Flick will Taktik umstellen
Auch gegen Lyon: FC Bayern leistet sich defensiv Nachlässigkeiten
20. August 2020, 10:09 Uhr aktualisiert am 21. August 2020, 6:43 Uhr
Der FC Bayern setzt sich auch gegen Olympique Lyon souverän durch - leistet sich zwischenzeitlich aber erneut Nachlässigkeiten in der Defensive. Bekommt Hansi Flick die Probleme bis zum Finale am Sonntag abgestellt?
Lissabon - Ob Hansi Flick schon ahnte, was da auf die Bayern zukommt? Er sei mit der Trainingsleistung am Dienstag unzufrieden gewesen, monierte der Bayern-Coach relativ unverhohlen vor dem Champions-League-Halbfinale gegen Olympique Lyon (3:0). Die Franzosen seien taktisch sehr gut geschult und stets in der Lage, ihren Gegnern in Umschaltsituationen Probleme zu bereiten, warnte Flick weiter. Er sollte Recht behalten
Denn wie bereits gegen den FC Barcelona stand sein Team zu Beginn unsicher in der Defensive. Den Bayern war in der Anfangsphase die Fallhöhe deutlich anzumerken. Nach dem historischen 8:2-Sieg über die stolzen Katalanen als haushoher Favorit in die Partie gegen den Tabellensiebten der abgebrochenen Ligue 1-Saison gegangen, fehlten dem Double-Sieger zunächst Lockerheit, Leichtigkeit und Präzision.
Der frühere französische Serienmeister dagegen agierte couragiert und aufsässig und schien den Schwung aus dem Viertelfinal-Sieg gegen Manchester City mitgenommen zu haben. Bereits nach vier Minuten leistete sich Thiago im Mittelfeld einen gravierenden Fehlpass, nur wenige Sekunden später scheiterte Lyon-Kapitän Memphis Depay im Eins gegen Eins an Manuel Neuer. Kurz darauf musste Jérôme Boateng eine Hereingabe von Maxwell Cornet in höchster Not klären.
Neuer: "Glück, dass wir nicht in Rückstand geraten"
In der 17. Spielminute entwischte der flinke Karl Toko Ekambi Alphonso Davies und scheiterte am Pfosten, bevor Serge Gnabry die Bayern im direkten Gegenzug mit einem sehenswerten Fernschuss-Hammer in Führung brachte. Bis dahin konnten die Münchner lediglich 33 Prozent der Zweikämpfe für sich entscheiden, das sonst so effektive Pressing funktionierte nicht wie gewohnt.
"Wir hatten am Anfang den einen oder anderen Ballverlust zu viel, obwohl wir eigentlich gar nicht so sehr unter Druck standen. So haben wir sie ins Spiel gebracht und sie dran glauben lassen", konstatierte Joshua Kimmich, der auch gegen Lyon anstelle des noch nicht ganz fitten Benjamin Pavard auf der Rechtsverteidigerposition auflief.
Ähnlich fiel die Analyse von Neuer aus. "Wir hatten am Anfang etwas Glück, dass wir nicht in Rückstand geraten", meinte der Bayern-Kapitän, der gegen Lyon mit mehreren starken Reflexen das Gegentor verhinderte (AZ-Note 1): "Wir hatten auch Glück, dass das Tor von Serge zur richtigen Zeit kam."
Derlei Nachlässigkeiten sollten sich die Bayern im Geister-Finale am kommenden Sonntag (21 Uhr, Sky, DAZN, ZDF und im AZ-Liveticker) nicht leisten, wenn es gegen die Millionen-Truppe von Paris Saint-Germain geht. Das Team um die Mega-Stars Neymar und Kylian Mbappé sicherte sich die Finalteilnahme am Dienstagabend durch einen höchst souveränen 3:0-Sieg über RB Leipzig und will sich nun, neun Jahre nach dem Einstieg des katarischen Multi-Milliardärs Nasser Al-Khelaifi, endlich mit dem Titel in der Königsklasse krönen.
Gegen PSG: Flick will Defensivtaktik umstellen
Ob es nur am kommenden Gegner oder auch den Nachlässigkeiten in der Abwehr lag - direkt nach dem Spiel hatte Flick taktische Veränderungen in der Verteidigung angekündigt. "Wir wissen, dass Paris sehr schnelle Spieler hat. Da müssen wir schauen, dass wir die Defensive etwas anders organisieren", sagte der Bayern-Trainer. Details dazu behielt er allerdings für sich.
"Wir spielen natürlich ein Spiel, mit dem wir immer hohes Risiko gehen durch das, dass wir so hoch stehen", sagte Innenverteidiger David Alaba. Lyon schaffte es am Mittwochabend mehrmals, die Münchner Defensive zu überlaufen. "Wir haben die Räume hinter der Abwehr nicht so gut verteidigt", sagte Flick, dem das "hohe Risiko" bewusst ist. "Man kann nicht immer jeden Ball verteidigen. Wir werden uns das heutige Spiel ansehen und das analysieren", ergänzte Alaba. Außerdem störten Flick die "leichtfertigen Ballverluste", die seine Elf gegen die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel abstellen müsse.
Jérôme Boateng muss gegen Lyon verletzt raus
Bitter: Womöglich wird Hansi Flick, der zuletzt dreimal in Folge dieselbe Startelf aufbot, seine Defensive ausgerechnet im Endspiel gegen die offensivstarken Franzosen umbauen müssen. Jérôme Boateng zog sich gegen Lyon eine Muskelverletzung zu und wurde zur Halbzeit ausgewechselt. Wie schwer die Verletzung wiegt und ob auch eine Teilahme im Endspiel gefährdet ist, ist noch unklar. Der 31-Jährige wurde in der Pause durch Niklas Süle ersetzt, dem die fehlende Spielpraxis nach seiner monatelangen Verletzungspause allerdings noch anzumerken war.
Dass die Defensivprobleme im Halbfinale phasenweise relativ deutlich aufgedeckt wurden, dürfte Hansi Flick angesichts des zu keinem Zeitpunkt gefährdeten Weiterkommens nicht einmal ungelegen kommen. Anders als der berauschende Viertelfinal-Erfolg gegen Barca taugt der Sieg über Lyon nämlich keineswegs zur Überheblichkeit. Dass seine Stars das Training auch in den kommenden Tagen locker angehen werden, scheint vor dem Finale zumindest äußerst unwahrscheinlich.
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