EU und Nato alarmiert
Russland-Ukraine-Konflikt: Die dritte Kampfzone
26. November 2018, 19:28 Uhr aktualisiert am 26. November 2018, 19:28 Uhr
Russlands Küstenwache bringt vor der Krim drei ukrainische Schiffe auf. Kiew verhängt das Kriegsrecht, EU und Nato sind alarmiert.
Ukraine - Im Osten nichts Neues? Der fast vergessene Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist mit Vehemenz zurück - an einer neuen, dritten Front auf dem Meer, mit neuer Gewalt und möglichen Auswirkungen bis zu Nato und EU.
Auf dem Schwarzen Meer vor der Küste der Krim spielten sich am Sonntag Jagdszenen ab. Zwei kleine Patrouillenboote der ukrainischen Marine und ein Schlepper versuchten, durch die Meerenge von Kertsch ins Asowsche Meer einzulaufen. Doch erst rammte ein Schiff der russischen Küstenwache den Schlepper, später schossen die Russen und brachten die drei Schiffe auf. Zwar haben Russland und die Ukraine einander einmal freie Schifffahrt in dem flachen Asowschen Meer versprochen. Doch seit Moskau die Krim annektiert und durch eine Brücke erschlossen hat, verteidigt es die Meerenge von Kertsch als sein alleiniges Hoheitsgebiet.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko versicherte sich in der brenzligen Lage seiner Drähte nach Westen. Er sprach gestern mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Russland nannte das Verhalten der ukrainischen Schiffe eine Provokation. Es warnte die westlichen Länder davor, sich auf die Seite Kiews zu schlagen. Die Eskalation kommt wenige Tage, bevor sich Merkel, Kremlchef Wladimir Putin, US-Präsident Donald Trump und andere Politiker beim G20-Gipfel in Argentinien treffen.
Bei der EU und der Nato sorgt das Aufschaukeln für Besorgnis. Beide wollen die Ukraine so gut wie möglich mit friedlichen Mitteln bei der Abwehr russischer Feindseligkeiten unterstützen. Nur mussten sie in der Vergangenheit immer wieder feststellen, dass auch Kiew nicht auf Entspannung setzt.
Mögliche Motive für eine Zuspitzung haben beide Staatschefs - Poroschenko wie Putin. Die Ukraine hat die Krim 2014 verloren. Russland verleibte sich die Halbinsel nach einem international nicht anerkannten Referendum ein. Aus Moskauer Sicht wurde so der historische Fehler korrigiert, dass Nikita Chruschtschow die Krim 1954 der Ukraine übertragen hat.
Im Osten der Ukraine führt Russland ebenfalls seit 2014 verdeckt Krieg. Seine Militärmacht versteckt sich hinter den separatistischen Kämpfern der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Mehr als 10 000 Menschen sind im Kohlerevier Donbass bislang getötet worden. Weder Separatisten noch die Ukraine halten sich an die eigentlich geltende Waffenruhe. Eine Friedenslösung, ausgehandelt unter deutscher und französischer Vermittlung, steckt fest.
Zuletzt hat die Ukraine unerwartete Erfolge erzielt - auf ganz anderem Gebiet. Das Oberhaupt der weltweiten Orthodoxie, der ökumenische Patriarch von Konstantinopel, der in Istanbul sitzt, will der Ukraine eine eigene, von Russland unabhängige Kirche geben. Für Moskau und seine orthodoxe Kirche wäre der Verlust von Millionen Gläubigen in der Ukraine ein schwerer Schlag. Die Eskalation auf dem Schwarzen Meer könnte auch damit zusammenhängen.
Das offensichtlichere Motiv hat Poroschenko. In Kiew wurde die Aktion sofort mit der für März erwarteten Präsidentenwahl verbunden. Der Amtsinhaber liegt in Umfragen abgeschlagen hinter der Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Selbst um den Einzug in eine Stichwahl müsste er bangen.
Deshalb die Eskalation gegen Russland? Armee und Kirche sind zwei Schwerpunkte in Petro Poroschenkos Vorwahlkampf. Erst Mitte November hatte Poroschenkos Armeefreund Igor Kononenko in einem Interview spitzfindig angemerkt: "Unsere ,Kniffe' haben Sie noch gar nicht gesehen."
Jedoch hat der Präsident bisher weder seine Kandidatur angekündigt, noch wurde die Wahl vom Parlament offiziell für den 31. März 2019 angesetzt. Einen Tag nach dem Zwischenfall auf See verhängte Poroschenko für vorerst 30 Tage das Kriegsrecht. Damit ließe sich die Wahl verschieben.
Doch auch Kremlchef Putin ist nach seiner triumphalen Wiederwahl vom März innenpolitisch unerwartet unter Druck geraten. Die russische Bevölkerung nimmt ihm eine Rentenreform nachhaltig übel. Deshalb ein Ablenkungsmanöver? Die Heimholung der Krim hat seiner Popularität schon 2014 geholfen.