Glosse

Anmerkungen

Der letzte Rest Würde

Ein abgelegener Bauernhof in Bocholt im Westmünsterland ist der Drehort der wohl polarisierendsten Show des deutschen Fernsehens - das RTL Sommerhaus der "Stars".


Stars ist hier bewusst in Anführungszeichen gesetzt. In die Hütte - Pardon, Villa, die den Charme eines Ferienlagers der 80er versprüht, aber mit weniger Platz und mehr Kameras - ziehen acht "Promipaare" ein, die man irgendwo zwischen Reality-TV und Instagram-Werbung für Zahnschienen einordnen kann, um sich in Spielen zu duellieren und sich letztendlich gegenseitig aus der Show zu wählen. Hier wird intrigiert, gestritten und getuschelt, als wären wir auf dem Pausenhof der 7. Klasse und die Gründe dafür, dass einer der Kandidaten durchtickt, sind banaler als der Intellekt eines orangenen US-Präsidentschaftskandidaten. Es reicht ein bloßer Huster einer Kandidatin, worauf ein anderer entgegnet "ey, hust mir nisch auf mein Essen". Darauffolgend fallen Beleidigungen der untersten Schublade, bei denen man im echten Leben umstehenden Kindern die Ohren, mit dem Hinweis "lass den Onkel, der ist krank", zuhalten würde. Das einzige, was hier echter ist als die gestellte Loyalität, sind die Tränen, die spätestens nach der dritten Nominierung kullern. Immer wieder faszinierend, wie Menschen, die sich vorher nie gesehen haben, innerhalb von zwei Tagen zu erbitterten Feinden werden können.Das Format ist im Grunde die deutsche Version einer griechischen Tragödie. Nur mit weniger philosophischen Einsichten und mehr Streit um veganen Käse. Im Sommerhaus der Stars geht der wahre Krieg nicht um den Titel, sondern um die letzten Reste Würde, die irgendwo zwischen der verstaubten Couch und der 16. Kamera verloren gegangen sind.

Jetzt weiterlesen mit

  • alle Artikel auf idowa.de in voller Länge und deutlich weniger Werbung
  • als Abonnent unterstützen Sie Journalismus in Ihrer Region
  • einen Monat für 0,99 Euro testen, danach 9,90 Euro im Monat