Laut US-Informationen
Russland stockt Truppen an Grenze zu Ukraine auf
17. Februar 2022, 5:10 Uhr aktualisiert am 17. Februar 2022, 9:18 Uhr
Moskaus Behauptungen über einen Truppenabzug waren möglicherweise weit von der Wahrheit entfernt: Nach US-Erkenntnissen hat Russland seine Truppenpräsenz an der Grenze zur Ukraine sogar aufgestockt.
Die US-Regierung stuft den von Moskau angekündigten Teilabzug russischer Truppen zur Entspannung des Ukraine-Konflikts als Falschinformation ein und geht stattdessen von einem weiteren Ausbau der Militärpräsenz aus. In den "zurückliegenden Tagen" habe Russland rund 7000 zusätzliche Soldaten in die Nähe der ukrainischen Grenze gebracht, "und einige davon kamen erst heute an", sagte ein ranghoher Beamter des Weißen Hauses. Erkenntnisse der US-Regierung zeigten inzwischen, dass Russlands Ankündigung eines Teilabzugs "falsch" sei, sagte er.
Auch die Nato hatte bereits von einem russischen Truppenaufbau anstatt des angekündigten Teilabzugs gesprochen. "Bislang haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen. Im Gegenteil: Russland scheint den Militäraufmarsch fortzusetzen", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel am Rande eines Treffens der Verteidigungsminister der Bündnisstaaten.
Russland bekräftigte hingegen erneut den Teilabzug seiner Truppen. Nach dem Abschluss von Manövern seien Panzer des Wehrbezirks West zum Abtransport bereit gemacht worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Donnerstag mit. Dazu veröffentlichte es ein Foto, dass die Kampffahrzeuge zeigen soll. Unterdessen gingen mehrere russische Manöver weiter - unter anderem das im Nachbarland Belarus. Im Kaspischen Meer begann laut Verteidigungsministerium eine Marine-Übung mit 20 Schiffen.
Biden und Scholz: Risiko besteht fort
Nach Einschätzung von US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz besteht das Risiko einer Aggression Russlands gegen die Ukraine weiter. Beide seien sich während eines Telefonats einig gewesen, dass die Situation in der Region angesichts des massiven russischen Truppenaufmarsches im Grenzgebiet zur Ukraine als überaus ernst einzuschätzen sei, erklärte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit. Ein signifikanter Rückzug russischer Truppen sei bislang nicht zu beobachten, höchste Wachsamkeit sei erforderlich.
Beide Politiker begrüßten Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass diplomatische Bemühungen fortgesetzt werden sollten. Es gelte, sie nun mit Hochdruck weiterzuverfolgen. Es komme darauf an, in einen konstruktiven Dialog zu Fragen der europäischen Sicherheit einzusteigen, zur Umsetzung der Minsker Abkommen zu gelangen und mit Unterstützung Deutschlands und Frankreichs im Normandie-Format voranzukommen. Der Schlüssel dafür liege in Moskau.
US-Beamter: Moskau mobilisiert "insgeheim für einen Krieg"
Russland hatte am Dienstag überraschend mitgeteilt, nach Manövern sei mit dem Abzug von Truppen begonnen worden. Bei einem Treffen mit Scholz in Moskau erklärte Putin zudem, Russland wolle keinen neuen Krieg in Europa.
In Washington sagte der US-Regierungsbeamte in einem Briefing für Journalisten, Russland gebe an, für eine diplomatische Lösung des Konflikts offen zu sein. "Aber alle Hinweise, die wir jetzt haben, sind, dass sie Gespräche nur anbieten und Behauptungen zur Deeskalation machen während sie insgeheim für einen Krieg mobilisieren", sagte der Vertreter. Der Top-Beamte aus Bidens Regierung durfte den Regeln der Unterrichtung zufolge nicht namentlich genannt werden.
Zudem gebe es weiter Informationen, wonach Russland "jederzeit" Ereignisse inszenieren oder erfinden könnte, um eine "Ausrede" für einen Angriff auf die Ukraine zu schaffen, sagte der Beamte weiter. Es könne zum Beispiel eine Provokation in der ostukrainischen Region Donbass geben. Es könne auch vermehrt russische Falschinformationen geben, darunter grundlose Behauptungen, dass die USA und die Ukraine "biologische oder chemische Waffen" einsetzten, sagte der Beamte. Es sei unklar, welchen Grund Russland letztlich vorschieben werde. "Wir hoffen, die Welt ist dafür bereit, sagte der Beamte. "Niemand sollte diese Behauptungen für bare Münze nehmen", betonte er.
Röttgen warnt vor Optimismus
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warnte vor vorzeitigem Optimismus in der Ukraine-Krise. "Es ist gut, dass der Besuch des Bundeskanzlers in Moskau stattgefunden hat", sagte Röttgen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Aber für Optimismus ist es noch zu früh. In der Sache hat sich nichts geändert. Reden und Handeln der russischen Seite fallen hier klar auseinander."
Einen russischen Truppenabzug habe es bisher nicht gegeben, so Röttgen. Zudem habe die russische Duma einen Antrag gestellt, die von Kiew abtrünnigen "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anzuerkennen und sie also nicht mehr als Teil der Ukraine zu betrachten.