Heilbad, Heilstollen

Radon hilft bei Rheuma und Schmerzen

Ambulante Kur in Heilbädern oder im Heilstollen lindert Leiden langanhaltend


In Bad Gastein fahren Patienten etwa zwei Kilometer tief in den Berg und inhalieren in Therapiestationen Radon-haltige Luft, je nach Konstitution bei verschieden hohen Temperaturen.

In Bad Gastein fahren Patienten etwa zwei Kilometer tief in den Berg und inhalieren in Therapiestationen Radon-haltige Luft, je nach Konstitution bei verschieden hohen Temperaturen.

Einfache Bewegungen fallen schwer und Schmerz ist ein ständiger Begleiter: In Deutschland leiden etwa 800.000 Menschen an Morbus Bechterew, rund 1,5 Millionen an entzündlich rheumatischen Erkrankungen und kapp sieben Millionen an schweren chronischen Rückenschmerzen. Oft so stark, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Fast immer verschreiben Ärzte dann unter anderem starke Schmerzmittel oder Cortison. Die möglichen Nebenwirkungen bei dauerhafter und hoher Dosierung haben es in sich: Knochenschwund, Magenblutung, Nierenschäden oder Diabetes. Doch es gibt eine Möglichkeit ohne bekannte Nebenwirkungen Schmerzen langanhaltend zu lindern: die Radon-Therapie.

Radon als Heilmittel ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt, dennoch wissen viele Patienten nichts darüber. Doch die Liste der Erkrankungen, für die Badeärzte diese Therapie empfehlen, ist lang: chronisch entzündlich-rheumatische Erkrankungen, Schmerzen und schmerzhafte Bewegungseinschränkungen bei Morbus Bechterew (versteifende Wirbelentzündung), Gelenkrheuma, Weichteilrheumatismus wie Fibromyalgie, Arthrosen nach Unfällen oder Abnutzung von Gelenken, Wirbelsäule und Bandscheiben, Beschwerden nach orthopädischen Operationen, Osteoporose sowie Nervenschmerzen und Multiple Sklerose. Auch Krankheiten der Haut und Atemwege sowie gynäkologische Erkrankungen können positiv auf diese Behandlung ansprechen.

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Beim Einzelwannenbad nimmt der Patient das Radon hauptsächlich über die Haut aus dem Heilwasser auf. Die Abdeckung lenkt die entweichenden Gase zu den Atmenwegen.

Insbesondere Morbus-Bechterew-Kranke bestätigen, dass die Schmerzen durch die Anwendung von Radon leichter geworden seinen: "So kann ich damit leben", "Ich kann wieder Sport treiben, bin viel beweglicher", "Ich nehme viel weniger Schmerzmittel".

Schmerzfrei dank niedrigdosierter Radioaktivität

Wie sieht die Behandlung mit Radon aus? Der Patient hat die Wahl zwischen zwei Therapieformen, die sich in Bezug auf die Schmerzlinderung und die Strahlenbelastung gleichen: Bäder in Einzelwannen oder Aufenthalte im Heilstollen. In Bayern ist eine Badetherapie im Sibyllenbad Neualbenreuth und in Weißenstadt möglich. Heilstollen gibt es in Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz) oder im österreichischen Bad Gastein. Alle europaweit im Verein der Europäischen Radonbäder Euradon vertretenen Kurbetriebe haben sich auf einheitliche Radondosen geeinigt. Euradon bietet eine Indikationsliste sowie eine Übersicht über Kurorte mit Radontherapie an.

Das Sibyllenbad beschreibt: "Die Bäder werden als Serie von sechs bis zwölf Wannenbädern abgegeben, in der Regel jeden Tag ein Bad. Die Therapie findet als Einzelbehandlung in einem unserer zehn gut durchlüfteten Räume mit Einzelwanne statt." Da das Bad über eine Radon-haltige Quelle und eine Kohlendioxid(CO2)-haltige Heilwasserquelle verfügt, kombiniert man beides. Der Patient steigt in die Wanne, gefüllt mit CO2-haltigem, 36 Grad warmem Wasser. Dann durchströmt 20 Minuten lang Radon-Heilwasser die Wanne, bis eine berechnete Dosis erreicht ist. Eine Abdeckung behindert das Entweichen des Gases und leitet Dämpfe gezielt zu den Atmenwegen. Das Radon gelangt vor allem über die Haut in den Körper.

Die Kohlensäure wirkt ausgleichend auf das Herz-Kreislaufsystem und ermöglicht die Therapie auch für Patienten mit Bluthochdruck, Herzerkrankungen sowie mit Blutgefäßerkrankungen. Darüber hinaus verbessert es die Hautdurchblutung und führt somit dazu, dass mehr Radon aufgenommen wird.

Im Heilstollen halten sich Kurgäste innerhalb von drei Wochen rund zehnmal im Heilstollen auf. Sie inhalieren je etwa eine Stunde lang mit Radon angereicherte Luft, die laufend gefiltert wird.

In Bad Gastein fahren die Kranken in Badekleidung mit dem Zug in den unterirdischen Heilstollen ein. Neben Radon wirken hier auch stufenweise ansteigende tropische Temperaturen und eine hohe Luftfeuchtigkeit. Dies sorgt zusätzlich für eine Lockerung und stärkere Durchblutung der Muskeln. Nach der Anwendung empfehlen die Experten wie auch nach dem Heilwasserbad eine Nachruhe-Phase.

In Bad Kreuznach liegt der Stollen dagegen ebenerdig und ist auch bei starker Bewegungseinschränkung barrierefrei zugänglich. Er ist mit 22 Grad Celsius angenehm temperiert und relativ trocken. In bequemer Kleidung sitzen Patienten auf ergonomischen Liegen, lesen, entspannen oder schlafen.

Ist die Strahlung gefährlich für die Gesundheit?

Das Edelgas Radon ist schwach radioaktiv. Die physikalische Halbwertszeit beträgt 3,8 Tage. Nimmt der Körper Radon auf, ist bereits nach 20 bis 30 Minuten die Hälfte des Radons wieder ausgeschieden. Gefährlich sind vor allem seine Zerfallsprodukte, die in den Kurbetrieben durch steten Luftaustausch entfernt werden. Euradon erklärt, dass "auch nach jahrhundertelangen balneologisch-therapeutischen Radonanwendungen keine Schädigungen bekannt geworden sind". Prof. Alexander Kaul, ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz bestätigt: Selbst unter pessimistischsten Annahmen sei das Lungenkrebsrisiko verglichen mit den gesundheitlichen Risiken einer medikamentösen Therapie mit nicht-steroidalen Antirheumatika gering.

Schon Paracelsus schrieb, dass die Dosis entscheidet, ob ein Stoff gefährlich ist. Was bei Bergbauarbeitern - die jahrelang hohen Konzentrationen und Radon-Zerfallsprodukten ausgesetzt waren - oder bei Dauerexposition im Wohnbereich Lungenkrebs verursacht, kann niedrig dosiert wahre Wunder bewirken. In der Wanne oder im Stollen wirkt bei einer Kurtherapie mit sechs bis zwölf Sitzungen nur eine geringe Strahlendosis. Die Menge mit maximal 2 Millisievert (mSv) entspricht der mittleren natürlichen Jahresdosis der Deutschen von 2,4 mSv (Schwankungsbereich von 1 bis 10 mSv) und ist unbedenklich. Vergleichen könnte man sie mit einem dreiwöchigen Aufenthalt in den Alpen oder vier Langstreckenflügen nach New York.

Für Kinder, Jugendliche, Schwangere und für Krebspatienten, die sich im Vorjahr einer Bestrahlung unterzogen, wird die Therapie nicht angewandt. Bei akuten Entzündungen oder einer Schilddrüsenüberfunktion raten die Mediziner ebenfalls ab.

Was passiert im Körper durch die Radon-Therapie?

Wissenschaftlich ist noch nicht im Detail geklärt, wie Radon wirkt. Experten bescheinigen der Radonwärmetherapie schmerzlindernde Wirkung auf Muskel-, Sehnen- und Bandansätze. Auch auf entzündliche Vorgänge im Gelenk hat Radon positive Wirkungen. Radon greift positiv in das Immun- und Entzündungsgeschehen sowie in den Knochenstoffwechsel ein.

Eine Studie am Uniklinikum Mainz verglich ein multimodales Reha-Programm mit einem Programm, das zusätzlich Sitzungen im Radonstollen beinhaltete: Die Radontherapie hatte einen zusätzlichen positiven Effekt auf die Krankheitsaktivität, Mobilitätseinschränkung und Funktionseinschränkung. Besonders deutlich war die ausgeprägte Schmerzlinderung. 13 Prozent der Patienten konnten nach der multimodalen Rehabilitation plus Radontherapie auf Schmerzmittel verzichten.

Niedrig dosierte Strahlung in medizinischer Anwendung kann chronische Entzündungen abschwächen. Die Vorgänge in der Zelle, die die Schmerzen lindern, untersuchen seit dem Jahr 2012 Wissenschaftler am GSI Helmholzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt. Professor Claudia Fournier fand Hinweise, dass sich Immunzellen im Blut verändern, Entzündungswerte abnehmen und sich der Knochenabbau verlangsamt. Dass darüber hinaus auch Gelenke wieder beweglicher wurden, sagen Patienten. Aktuell wird untersucht, ob sich Radon an den Schmerzrezeptoren im Körper anlagert und dadurch das Schmerzempfinden verändert.

Die Schmerzlinderung durch Radon setzt verzögert - nach zwei Wochen bis zu drei Monaten - ein. Dr. Omparkash Raj, Leitender Badearzt im Sibyllenbad stellt fest: "Sie hält im Schnitt sechs bis zwölf Monate an, je nach Indikation."

Untersuchungen bestätigen die Erfolge einer Kur: Bei Morbus Bechterew profitieren etwa neun von zehn Menschen von der Radonwärmetherapie, meldet der Gasteiner Heilstollen. Auch 72 Prozent der Menschen mit degenerativen Knochenerkrankungen verspüren weniger Schmerz, fasst Euradon zusammen.

Brigitte Pfeiff von Acuradon in Bad Kreuznach beschreibt: "Für Menschen mit Morbus Bechterew spielt die RadonTherapie eine große Rolle bei der Reduktion der chronischen Schmerzen. Sie wird alternativ zu Schmerzmitteln, vor allem zu den sogenannten "Nicht-steroidalen Antirheumatika NSAR", genutzt. Sie reduziert zwar auch die Entzündung in den Gelenken, ersetzt aber bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen nicht Medikamente, die den Betroffenen gezielt gegen das Fortschreiten der Erkrankung verordnet werden. Gerade für Menschen mit Morbus Bechterew ist Bewegung sehr wichtig." Mit gezielter Physiotherapie und speziellen Übungen, könne die Beweglichkeit erhalten werden.

Für die ambulante Reha oder Kur ist eine ärztliche Vor-Untersuchung und Verordnung Pflicht. Die Krankenkassen übernehmen auf Antrag 90 Prozent der Therapiekosten im Rahmen einer ambulanten Rehabilitation oder Vorsorge. "Etwa 50 bis 70 Euro zahlt der Patient zur Kassenleistung hinzu. Dazu kommt die Unterkunft, die er selbst bucht und zahlt. Hier gibt es gegebenenfalls Zuschüsse", sagt Barbara Bannert von der Unternehmenskommunikation im Sibyllenbad.

Doch die Kurbetriebe berichten, dass rund zwei Drittel ihrer Patienten die Radon-Therapie Jahr für Jahr selbst zahlen. Bannert erklärt: "Zwei Wochen Badekur zusätzlich zum Familienurlaub ist vielen zu teuer. Daher machen sie hier Urlaub und der Kranke nimmt dabei nur die Radonbäder wahr." "Wer einmal die positive Wirkung erlebt hat, kommt über Jahre, auch unabhängig von einer Kostenübernahme durch die Versicherer", bestätigt Pfeiff.

Der behandelnde Rheumatologe oder Hausarzt kann die Kur empfehlen. "Der Badearzt verordnet dann die Radonbäder zur langanhaltenden Schmerzlinderung und Bewegungstherapie zur Verbesserung der Beweglichkeit", so Bannert. "Die Lebensqualität der Patienten steigt, wenn sie Schmerzmedikamente reduzieren können und wieder aktiver am Leben teilnehmen können."

Patienten müssen oft die Anwendung selbst fordern

Radonanwendungen sind keine Standardbehandlung, sondern nehmen eine Außenseiterrolle ein. Wie Ludwig Hammel, Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew (DVMB) bestätigt, gehört Radon bei den Rheumatologen nicht zur Therapie der ersten Wahl. Die Rheuma-Liga beruft sich auf eine unzureichende Studien-Lage. Dr. Florian Schuch, Bayerischer Landesvorsitzender beim Berufsverband deutscher Rheumatologen (BDRh) gibt zu, dass die Behandlung mit Radon in der ärztlichen Praxis oft nicht genügend berücksichtigt wird: "Generell gilt: Wenn es guttut, soll man es machen", sagt er.

Der Verein der Europäischen Radonbäder Euradon setzt sich für die Aufklärung und Forschung ein. Dessen Vorsitzender Steffen Matthias vermutet, dass die Rheumatologen die Therapie vor allem auf Nachfrage der Patienten verordnen. Dabei rechtfertigten die Wirksamkeit und auch die Datenlage einen höheren Stellenwert im Anwendungsmix aus Medikamenten, Ernährung, Lebensstil und Physiotherapie. Da auch qualitativ hochwertige Studien aber auf die Kooperation der Rheumatologen angewiesen seien, um genügend Patienten zu untersuchen, sei es schon fast ein hausgemachtes Problem, dass die Studienlage bisher nicht ausreiche, um diese Therapieform besser anzuerkennen.

Ludwig Hammel von der DVMB zieht das Fazit: "Zumindest jeder Morbus Bechterew Patient ist seinem Körper gegenüber verpflichtet, diese Therapie auszuprobieren, um zu entscheiden, ob es bei ihm wirkt." Wie bei Medikamenten sei dies vom Einzelfall abhängig. Es sei eigentlich unlogísch, dass die Kassen zwar bis zu 25.000 Euro jährlich für Medikamente zahlen, aber bei vergleichsweise günstigem Reha-Sport oder Radonkuren sparen.

Weitere Informationen
www.euradon.de,www.sibyllenbad.de, www.acuradon.de, www.gasteiner-heilstollen.at