Dingolfing/Landshut
Plädoyers im Prozess um tödlichen Messerstich: Meinungen gehen weit auseinander
11. August 2016, 17:17 Uhr aktualisiert am 11. August 2016, 17:17 Uhr
War es Notwehr, als Murat A. am 4. Oktober 2015 vor einer Dingolfinger Diskothek das Messer zog und zustach? Oder ist von einem Totschlag auszugehen, da er sich der Schläge des späteren Opfers auch anderes hätte erwehren können?
Im Prozess gegen den 28-jährigen Deutsch-Türken sind am Donnerstag vor der als Schwurgericht tagenden ersten Strafkammer des Landgerichts die Plädoyers gesprochen worden - und die Anträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft hätten unterschiedlicher nicht ausfallen können, was die rechtliche Würdigung betrifft. Mit Spannung ist das Urteil zu erwarten: Zu Beginn des dritten Hauptverhandlungstags erteilte die Kammer unter Vorsitzendem Richter Markus Kring zudem noch den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Frage kommt.
Wie berichtet, war es laut der von Staatsanwalt Gerd Strohner vertretenen Anklage im Verlauf des Abends mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen dem Disco-Besucher Murat A. und den Security-Mitarbeitern gekommen. Nachdem er bereits zwei Mal hinausgeworfen worden war, holte A. schließlich aus seinem nahe gelegenen Elternhaus zwei Messer und kehrte gegen 3.15 Uhr zum Haupteingang der Diskothek zurück. Dort provozierte er wiederum die Türsteher, wobei es ihm gleichgültig war, wer sich durch seine Beleidigungen angesprochen fühlte. Dies war schließlich ein 24-jähriger Gast, der beruflich ebenfalls als Türsteher tätig war, und bei seinen Kollegen vor der Tür gerade eine Zigarette rauchte. Der durchtrainierte Pole ging dem Angeklagten entgegen - wenige Minuten später verblutete er innerlich durch einen Stich in den Herzbeutel. Der mehrfach vorbestrafte Murat A. hatte den tödlichen Stich zu Prozessbeginn eingeräumt und sein Bedauern darüber bekundet. Das Aussageverhalten des 28-Jährigen vor Gericht war jedoch nicht immer nachvollziehbar. So hatte er etwa bis zuletzt beteuert, nur ein Messer von zuhause mitgenommen zu haben.
Wie Staatsanwalt Strohner in seinem Plädoyer sagte, widerspricht dieser Einlassung unter anderem das rechtsmedizinische Gutachten, das 22 Schnitt- und Stichverletzungen von zwei Messern auflistet. Er gehe davon aus, so Strohner, dass A. zunächst mit dem Käsemesser auf den 24-Jährigen eingestochen habe. Dieser habe den Angeklagten dann zu Boden gebracht - wobei das Käsemesser davon geflogen sei - und auf ihn eingeschlagen. Da habe A. ein Küchenmesser aus dem Hosenbund gezogen und vier Stiche, darunter den tödlichen, gesetzt. Strohner kam bei der rechtlichen Würdigung zu einem Totschlag. Der Angeklagte habe "derart massiv und wiederholt im Bereich des Oberkörpers zugestochen", dass ein bedingter Vorsatz vorliege. A. habe sich zwar in einer Notwehrlage befunden, doch liege dieser eine schuldhafte Provokation zugrunde, sagte Strohner und verwies auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs: "In diesem Fall hätte er sich zunächst mit den Händen gegen die Schläge schützen und um Hilfe rufen müssen. Zudem hätte der Angeklagte das Messer auch nicht in tödlicher Absicht einsetzen müssen."
Aufgrund des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Bernd Weigl - der zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Steuerungsfähigkeit bei Murat A. zur Tatzeit wegen einer Kombination aus einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, einer organischen Hirnstörung aufgrund eines Sturzes aus einigen Metern Höhe vor einigen Jahren und eines massiven Alkoholmissbrauchs eingeschränkt war - hielt Staatsanwalt Strohner dem Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung zugute. Strohner beantragte schlussendlich eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und die Unterbringung von Murat A. in einer Entziehungsanstalt aufgrund des vom Sachverständigen festgestellten Hanges zu Suchtmitteln. Nebenklagevertreter Wolfgang Heidersberger folgte den Anträgen von Strohner. In einem war er aber anderer Meinung als der Staatsanwalt: Er könne keine Notwehrlage bei Murat A. erkennen. Die Notwehr sei ja schon beim Opfer gelegen, dass sich gegen die massiven Provokationen des Angeklagten, der mit einem Messer gedroht habe, zur Wehr gesetzt und quasi auch das Hausrecht verteidigt habe, sagte Heidersberger und zitierte ein anderes Urteil des BGHs. Sein Fazit: "Es gibt keine Notwehr gegen eine Notwehr."
Sein Mandant habe sich im Verlauf des Abends "unzweifelhaft unmöglich verhalten", sagte schließlich Verteidiger Alexander Eberth in seinem Plädoyer. "Aber es ist ja noch nicht verboten, anderen Leuten mit einer Waffe Angst zu machen." Wie die Beweisaufnahme ergeben habe, hätten weder Gäste noch Türsteher den Angeklagten und seine Drohungen Ernst genommen; es habe nie "eine konkrete Gefahr" für die Türsteher bestanden. Der Geschädigte hätte sich also nie einmischen müssen "in eine Situation, die ihn nichts anging". Der 24-Jährige aber habe seinen Mandanten "gegen die Wand" gedrängt und ihn massiv geschlagen. Da habe dieser in eindeutiger Notwehrsituation das Messer gezückt. Selbst wenn er um Hilfe geschrien hätte, sagte Eberth Bezug nehmend auf die Ausführungen von Staatsanwalt Strohner, wäre nicht gesichert gewesen, dass der nächste Schlag ausgeblieben wäre. Dass die Schläge lebensbedrohlich hätten sein können, sah Eberth durch die Aussagen der Taxifahrer bestätigt, die davon gesprochen hatten, sie hätten gedacht, "der, der da drunter liegt, überlebt das nicht". Eberth beantragte daher einen Freispruch.
Für den Fall, dass die Kammer dem rechtlichen Hinweis entsprechend zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung kommen sollte, bat Eberth, aufgrund der vom Gutachter festgestellten eingeschränkten Steuerungsfähigkeit seines Mandanten von einem minder schweren Fall auszugehen und beantragte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
Das Urteil wird am Freitag um 10.30 Uhr verkündet.