Wahlfälschung in Geiselhöring
„Möglichkeit, ein verworrenes Knäuel aufzulösen“
13. Oktober 2018, 9:09 Uhr aktualisiert am 13. Oktober 2018, 9:09 Uhr
Der Prozess um die Fälschung der Kommunal- und Kreistagswahl in Geiselhöring steht vor dem Ende Strafverteidiger Matthias Dominok erklärt im Interview, in welchem Fall eine Einstellung Sinn macht.
Vier Jahre dauerte es, bis der Prozess zur Wahlfälschung in Geiselhöring (Kreis Straubing- Bogen) begann. Nun könnte er ein schnelles Ende finden. Stimmt die Staatsanwaltschaft dem Vorschlag von Richter Georg Kimmerl am Montag zu, wird das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Das löste schon vorab einen öffentlichen Aufschrei aus. Viele verstehen nicht, warum die Schuldfrage nach einer annullierten Wahl offen bleiben darf. Der Strafverteidiger Matthias Dominok erklärt im Interview, welche Voraussetzungen für eine Einstellung erfüllt sein müssen und warum die Schuldfrage manchmal unbeantwortet bleibt.
Herr Dominok, der Prozess um die Geiselhöringer Wahlfälschung könnte eingestellt werden. Was sind die Hintergründe?
Matthias Dominok: Das Verfahren könnte nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt werden. Diese Option gewährt der Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen. Es darf die Schwere der Schuld nicht entgegenstehen und alle Beteiligten müssen zustimmen. Deshalb hat sich die Staatsanwaltschaft Bedenkzeit erbeten. Bedingung für die Einstellung wäre zudem eine Auflage. Das kann Geld, aber auch gemeinnützige Arbeit sein. Die Auflage muss das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigen.
Das Strafverfahren - würde es am Montag eingestellt werden - würde dann ohne Schuld- und ohne Freispruch enden?
Dominok: Genau. Bei Erfüllung der Auflage endet das Verfahren. Der Sachverhalt könnte nicht erneut als Vergehen verfolgt werden.
Die Geldauflage soll 100.000 Euro für den hauptbeschuldigten Spargel- und Beerenbauern betragen. Wie kommt der Betrag zustande?
Dominok: Das ist Verhandlungssache. Im Gesetz steht dazu nichts. In der Praxis guckt man etwa auf die Einkommensverhältnisse des Angeklagten. Rein faktisch hat eine Auflage Sanktionscharakter, obwohl sie keine Strafe ist. Das Charmante für die Verteidigung ist, dass formal keine Schuld festgestellt wird. Der Beschuldigte ist also nicht vorbestraft, die Unschuldsvermutung gilt fort.
Wem fließt das Geld zu und wer trägt im Falle einer Einstellung die Kosten des Verfahrens?
Dominok: Meistens geht das Geld an die Staatskasse oder an eine gemeinnützige Einrichtung. Die Ermittlungs- und Verfahrenskosten trägt die Staatskasse. Die Verteidigung muss der Beschuldigte selbst zahlen.
Wer müsste für die 300.000 Euro für die Nachwahl aufkommen?
Dominok: Das ist eine Frage, die unabhängig zu sehen ist. Eine Folge der Einstellung wird nicht sein, dass die Angeklagten diese Kosten übernehmen müssen.
Könnte dafür gesondert geklagt werden oder gäbe es da eine Art automatisches Anhängeverfahren?
Dominok: Nein, da müsste neu geklagt werden. Gegebenenfalls von dem, dem die Kosten entstanden sind; in diesem Fall also der Kommune und dem Landkreis. Die Einstellung des Strafverfahrens ist kein Präjudiz für ein weiteres Verfahren. Da müsste man in jedem Fall eine eigene Beweisführung machen. Das wäre aber selbst bei einem Urteil so.
Könnte für eine Einstellung des Strafverfahrens eine geständige Einlassung zur Bedingung gemacht werden?
Dominok: Das versucht die Staatsanwaltschaft manchmal. Es liegt dann am Betroffenen, ob er das macht oder nicht.
Warum stellen Gerichte Verfahren überhaupt ein?
Dominok: Meistens ist es ein Ursachenbündel. Die StPO regelt, dass eine Straftat verfolgt, aufgeklärt und geahndet werden muss. Aber der Gesetzgeber hat Ausnahmen gemacht, um Strafverfahren flexibler zu machen. Das Verfahren hier dauert nun schon über vier Jahre, vielleicht müsste man noch zwei Jahre vor dem Landgericht weitermachen. Dann gäbe es ein Urteil, eine Revision, vielleicht eine Rückverweisung und so weiter. Zudem gibt es offenbar viele Beweismittel und es steht die Frage im Raum, ob die Staatsanwaltschaft das ganze Material korrekt zugänglich gemacht hat. Das Potenzial für ein langes Verfahren, dessen Ausgang niemand kennt, ist also sehr hoch. Da hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, ein vielleicht verworrenes Knäuel aufzulösen.
Viele Menschen fragen sich, ob es im Fall einer Wahlmanipulation, durch die mehr als 78.000 Wähler erneut wählen mussten, nicht geboten ist, Schuld oder Unschuld zu klären.
Dominok: Zu dieser Frage muss sich jeder seine eigene Meinung bilden. Im Gesetz steht aber nicht, dass der 153a ausscheidet, wenn 78.000 Bürger neu wählen müssen. Hätte der Gesetzgeber das gewollt, hätte er die Wahlfälschung als Verbrechen, nicht als Vergehen, ins Gesetz aufnehmen können. Dann wäre der 153a ausgeschlossen.
Für den Laien entsteht dennoch der Eindruck, man kann sich aus Verfahren herauskaufen.
Dominok: Ich verstehe jeden, der sagt, in so einem Fall kann es keine Auflage geben, die das öffentliche Interesse beseitigt - egal wie viel Geld gezahlt wird. Aber der Gesetzgeber sieht das anders. Außerdem müssen sie erst mal dahinkommen, dass man ihnen eine Einstellung gegen Geldauflage anbietet.
...was mit teuren Verteidigern natürlich leichter fällt.
Dominok: Geld hilft überall und Qualität kostet, das steht fest. Aber es kommt schon drauf an, wie groß die Beweisschwierigkeiten sind, wie lange das Verfahren noch dauern würde, wie teuer es wäre und so weiter. Mit Geld allein kommt man nicht weit. Ich kann versichern: In Bayern schaut sich die Staatsanwaltschaft sehr genau an, ob ein Verfahren eingestellt wird oder nicht. Es ist ja auch noch offen, ob es hier so kommt. Klar ist aber auch, wenn der Gesetzgeber dieses Instrumentarium gibt, um Flexibilität zu ermöglichen, kann man es den Beteiligten nicht zum Vorwurf machen, wenn sie es gebrauchen.
Richter Georg Kimmerl sagte am Dienstag, es gebe durch die Nachwahl keine negativen Folgen. Ist eine Nachwahl juristisch keine negative Folge?
Dominok: Das ist eine Wertungsfrage. Durch die Nachwahl sind Kosten und Unruhe entstanden, aber ein gewählter Mandatsträger ist auch durch eine Nachwahl rechtsgültig gewählt. Unter dem Strich ist also ein Mehraufwand da, aber kein bleibender Schaden.
Auch die Stadt könnte eine Mitverantwortung an der Manipulation tragen. Die Wahl könnte sogar von vornherein ungültig gewesen sein. Ist die Tat der Manipulation dann nicht ausgeschlossen?
Dominok: Die Betroffenen konnten nicht davon ausgehen, dass die Wahl schon ungültig war. Und bei der Wahlfälschung ist bereits der Versuch strafbar. Daher lautet die Antwort: nein.
Wenn die Stadt mit schuld sein soll, ist dann auch ein Verfahren gegen sie denkbar, und wer könnte das anstoßen?
Dominok: Die Staatsanwaltschaft wird sicher geprüft haben, ob es strafbares Verhalten gegeben hat, zu einer Anklage kam es aber bisher nicht. Von dem her ist da strafrechtlich wohl nichts zu erwarten.
Die lange Verfahrensdauer liegt auch daran, dass die Staatsanwaltschaft zweimal Beweismittel zurückgehalten oder wenigstens nicht auf ihre Existenz hingewiesen hat. Wie kann es dazu kommen?
Dominok: Es kommt vor, dass die Staatsanwaltschaft vorhandene Beweismittel nicht vorlegt, die aus ihrer Sicht unwichtig sind. Als Verteidiger müssen sie dann nachhaken, denn diese Unterlagen können ja entlastende Umstände enthalten, also doch wichtig sein.
Aber wie kann es sein, dass Ermittlungen der Staatsanwaltschaft mehr als vier Jahre dauern und mit der Verfahrensdauer dann eine Vertagung kritisch bewertet wird?
Dominok: Das Gericht muss auch die Angeklagten im Blick behalten. Wenn sie vier Jahre unter so einem Damoklesschwert leben, ist das eine sehr belastende Situation. Diese Belastung kann das Gericht bei seiner Abwägung für die Einstellung berücksichtigen.