"Was bleibt, ist die ständige Angst"
Einbrüche verunsichern Ergolding: Jetzt spricht eines der Opfer
12. Dezember 2016, 12:30 Uhr aktualisiert am 12. Dezember 2016, 12:30 Uhr
"Wohnungseinbruch im Landkreis Landshut". Man hat sich mittlerweile längst an Meldungen dieser Art gewöhnt. Entstandener Sachschaden hier, Beuteschaden da und von den Tätern meist keine Spur. Doch hinter dem meist trockenen Zahlenwerk stecken menschliche Schicksale. Traumata, die weit schwerwiegender sind, als der materielle Schaden.
Der Eindruck täuscht nicht: Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist in den vergangenen Jahren massiv angestiegen. Im Raum Niederbayern um satte 26,7 % im Zeitraum zwischen 2010 und 2015.
Gefahr aus Osteuropa?
Insbesondere im Landkreis Landshut wächst bei den Bürgern die Verunsicherung. Immer wieder schlagen Einbrecher hier binnen Minuten zu jeder Tages- und Nachtzeit eiskalt zu und sind längst über alle Berge, bis die Taten bemerkt werden oder die Polizei vor Ort eintrifft. "Gerade in Randgebieten wie Altdorf oder Ergolding, die direkt an einer Autobahn liegen, kommt es verstärkt zu Einbrüchen", berichtet Polizeisprecher Patrick Baumgartner. Häufig wird der Verdacht geäußert, dass die Reise der Einbrecher nach getaner "Arbeit" unmittelbar danach in Richtung Osteuropa geht. "Der Wegfall der Grenzkontrollen wirkt sich in diesem Punkt negativ aus. Wir tun uns schwer, diese Leute dingfest zu machen", gesteht Baumgartner. Und auch Günther Tomaschko, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Niederbayern, räumt ein: "Die Aufklärungsquote im Bereich der Wohnungseinbruchskriminalität ist generell niedrig." Eine Auswertung der Täternationalitäten sei allerdings nur "begrenzt aufschlussreich, da die Staatsangehörigkeit nur bei geklärten Fällen registriert wird."
Hilflosigkeit in Ergolding
Auch Ergolding wurde zuletzt des Öfteren von Einbrechern heimgesucht. Auffällig hierbei: Die Tatorte von vier der letzten fünf Einbrüche liegen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt im Zentrum der Marktgemeinde. Eine Entwicklung, die auch Bürgermeister Andreas Strauß nicht verborgen geblieben ist: "Früher ging es bei Bürgerversammlungen um Verkehrsschilder und 30er-Zonen, heute sind Einbrüche das Thema Nummer Eins." Die zunehmende Angst der Bürger ist dabei auch für den Rathauschef spürbar. "Man merkt die Beunruhigung und die Hilflosigkeit. Auch bei mir selbst. Ich lasse jetzt öfter mal das Licht einfach brennen, wenn ich außer Haus gehe. Aber im Grunde weiß niemand so recht, was man tun soll", gesteht Strauß, der zuletzt mit zwei Einbrüchen direkt konfrontiert wurde. Strauß hierzu: "Einmal wurde bei meinen Nachbarn eingebrochen und ein anderes Mal bei einem älteren Ehepaar, bei dem ich erst neulich noch zu Gast war." Insbesondere der Fall des älteren Ehepaars war für Andreas Strauß "beunruhigend", wie er sagt. "Hier haben die Einbrecher zugeschlagen, während der Mann im Wohnzimmer seinen Mittagsschlaf hielt. Währenddessen erbeuteten die Täter 5.000 Euro Bargeld", so der Bürgermeister.
Einbruchsopfer: "Was bleibt, ist die ständige Angst"
Doch weit schwerwiegender als der materielle Schaden, wiegt der psychische. Das bestätigt auch eines der Ergoldinger Einbruchsopfer gegenüber idowa. Renate H. (Name von der Redaktion geändert) wohnt gemeinsam mit ihrem Ehemann, ihrer jüngsten Tochter und zwei Hunden in einem Haus in der Marktgemeinde. Vor wenigen Wochen schlug das Schicksal auch bei ihnen zu. "Man ist da generell eigentlich relativ abgestumpft, wenn man von den zahlreichen Einbrüchen liest. Wenn man dann aber mal selbst davon betroffen ist, merkt man erst, was das mit einem macht", berichtet die 51-Jährige.
Die Täter müssen die Familie ausgekundschaftet haben. Am Tag des Einbruchs fuhr die Familie zu einem Weihnachtsmarkt, die beiden Hunde nahm die ältere Tochter zu sich nach Landshut. Abends folgte der Schock. "Von außen hat man nichts gesehen. Es sah alles aus wie immer. Erst drin fiel mir dann ein Blumentopf auf, der im Esszimmer am Boden lag. Zeitgleich fragte mich mein Mann, wer denn die Schubläden im Wohnzimmer aufgemacht hätte. Und dann hörten wir auch schon meine Tochter aus dem 1. Stock schreien", erinnert sich Renate H. Bei dem Anblick im 1. Stock kam der Familie schnell die schreckliche Erkenntnis, was hier passiert war: Einbrecher waren in ihre Privatsphäre eingedrungen. Sämtliche Schubläden und Schränke standen offen, Wäsche war durchwühlt und am Boden überall Fußspuren.
Polizei unterbesetzt?
Erbeutet haben die Einbrecher in diesem Fall zwar nichts, doch was sie zurückließen, ist ständige Angst. "Meine Tochter hatte direkt danach zwei Stunden Schüttelfrost, hat nur noch geweint und geschrien. Wir mussten sie eine Woche lang krankschreiben lassen. Noch heute traut sie sich nicht mehr allein ins Haus", berichtet Renate H. Auch Wochen nach der Tat, keine Spur von einer Rückkehr zur Normalität. Ihre 15-jährige Tochter liegt aus Angst mittlerweile ständig mit einem Messer auf der Couch. Und Renate H. selbst? "Ich habe Probleme, Nachts einzuschlafen. Wenn ich in die Badewanne gehe, kontrolliere ich vorher alles, lasse alle Rollos runter und sperre alles zu." Am Schlimmsten sei die Gewissheit, dieses Gefühl "hier war jemand drin". Und auch wenn einem die Vernunft sage, dass die Täter wohl kaum ein zweites Mal im selben Objekt zuschlagen, behalte doch die Angst die Oberhand. Familie H. hat auf den Einbruch reagiert und nun eine Alarmanlage installieren lassen.
Überraschend offene Worte fand damals einer der ermittelnden Polizisten gegenüber Renate H. In dessen Aussagen wurde deutlich, dass auch bei den Beamten der Frust tief sitzt. "Wir sind personell einfach unterbesetzt. Wir bräuchten viel mehr zivile Einsatzfahrzeuge. Wenn wir hier mit unseren Streifenwagen rumfahren, lachen sich die Einbrecher eins und fahren einfach eine Ecke weiter. Deshalb sind wir ständig einen Schritt zu spät und ziehen meistens den Kürzeren", sagte der Polizist zu Renate H. idowa konfrontierte daher die offiziellen Polizeisprecher der PI Landshut und des PP Niederbayern mit den Aussagen ihres Kollegen. Doch beide wollten oder durften sich dazu nicht äußern. Günther Tomaschko ließ sich nur so viel entlocken: "In Bayern sind wir im Vergleich zu anderen Bundesländern personell noch gut aufgestellt." Doch bedeutet dies auch, dass man gut genug aufgestellt ist, um die stark zunehmende Zahl an Wohnungseinbrüchen wirksam zu bekämpfen? Scheinbar nein. Dieses Gefühl beschleicht auch Ergoldings Bürgermeister Andreas Strauß: "Mir tun die Polizisten leid. Ich finde es bedenklich, dass hier von der Politik nicht viel mehr in puncto Sicherheit investiert wird."
Info:Auch in Bayern gibt es Anlaufstellen für traumatisierte Einbruchsopfer. So zum Beispiel das Münchner Institut für TraumaTherapie (MIT). Diese Einrichtung ist darauf spezialisiert, Ängste und Traumata nach Einbrüchen entsprechend zu therapieren. Zu erreichen ist das MIT unter Telefon 089/36 10 90 70 oder via Mail unter info@traumatherapie-institut.de.