Unglaubliche Eskapaden

Einmal soll Balotelli aus Langeweile Jugendspieler mit Dartpfeilen beworfen haben. In England wurde er angeblich über 30 Mal geblitzt, des Öfteren mit über 300 Stundenkilometer auf dem Tacho. Dabei hat er auch mehrere Luxuskarossen zu Schrott gefahren. Aus Jux soll er mit seinem Bruder im Sommer 2010 in ein Frauengefängnis in Brescia eingebrochen sein, einfach um zu sehen, wie es dort aussieht. Im Oktober 2011 schmiss Balotelli mit Freunden Feuerwerkskörper aus seiner Wohnung. Dabei fing ein Handtuch Feuer und kurz darauf brannte der ganze Raum. Und weil Balotelli sich in einer Tankstelle nicht anstellen und warten mochte, überholte er die Schlange vor sich und zahlte für alle mit. Mit den Eskapaden des Mario Balotelli könnte man womöglich Bücherseiten füllen, mit seiner Skandalzunge die Boulevardmedien verzücken. Häufig redet er von sich in der dritten Person. "Ich denke, Mario muss niemandem etwas beweisen", sagt er dann. Oder um zu erklären, wieso er 5.000 Pfund in seinem Handschuhfach liegen hat, meint er: "Weil ich reich bin." Seine Frauengeschichten und Stripclub-Besuche passen dabei nur zu gut ins Bild.

Balotelli - Das einsame Kind

Aber dieser Balotelli hat auch eine andere Seite. Eine Kehrseite der Medaille, wenn man so will. Und um diese Seite zu verstehen, muss man dorthin zurückgehen, wo seine Geschichte beginnt. 1990 wird Mario Barwuah als Sohn ghanaischer Immigranten in Palermo geboren. Mit drei Jahren geben seine Eltern ihn in die Obhut der Pflegefamilie Balotelli. Sie hätten nie vorgehabt ihn abzugeben, behaupten sie später. Aber Mario, das zweite von vier Kindern, sei zu betreuungsintensiv gewesen. Verziehen hat Balotelli seinen Eltern bis heute nicht. "Sie suchen meine Nähe nur des Geldes wegen", stellt er klar. Aber innerlich fühlt sich Balotelli verständlicherweise zu seinen Pflegeeltern hingezogen. Dort bekommt er die Liebe, die sich das einsame Kind wünscht. Dort findet er Halt.

Schutzhülle gegen Rassismus

Sein fußballerischer Werdegang wirkt dagegen mustergültig. "Er spielte schon mit 15 wie ein 30-Jähriger", behauptet sein Entdecker Walter Salvioni. Aber auch hier muss sich Balotelli von klein auf durchsetzen. Als Schwarzer in Italien hätte er es nie leicht gehabt, sagt sein Berater Raiola. "Er war als Kind unglaublichem Rassismus ausgesetzt." Und auch heute schlägt Balotelli teilweise blanker Hass entgegen. Affenlaute in seiner Nähe sind keine Seltenheit. Und der Ruf von Turiner Fans, ein Schwarzer gehöre nicht in das italienische Nationaltrikot, hatten ihn sehr getroffen. Balotelli versucht, damit umzugehen. So gut es eben geht. Er wirkt oft in sich gekehrt, wie ein Kind, das seinen Argwohn bündelt. Und seine Eskapaden und Skandale sind sein Ventil, um auch einmal auszubrechen. Auf den Rassismus angesprochen, baut Balotelli eine Schutzhülle um sich auf: "Wenn mich jemand auf der Straße mit einer Banane bewirft, werde ich denjenigen umbringen." Und so wird dem "Enfant terrible" Mario Balotelli in der Öffentlichkeit vielleicht auch oft unrecht getan. Nicht immer, aber manchmal. Für Balotelli könnte seine Jubelpose gegen Deutschland auch eine ganz spezielle Bedeutung gehabt haben: Das Ausbrechen aus dem Korsett der Sklaverei. Was bleibt, ist ein Mensch voller Widersprüche. Genie und Wahnsinn. Könner und Kindskopf. Verstoßener und Geliebter. Rebell und Familienmensch.