Gericht

Viereinhalb Jahre Haft für sexuelle Nötigung: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das bin.“


Symbolbild Justiz

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Von kö

Tobias V. empfindet sich als zweigeteilte Persönlichkeit. "Wenn ich mir die Anklage durchlese, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich das bin." Aber es gebe Zeiten, wo er keine Beschäftigung habe.... Tobias V. meint die Zeiten, in denen er zum Handy griff, Kinder und Jugendliche via Facebook oder WhatsApp kontaktierte und sie unter massiven Drohungen zu sexuellen Handlungen aufforderte.

Die Jugendkammer des Landgerichts verurteilte den 20-Jährigen gestern unter anderem wegen sexueller Nötigung zu einer Jugendeinheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten - und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Wie Vorsitzender Richter Oliver Dopheide in der Urteilsbegründung sagte, habe Tobias V. einerseits schlimme Taten begangen. Andrerseits, wenn man bedenke, wie er in einer sexuellen Identität gefangen sei, die ihn selbst erschrecke: "Dann möchte man auch nicht in der Haut des Angeklagten stecken."

Laut der von Staatsanwältin Barbara Keimel vertretenen Anklage trat Tobias V. zwischen September 2014 und September 2015 mit mindestens 20 Kindern und Jugendlichen in Kontakt und forderte diese auf, sexuelle Handlungen, vornehmlich Selbstbefriedigung, vorzunehmen. Um dies durchzusetzen, bedrohte V. die Geschädigten in den meisten Fällen. Manche weigerten sich. Viele kamen den Aufforderungen nach aus Angst, V. könnte kompromittierende Fotos oder Filme im Netz veröffentlichen, die er zuvor von ihnen erpresst hatte. In manchen Fällen drohte V., er komme zu den Betroffenen nach Hause und "poliere ihnen die Fresse", sollten sie seinen Forderungen nicht nachkommen.

Von drei Geschädigten erzwang V. persönliche Treffen, bei denen er sie zu sexuellen Handlungen zwang. Dem Angeklagten war das Alter der Betroffenen bekannt, so die Anklage. Staatsanwältin Keimel sah diese nach der Beweisaufnahme aufgrund des umfassenden Geständnisses des 20-Jährigen und der Aussage des ermittelnden Polizeibeamten dann auch als erwiesen an und forderte unter Einbeziehung eines Urteils aus dem Jahre 2014 eine Einheitsjugendstrafe von sechseinhalb Jahren. Zudem beantragte sie dem psychiatrischen Gutachten von Dr. Hubert Näger folgend die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Verteidigerin Sylke Meyer stellte die Unterbringung in den Vordergrund; dies sei der "einzig gangbare Weg für ihren Mandanten". Die Höhe des Strafmaßes stellte Meyer in das Ermessen des Gerichts.

Tobias V. war bereits 2014 wegen gleichartig gelagerter Delikte zu einer Jugendstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt worden. Damals hatte er 16 Kinder und Jugendliche kontaktiert. Zu persönlichen Treffen war es jedoch noch nicht gekommen. Er habe Angst, "dass Schlimmeres passieren könnte", sagte er gestern.

Dem Sachverständigen Näger gegenüber verglich er sich mit einem Autofahrer, dessen Fahrzeug über Eis schlittert - "und der wartet, bis es knallt". Der Grund für dieses Empfinden sei laut Näger eine Angst vor pädophilen Sexualfantasien. V. schaffe es nicht, seine "homosexuellen Tendenzen mit seinem Selbstbild in Einklang zu bringen". Näger stellte einen "erheblichen Leidensdruck" und ein suchtähnliches Verhalten fest. Es liege eine Entwicklung vor, die einer seelischen Abartigkeit gleichkomme. Vs Steuerungsfähigkeit sei im Tatzeitraum erheblich eingeschränkt gewesen. Die Voraussetzung für eine Unterbringung sei damit auch gegeben. Eine Therapie hält Näger für vielversprechend: Man könne derartige Neigungen zwar nicht heilen, den Betroffenen aber das Rüstzeug mitgeben, damit sie sich nie mehr in strafbares Verhalten verstricken.

Die Kammer folgte der Einschätzung des Sachverständigen. V. habe die Taten begangen, obwohl er gewusst habe, dass er damit anderen und sich selbst schade, so Richter Dopheide in der Urteilsbegründung. Sein Handeln sei einem Suchtverhalten sehr ähnlich. Zuletzt sei es sogar zu persönlichen Treffen mit Geschädigten gekommen: "Bei Drogensüchtigen nennt man das Dosissteigerung." Nachdem V. bei diesem Verlauf für die Allgemeinheit zunehmend gefährlich geworden wäre, sei eine Unterbringung ebenfalls gerechtfertigt.

Zu Gute gehalten hatte die Kammer dem 20-Jährigen - der aus einem intakten Elternhaus stammt und Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr war - neben der verminderten Schuldfähigkeit die Tatsache, dass er aufgrund seines Geständnisses den Geschädigten eine Aussage vor Gericht erspart hatte. Der therapiewillige Tobias V. selbst hatte sich in seinem letzten Wort zum widerholten Male für seine Taten entschuldigt und erklärt, dass er "einfach nur ein normales Leben führen möchte".

Das Urteil ist rechtskräftig.