Hühner in der JVA Straubing

Glücklich im Knast


Ausgerechnet in der JVA sollen die glücklichsten Hühner der ganzen Stadt leben. Cartoon: Wolfgang Warmdt

Ausgerechnet in der JVA sollen die glücklichsten Hühner der ganzen Stadt leben. Cartoon: Wolfgang Warmdt

Liebe Kinder, die ihr glaubt, dass der Osterhase die Eier macht: Hört jetzt auf zu lesen. Legt die Zeitung beiseite, geht raus in den Garten und spielt was. Dieser Artikel ist nichts für euch. Ihr anderen aber, kommt her. Wir wollen heute von Gallus gallus domesticus sprechen, unserem Haushuhn. Wie? Ihr wisst nicht, was ein Huhn ist? Das ist das Tier, das in Wahrheit die Eier macht, man sagt aber nicht "macht", sondern "legt". Ihr fragt, wie es aussieht? Stellt euch einen Osterhasen im Federkleid vor, jedoch ohne Langohr, und statt eines Näschens einen Schnabel, aber statt vier Beinen nur zwei: Das ist ein Huhn. Heute gehen wir dahin, wo Hühner glücklich sind.

Wollen wir ehrlich sein? Das aufregende Leben eines Tagblatt-Reporters fühlt sich manchmal ziemlich nasskalt an, am Dienstag zum Beispiel. Aber was hilft's, es gilt, rechtzeitig vor Ostern die glücklichsten Hühner Straubings zu finden. Die sollen draußen im Knast sein, ausgerechnet in der JVA. Frei und glücklich sollen sie dort herumlaufen, sogar im Regen, nicht so wie ihre armen Artgenossen in den Hühnerfabriken, während die Menschen hier eingesperrt sind. Wo, bitte, gibt es das sonst? Also hinaus zur JVA.

Damit's keine Missverständnisse gibt: Bestimmt sind in Straubing auch anderswo glückliche Hühner, die hinaus dürfen aus dem Stall, um in Gärten zu scharren und all die Sachen zu machen, die Hühner so glücklich machen, Staubbäder nehmen zum Beispiel. Aber in großer Zahl gibt es das in Straubing vermutlich nirgendwo anders als hier, über 300 sollen es sein. Dass ausgerechnet in der JVA, von der man doch denkt, dass dort nicht einmal ein Huhn herauskann, dass genau dort glückliche Hühner leben: Das ist doch schön.

Es gibt auch sehr freche Hühner

Als Tagblatt-Reporter, der einst auch Sportberichte verfasste, weiß man über Hühner im Grunde ja nicht sehr viel mehr, als dass in Eisstadien früher bei Schiri-Fehlern ein Gummihuhn aufs Eis geworfen wurde. Wenn nun der Schiri sich bückte und dieses Huhn entfernte, schrie ein ganzes Stadion: "Hüühnerdiieb! Hüühnerdiieb!" und war schwer entrüstet. Nicht allzu viel Wissen, mag sein, aber manche wissen nicht einmal das über Hühner. Man fährt die Straße Grasiger Weg hinauf, dann links in einen Feldweg, dann kommt man zur Landwirtschaft der JVA und zu Franz Bayerl, Landwirt in Uniform und Herr über 65 Hektar JVA-Landwirtschaftsfläche. Natürlich liegt die nicht in der JVA selbst. Der Hof liegt neben der JVA.

Damit steht schon einmal fest, dass die Hühner eigentlich gar nicht richtig in der JVA drin sind. Schade eigentlich, es schmälert die Pointe ein bisschen, aber andererseits: So ist das im modernen Strafvollzug. Da muss man nicht mehr unbedingt hinter der Mauer sein. Vom Hof nur ein paar Schritte, schon sind wir mittendrin im Hühnerhaufen. Sehr viele Hühner spazieren hier rum und scharren vor sich hin, und manchmal kommen welche ganz dicht heran und wetzen und picken an unseren Schuhen herum, keine Ahnung warum. Vielleicht mögen sie Schuhe.

"Es gibt auch freche Hühner", sagt Norbert später im Stall, er ist einer von zwei Häftlingen, die sich um die Hühner kümmern. Seit zwei Monaten kümmert er sich, vorher hat er mit Hühnern noch nie was zu tun gehabt. "Sehr gewöhnungsbedürftig", sagt Norbert, "der Geruch ist schon ein bisschen naja." Der Geruch im Stall ist wirklich ein bisschen naja, ein bisschen beißend fast. Aber für uns Angehörige der 50plus-Generation weckt das Kindheitserinnerungen.

Sind Hühner wirklich so dämlich?

Als wir noch Kinder waren, gab es ja noch sehr viel mehr Bauern als heute, praktisch jeder hatte einen Hühnerstall, und irgendein Vater, Mutter, Opa oder Oma stammte direkt oder indirekt aus der Landwirtschaft. Aus solchen oder anderen Gründen kam unsereiner als Bub immer wieder auf einen Bauernhof und hat den sprichwörtlichen Gickerl gesehen, der auf dem Mist sprichwörtlich kräht. Irgendwie nett, wenn man das jetzt wieder in der Nase hat.

321 Hühner leben hier, Franz Bayerl weiß das genau, weil er von jeder eine Karteikarte hat. Eine Gickerl-Karteikarte hat er aber nicht, weil es hier keinen Gickerl gibt. Die Hennen würden nur auf ihm rumhacken, sagt Franz Bayerl, da hätte ein Gickerl kein schönes Leben. Das deckt sich nicht ganz mit unserer Vorstellung vom Gickerl-Dasein, weil unsereiner ja ständig dieses sprichwörtliche Hahn-im-Korb-Dasein im Kopf hat. Vielleicht wissen die Hühner hier nicht, dass man nicht rumhacken soll auf einem stolzen Giggerl. Hühner sollen ja nicht gerade sehr schlau sein.

Wahrscheinlich gibt es kein Haustier, über das der Mensch so wenig weiß wie über das Huhn. Was weiß man schon über Hühner? Eigentlich nur, dass sie dämlich sind und man sich nicht besonders gut mit ihnen unterhalten kann, weil sie rein gar nichts kapieren. In den sehr schönen Pettersson-und-Findus-Geschichten für kleine Kinder zum Beispiel kommen die Hühner immer gar nicht gut weg: Blöd und kapieren nix und halten nur Kaffeeklatsch. Und wir Älteren haben damals in der Schule noch gelernt, dass ein Huhn zu dämlich ist, um durch ein Loch im Zaun auf die andere Seite zu gehen, wo das Futter ist, wenn das Loch nicht direkt vorm Schnabel ist. Stimmt aber gar nicht.

Sie können sogar bis fünf rechnen!

Heute sagt die Wissenschaft, dass Hühner intelligenzmäßig leicht mit Menschenaffen mithalten können, und dass sie Kleinkindern sogar überlegen sind. Die Wissenschaftler der Universität Trient haben nämlich herausgefunden, dass kleine Küken im Zahlenraum eins bis fünf rechnen können, Menschenaffen und Menschenbabys dagegen nur im Zahlenraum eins bis drei, obwohl etwas unklar ist, warum ein Baby überhaupt bis fünf rechnen soll. Jedenfalls: Dummes Huhn? Stimmt ja gar nicht. Oder doch? Was sagt Franz Bayerl dazu?

"Wenn man sie treiben will", sagt Franz Bayerl, "dann sind sie blöd." Dann rennen sie planlos durcheinander, wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen könnte man sagen, genau wie bei Pettersson und Findus. Aber sonst sind sie schlau. Einmal hat Franz Bayerl probiert, ihnen diese Euronester unterzujubeln, die so praktisch sind aus menschlicher Sicht, weil das Ei darin abrollen kann und leicht entnehmbar ist. Aber Nester aus Heu mögen sie lieber, da haben sie das Eurozeug auseinandergepickt und dann rausgeschmissen. Jetzt haben sie wieder Nester aus richtigem Heu. Das ist doch schlau.

Man weiß heute auch, dass manche Hühner Bon Jovi lieben und andere Bach, und dass wieder andere einfach nur ihre Ruhe wollen. Vielleicht sind das die, die hier in der JVA-Landwirtschaft unter dem Zaun durchflutschen und die Weide wechseln, rüber zu den fünf Coburger Fuchsschafen, die auf der anderen Seite des Zauns stehen und nur still glotzen. Oder vielleicht glauben Hühner, dass das Leben auf der anderen Seite des Zauns immer schöner ist. Seit 500 Jahren hören sie ständig den Satz: "Für d'Hehna daugts." Das sagt man, wenn es um Minderwertiges geht. Da muss ein Huhn ja den Eindruck bekommen, das es überall anderswo besser ist.

Manche kämpfen um jedes Ei

Im Hühnerstall selber ist ein ziemliches Gegacker, obwohl die Hühner insgesamt einen friedlichen Eindruck machen. Aber da soll man sich nicht täuschen lassen. Norbert sagt, dass hier Hühner dabei sind, die einen anfliegen und richtig attackieren. Andere dagegen sind echte Pazifisten, "ganz ruhige", sagt Norbert, "denen kann man die Eier unterm Legen quasi wegnehmen, die legen es direkt in die Hand. Und andere kämpfen um jedes Ei." Aber noch nie hat ein Huhn diesen Kampf gewonnen. So richtig schlau ist so ein Kampf also nicht.

In der JVA-Landwirtschaft außerhalb der Mauer arbeiten Häftlinge, die nicht mehr lange zu ihrer Entlassung haben, sie dürfen außerhalb der Mauer arbeiten und wohnen wie Norbert. Mit ihrer Landwirtschaft setzt die JVA jährlich etwa 160 000 Euro um, die Hühner sind ein kleiner Teil davon. Nicht viel im Vergleich mit den knapp 20 anderen JVA-Branchen, die insgesamt sechs Millionen umsetzen. Aber Kleinvieh macht auch Mist, und außerdem Eier. Die braucht auch eine JVA.

In der JVA haben sie Lohmann- braun-Hühner. Das ist eine sehr robuste Rasse, von der jedes Huhn bis zu 300 Eier jährlich legt, was unter den Hühnerrassen eine Top-Leistung ist. Seit gut 20 Jahren haben sie Hühner hier, alle zusammen legen sie jeden Tag etwa 270 Eier. Jeden Dienstag und Freitag ist neben dem Hof von 9 bis 10 Uhr ein kleiner Markt, und die Eier sind sehr schnell ausverkauft. Am Dienstag hatten sie 170 Eier zu verkaufen, aber er hätte leicht 500 Eier verkaufen können, sagt Johann Haushofer, der Verkäufer. Vor Ostern sind Eier eben gefragt.

Bis der Große Gickerl sie ruft

Die Eier am Markt sind immer frisch, immer direkt aus dem Stall. Dort geht um vier Uhr früh das Licht an, und dann legen die Hühner los, "legen" darf man ruhig wörtlich nehmen. "Erst stehen sie auf und fressen", sagt Franz Bayerl, "dann ziehen sie sich in die Nester zurück und legen ein Ei." Zwischen sieben und neun Uhr sind sie dann fertig.

"Dann ist der Tag eigentlich gelaufen für sie", sagt Franz Bayerl, "der Rest ist Freizeit." Es ist wie bei den Comedian Harmonists: "Ich wollt, ich wär ein Huhn, ich hätt nicht viel zu tun, ich legte täglich nur ein Ei und sonntags auch mal zwei."

Im Vergleich zu den großen Legehennen-Fabriken ist das Hühnerleben hier paradiesisch. In den großen Fabriken leben 800 000 Hennen und mehr, falls man das "leben" nennen kann. Die JVA-Hühner haben ein Freilaufgelände von 0,65 Hektar, das sind 20 Quadratmeter pro Huhn.

Wenn einem Huhn das nicht reicht, flutscht es unter dem Zaun durch und marschiert rüber zu den Coburger Fuchsschafen oder sonst irgendwie über den Hof. "Das sollten sie eigentlich nicht", sagt Franz Bayerl. Aber manchmal kapieren sie eben die einfachsten Sachen nicht.

Wenn Hühner in den großen Lege-Fabriken auch 20 Quadratmeter hätten, wären die Fabriken mindestens 1 600 Hektar groß. Sind sie aber nicht. Wie es sich dort lebt, kann man immer wieder im Fernsehen sehen. Da leben die JVA-Hühner schon besser, und zwar ungefähr ein Jahr lang, und wenn ein Bussard oder Habicht auftaucht, hauen sie ab unter Bäume und Büsche, was ja nicht dumm ist.

Nach einem Jahr dann werden sie verkauft, meist an JVA-Beamte für die Nebenerwerbslandwirtschaft daheim. Und wenn ein paar Jahre später ihre Zeit kommt und der Große Gickerl sie ruft, dann werden sie Suppenhuhn. So, Kinder, seid ihr fertig mit Spielen im Garten? Dann kommt wieder rein, gleich gibt es Hühnersuppe.