100-jähriges Jubiläum
Ein Blick zurück auf das Miltacher Fußballwunder
23. Juni 2023, 15:14 Uhr
Wo liegt Miltach? Eine Frage, die sich nach dem Aufstieg des Dorfvereins aus der Bezirksliga Niederbayern in die Landesliga
Mitte 1985 viele Vereine unter anderem in Mittelfranken stellten. Die Landesliga war damals übrigens noch die vierthöchste deutsche Spielklasse und daher mit der heutigen Liga gleichen Namens vom Niveau her nicht vergleichbar.
Doch schon bald lernten viele hochrangige Clubs wie die SpVgg Fürth oder die Amateure des 1. FC Nürnberg den Fußballclub aus dem Bayerwald kennen – und fürchten. Nicht nur, dass die „Dorfbuam“ mithalten konnten und insgesamt 17 (!) Jahre in der Landesliga kickten, einmal war sogar der Sprung in die Bayernliga (in der damals unter anderem 1860 München spielte, wohlgemerkt die erste Mannschaft der „Löwen“) nur noch wenige Minuten entfernt, bis sich Schwaben Augsburg in der Verlängerung im entscheidenden Relegationsspiel doch noch mit 4:3 durchsetzen konnte.
Stolz und Wehmut
Wie er auf die ganz besondere Saison 87/88 mit den vielen legendären Spielen zurückblickt? „Mit Stolz“, sagt Alois Kreis, langjähriger Trainer und Vereins-Ikone, aber auch mit etwas Wehmut, denn mit dem Punktekonto, dass die Mannschaft, die fast nur aus einheimischen Spielern bestand, hatte, wäre sie in jeder anderen Saison problemlos als Meister direkt aufgestiegen. So stand am Ende, nach einem Patzer gegen Ansbach, die SpVgg Weiden (gegen die beide direkte Duelle Remis ausgegangen waren) ganz oben. Bei 2.000 Dorfbewohnern hatte der FC einen imposanten Zuschauerschnitt von rund 1.500.. Nicht einmal mehr alle Zuschauer fanden Platz beim Spitzenspiel gegen Weiden, wegen des großen Andrangs konnten nicht alle Fans eingelassen werden. Die Gäste-Anhänger zeigten sich dann auf besondere Art kreativ und bauten den Sichtschutz an der hinteren Tribüne ab, um überhaupt etwas von der Partie mitzubekommen.
Jahn an die Wand gespielt
Gegen einen wahrhaft großen Namen ging es im ersten Entscheidungsspiel: Der jetzige Zweitliga-Absteiger SSV Jahn Regensburg maß seine Kräfte im Stadion am Peterswörth in Straubing mit den Miltachern. Offiziell 6000 Zuschauer (wer dabei war, hält das für eine starke Untertreibung) verfolgten die Partie, die meisten davon aus dem Bayerwald. Alois Kreis wusste über den Jahn gut Bescheid, war ohnehin viel bei den Spielen der kommenden Gegner unterwegs. Trotz der unglaublich starken Hauptrunde (30 Spiele ohne Niederlage) nahmen die Domstädter den Dorfclub wohl nicht ganz ernst, die Folge: Ein viel umjubelter und hochverdienter 2:0-Erfolg der Miltacher, die ihrem Gegner deutlich überlegen waren und eines der besten Spiele in ihrer Geschichte zeigten.
Der Traum von der Bayernliga war damit zum Greifen nah. In Kelheim war der TSV Schwaben Augsburg die finale Hürde. Und anfangs sah alles auch nach einem Triumph des „gallischen Dorfes“ aus: Schnell ging Miltach mit 2:0 in Führung.
Das Drama von Kelheim
Dann aber schwanden die Kräfte: „Wir kamen nach der langen Saison mit vielen schweren Spielen praktisch auf dem Zahnfleisch daher“, erinnert sich Kreis, der auch als aktiver Spieler eine Legende ist, heute noch sehr gut an die Begegnung und die Umstände. Die Augsburger markierten noch vor der Pause zwei Tore, beim 2:2 blieb es auch bis zum Schlusspfiff der regulären Spielzeit. Und noch einmal schienen Duelle mit 1860 München und anderen bayerischen Großclubs kurz bevorzustehen, als Miltach in der Verlängerung das 3:2 erzielte. Doch selbst bei Legenden ist der Akku irgendwann einmal komplett leer: Quasi stehend K.O. kassierten die Bayerwäldler noch zwei Treffer. Aus der Traum vom Aufstieg in Liga drei. „Natürlich waren wir unglaublich deprimiert, trotz der tollen Saison. In der Kabine wurde lange kein Wort gesprochen“, erinnert sich Kreis.
Jahrzehnte später sieht er aber vor allem das Positive: „Wir haben damals richtig gut gespielt, viele Zuschauer begeistert und waren eine eingeschworene Gruppe. Nur so konnte das auch überhaupt funktionieren.“
Ein weiteres legendäres Spiel: Die Partie in der ersten Runde des DFB-Pokals (heute für unterklassige Mannschaften so gut wie nicht mehr erreichbar) gegen den 1. FC Nürnberg um den damaligen Nationaltorhüter Andreas Köpke. Am 4. August 1990 war der „Club“ zu Gast beim damaligen Pokalsieger des Bezirks Niederbayern, die Partie wurde wegen des großen Zuschauerandrangs im Chamer Stadion ausgetragen. Zunächst schienen die Nürnberger mit Trainer Arie Haan gleich klar Schiff machen zu wollen: Sead Kajtaz (13.) und Christian Hausmann (27.) sorgten für die frühe 2:0-Führung des haushohen Favoriten.
Nemmer „siegt“ gegen Köpke
Doch die Miltacher gaben nicht auf. Und bis zu Köpke hatte sich damals in Zeiten ohne Internet wohl noch nicht herumgesprochen, dass ein gewisser Ludwig Martin sehr gut in Fernschüssen ist: Der Nationaltorhüter stand zu weit vor seinem Kasten, Martin zog aus knapp 30 Metern Entfernung ab – und traf zum 1:2. FCM-Schlussmann Georg „Girgl“ Nemmer, bei den Gegentoren damals chancenlos, behauptet deshalb spaßeshalber, das direkte Duell mit der damaligen deutschen Nummer eins für sich entschieden zu haben, da dieser im Gegensatz zu ihm einen Fehler machte. Zur Sensation reichte es am Ende nicht, Uli Bayerschmidt traf in der Schlussminute, als die Miltacher alles nach vorne geworfen hatten, noch zum 1:3-Endstand. Prächtig verkauft hatten sich die Regental-Kicker aber auf jeden Fall.
„Wir waren eine Einheit“
Mit einem Erstligisten lange mitgehalten, fast der Aufstieg in die dritthöchste Liga, Erfolge gegen namhafte Vereine wie Fürth, Jahn Regensburg oder die SpVgg Landshut – wie war das für den Dorfclub Miltach überhaupt möglich? „Weil wir eine Einheit waren“, ist Kreis überzeugt. Die Kombination aus überdurchschnittlich guten Spielern, die sich viel erarbeiten mussten und sich im Spiel ganz in den Dienst der Mannschaft stellten, war sein Erfolgsgeheimnis.
Im Kader standen neben dem heutigen Vereins-Vorsitzenden Norbert Neumeier und Thomas Schwarz auch noch Bernhard Scheuerer, Bernhard Bucher, Karl-Heinz Pittoni und Sepp Schmidberger als auswärtige Spieler. Zwar spielte Miltach weiter einige Jahre in der Landesliga, oft war der Verein auch oben mit dabei, an der Bayernliga allerdings wurde nie wieder geschnuppert. Es wäre fast zu schön gewesen – aber auch so war es eine unvergessliche Zeit für Spieler, Funktionäre und alle Zuschauer, die mit dabei waren.