Politik

Videobeweis und Gasmaske: Der Ton im Landtag wird immer rauer

Im Bayerischen Landtag geht es derber und herber als früher zu. Was Landtagspräsidentin Ilse Aigner dazu sagt und welche Rolle aus ihrer Sicht die Sozialen Medien und die AfD dabei spielen.


Der AfD-Abgeordnete Stefan Löw hat für diese Aktion eine Rüge erhalten.

Der AfD-Abgeordnete Stefan Löw hat für diese Aktion eine Rüge erhalten.

Von Heidi Geyer

München - "Sehr verehrte Herren Verbrecher und Verleumder!" Mit diesen Worten begrüßte Walter Sedlmayr die Politiker 1983 am Nockherberg. Es folgten weitere Beleidigungen, vom Lügner über die blutigen Stümper bis hin zu den geistigen Brandstiftern war alles dabei. Auch die "Handlanger Moskaus" durften nicht fehlen.

Der Clou: Sedlmayr hatte sich eben der Bonmots bedient, die auch in politischen Debatten zu hören waren.

Dass das gesellschaftliche Klima rauer geworden ist, liest und hört man überall. Auch im Bayerischen Landtag hat sich etwas verändert. Dort gab es über zwei Jahrzehnte keine Rüge des Landtagspräsidiums im Plenum. Bis 2019: Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) rügte den AfD-Abgeordneten Ralph Müller. Er hatte Angela Merkel (CDU) in einer Plenarsitzung eine "Stasi- und Schnüffelkanzlerin" genannt und Waffenkontrollen etwa bei Jägern als "Elemente eines totalitären Staates" bezeichnet.

Man darf zwar allerhand im Parlament sagen. Was nicht geht, sind laut Geschäftsordnung jedoch "persönlich verletzende" Aussagen oder "eine gröbliche Störung der Ordnung".

Und es erinnert ein bisschen an den Verweis in der Schule: Erst kommt die Rüge, im Wiederholungsfall der Ruf zur Ordnung, und wenn es zu zwei Ordnungsrufen oder besonders schweren Verstößen kommt, kann ein Abgeordneter auch von der Plenarsitzung ausgeschlossen werden.

Allein in dieser Legislaturperiode wurden 23 Rügen erteilt. Davon betrifft ein großer Teil, nämlich 19 Rügen, Mitglieder der AfD-Fraktion. Eine Aktion, bei der sie die zum Schutz vor Corona-Infektionen aufgestellten Plexiglasscheiben mit Plakaten beklebt hatten, führte zu mehreren Rügen.

In den vergangenen Jahren sei es schwieriger geworden, das Plenum zu leiten, findet Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Zwar sei sie vor der Legislaturperiode noch nicht Landtagspräsidentin gewesen, aber einen Vergleich könne sie dennoch ziehen. Den Grund sieht sie vor allem bei der AfD. "Bei einer Fraktion ist es eklatant. Mein Eindruck ist, dass sie nicht so sehr fürs Plenum, sondern für Social Media sprechen", sagt Aigner der AZ.

Persönlich seien diese Abgeordneten oft ganz umgänglich, aber das Auftreten im Plenum empfindet sie ganz anders. Ein Negativ-Höhepunkt war für Aigner der Moment, als der AfD-Abgeordnete Stefan Löw in der Debatte um Masken in der Corona-Zeit mit einer Gasmaske ans Rednerpult getreten sei.

"Ich glaube aber auch, dass es eine höhere Sensibilität in Bezug auf den Umgangston gibt", sagt Aigner. Früher habe man sicher auch nicht "mit Wattebällchen geschmissen". Den Sedlmayr-Ausschnitt vom Nockherberg kennt auch Aigner: "Das würde mit Sicherheit heute gerügt werden und das finde ich auch richtig."

Es ist jedoch nicht nur die AfD, auch Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze hat bereits eine Rüge erhalten - wenn auch mit AfD-Bezug. Sie hatte die Partei nämlich als "faschistische" bezeichnet. Gleichwohl darf Björn Höcke, AfD-Fraktionschef in Thüringen, laut einem Gerichtsurteil durchaus als "Faschist" bezeichnet werden.

Für markige Sprüche ist auch Florian von Brunn, Fraktionschef der SPD im Bayerischen Landtag, bekannt. "Die Vorgänger der CSU waren die Steigbügelhalter von Adolf Hitler", sagte von Brunn im Streit mit CSU-Gesundheitsminister Klaus Holetschek - und erhielt eine Rüge. Zweimal wurde außerdem Raimund Swoboda, früher AfD, heute fraktionslos, gerügt.

Der Bayerische Landtag hat inzwischen aufgerüstet. Ähnlich wie am Fußballfeld, wo Schiedsrichter nicht immer alles sehen können, ist auch im Plenum nicht immer alles zu hören. Daher gibt es nun auch die Möglichkeit des Videobeweises. Für Aigner ist die Debatte insgesamt definitiv hitziger geworden. "Man darf aber auch nicht überziehen, weil zu viel Aufmerksamkeit will man auch nicht jedem schenken, der sich zu Wort meldet. Aber wenn's nötig ist, dann schon."

Denn einen gesellschaftlichen Effekt sieht auch Aigner. "Die Unversöhnlichkeit in der Bevölkerung insgesamt ist größer geworden. ,Die und wir', die Ablehnung des ganzen parlamentarischen Systems", das hört Aigner oft. Im Parlament brauche es straffe Regeln und ein entschiedenes Einschreiten.