"Politik der Ermöglichung"
Robert Habecks Rede auf dem Grünen-Parteitag
15. November 2019, 18:52 Uhr aktualisiert am 15. November 2019, 20:00 Uhr
Zum Auftakt des Grünen-Parteitags in Bielefeld hat Parteichef Robert Habeck das Ziel ausgegeben, die Zeit nach der Ära Merkel maßgeblich mitzubestimmen. "Wir wollen die Weichen mit stellen, wir werben um die Verantwortung dafür, die neue Zeit gestalten zu können", sagte er am Freitag in einer frei gehaltenen, sehr emotionalen Rede vor mehreren hundert Delegierten. Dafür brauchten die Grünen "Pläne, die den Horizont wieder aufmachen", die eine Politik beschreiben, die aus dem Klein-Klein heraus führe.
"Wo ist dieser Geist geblieben, die großen Dinge in Deutschland zu denken?", fragte Habeck. Man brauche wieder Mut, um "Politik der Ermöglichung" voranzutreiben. Die Grünen hätten in den letzten Jahren viel Hoffnung geweckt und Vorschuss-Vertrauen bekommen. "Jetzt in der nächsten Phase müssen wir aus Hoffnung Wirklichkeit machen."
Habeck tritt an diesem Samstag gemeinsam mit Annalena Baerbock zur Wiederwahl der Grünen-Doppelspitze an. Gegenkandidaten sind bisher nicht bekannt. In Umfragen stehen die Grünen derzeit etwa bei 20 Prozent und vor der SPD. Bei der Bundestagswahl 2017 hatten sie nur 8,9 Prozent geholt und waren als kleinste Fraktion in den Bundestag eingezogen. Der Erfolg wird auch dem Führungsduo Habeck/Baerbock zugeschrieben, die beiden setzen auf Geschlossenheit und wollen die Grünen als "Bündnispartei" in der Mitte der Gesellschaft platzieren.
Habeck warnte aber auch die eigene Partei vor Selbstgerechtigkeit. "Wir haben manchmal einen Hang, in einer akademisch gefärbten Sprache Argumente immun zu machen. Da müssen wir an uns arbeiten." Beschäftigte der Automobilindustrie, der Kohlebranche, in der konventionellen Landwirtschaft hätten ein Recht, ihre Argumente vorzubringen, und die Grünen seien gut beraten, zuzuhören. "Wir müssen diese Toleranz auch bei uns selbst einüben."
Habeck wird als möglicher Kanzlerkandidat seiner Partei gehandelt. In der Parteispitze selbst gilt diese Frage aber immer noch als Tabu. Der 50-Jährige warb in seiner Rede ohne Manuskript und Rednerpult angesichts populistischer und extremistischer Tendenzen für eine leidenschaftliche Verteidigung der Demokratie: "Wir leben in der besten und freiesten Republik, die es jemals in Deutschland gab. Verteidigen wir diese Republik. Werden wir Verfassungsschützer."
"Die gesamte AfD ist ein Fall für den Verfassungsschutz"
Er sprach sich indirekt auch für eine Beobachtung der gesamten AfD durch den Verfassungsschutz aus. Die Parteiführung habe sich nicht von ihrer bereits beobachteten Jugendorganisation Junge Alternative oder von der Parteiströmung "Flügel" distanziert, die "von einem faschistischen Staat" träumten. "Unter diesen Voraussetzungen ist die gesamte AfD ein Fall für den Verfassungsschutz", sagte er.
Der Grünen-Chef forderte die CDU dazu auf, klare Kante gegen die AfD zu zeigen und eine Zusammenarbeit, egal auf welcher Ebene, zu unterbinden. "Da, wo die Zusammenarbeit stattfindet, müssen diese Gliederungen aus der CDU ausgeschlossen werden", forderte Habeck. Dies sei eine "Frage der Ehre".
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte im Januar die Jugendorganisation der AfD und den "Flügel" als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus eingestuft. Das erlaubt auch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Die AfD sprach daraufhin von einer "politischen Instrumentalisierung" des Verfassungsschutzes.
"Neujustierung der Marktwirtschaft in Deutschland und in Europa"
Hauptthemen des Parteitags sind Wohnungspolitik, Wirtschaft und Klimaschutz. Eine Wirtschaftskrise könne die Demokratie zusätzlich gefährden, warnte Habeck. Ökologische Grenzen und die Digitalisierung machten Veränderungen in der Industrie und in Dienstleistungen notwendig. "Wir brauchen ein großes Investitionsprogramm, wir brauchen eine Neujustierung der Marktwirtschaft in Deutschland und in Europa", forderte er. Das Internet in Deutschland sei eine "Lachnummer", Züge kämen zu spät, Schwimmbäder würden geschlossen, es werde zu wenig Geld in Bildung, Forschung und öffentliche Räume gesteckt.
In den vergangenen Wochen haben die Grünen versucht, wirtschaftspolitisch Akzente zu setzen - unter anderem fordern sie einen neuen Fonds für Investitionen des Bundes und eine Lockerung der Schuldenbremse entlang den EU-Regeln.