Politik

Pofalla auf der Palme

Zweite Stammstrecke: Der ehemalige Bundesminister, CDU-Generalsekretär und Bahn-Vorstand reizt im Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags und handelt sich eine erneute Vorladung in München ein


Ronald Pofalla (l., CDU) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach einem Besuch des Stellwerks München-Ost am Ostbahnhof 2020. Wer wann zu viel gechillt hat bei dem Projekt, ist derzeit in Klärung im Untersuchungsausschuss zur Zweiten Stammstrecke.

Ronald Pofalla (l., CDU) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach einem Besuch des Stellwerks München-Ost am Ostbahnhof 2020. Wer wann zu viel gechillt hat bei dem Projekt, ist derzeit in Klärung im Untersuchungsausschuss zur Zweiten Stammstrecke.

Von Ralf Müller

MÜNCHEN - Das hat es noch in keinem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags gegeben: Der ehemalige CDU-Generalsekretär und Bahn-Vorstand Ronald Pofalla brachte die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss zur Münchner S-Bahn-Stammstrecke am Freitag so auf die Palme, dass seine Einvernahme abgebrochen wurde.

Pofalla habe das bayerische Parlament nicht so geachtet wie es die Bürger verdient hätten, schäumte Vize-Ausschussvorsitzender Jürgen Baumgärtner (CSU). Was war passiert?

Der ehemalige CDU-Politiker und Bundesminister für besondere Aufgaben in der Regierung von Angela Merkel startete seinen Zeugenauftritt mit der Verlesung einer umfangreichen Erklärung, in der er den Abgeordneten unter anderem erst einmal ausführlichst die Aufgaben und Funktion eines Vorstands der Deutschen Bahn nahe brachte.

Mehrere Interventionen des Ausschussvorsitzenden Bernhard Pohl (Freie Wähler), Pofalla möge doch zu den im Untersuchungsausschuss aufgeworfenen Fragen Stellung nehmen, wies der Jurist brüsk zurück: "Ich habe das Recht, ein Eingangsstatement zu machen. Das können Sie mir nicht nehmen."

Der Vorsitzende unterbricht die Sitzung - und schickt Pofalla nach Hause

Die Geduld des Ausschussvorsitzenden und der Mitglieder des Gremiums war endgültig erschöpft, als sich Pofalla nach einer Stunde Vortrag weigerte, Fragen zu beantworten. Das habe er in seinem Eingangsstatement schon alles beantwortet, trotzte Pofalla.

Daraufhin unterbrach Pohl die Sitzung. Nach zehnminütiger Beratung schickte er den prominenten Zeugen wieder heim - im einstimmigen Auftrag des Ausschusses, wie er sagte. Pofallas langer Vortrag habe zu zahlreichen offenen Fragen geführt, so dass sich der Ausschuss erst einmal eingehend damit befassen müsse.

Kurzum: Pofalla muss noch einmal in München antanzen. Bei CSU-Ausschussvize Baumgärtner hat der Ex-CDU-Generalsekretär den Eindruck hinterlassen, "dass das Problem schon bei der Bahn liegt".

Das Problem Kostenexplosion

Das "Problem" ist die Zeit- und Kostenexplosion beim Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke.

Der zuerst auf 3,85 Milliarden Euro geschätzte Bypass zur Entlastung des Münchner S-Bahn-Systems sollte 2028 in Betrieb gehen. Zuletzt war von Kosten in Höhe von 8,5 Milliarden und einem Fertigstellungstermin Ende 2037 die Rede. Zuvor hatte die Bahn einen neuen Kostenvoranschlag in Höhe von sieben Milliarden Euro bekannt gegeben.

Befahrbar sollte demnach der zweite Bahntunnel unter der Münchner Innenstadt nicht vor 2032 sein. Ob und wann die bayerische Staatsregierung von den nicht haltbaren Termin- und Kostenplänen erfahren hat und ob die Regierung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Erkenntnisse mit Blick auf die Bundestagswahl unter der Decke gehalten hat, soll der Untersuchungsausschuss klären.

Die von der Bahn abgegebene Sieben-Milliarden-Kostenschätzung sei "so verlässlich, wie man solche Pläne machen kann", sagte Pofallas Nachfolger in der Funktion des Bahn-Infrastrukturvorstands Berthold Huber als weiterer Zeuge im Ausschuss. Das gelte auch für die errechneten Kosten bei einem Ausstieg des Projekts in Höhe von 3,1 Milliarden Euro.

Insbesondere die Grünen bezweifeln, dass beim Ausstieg aus dem Projekt eine solche Summe fällig wäre.

Pofallas Aussage habe bestätigt, dass Söder und seine Minister seit Herbst 2020 auch direkt von der Bahn informiert worden seien, dass der Bau der zweiten Stammstrecke in München bei den Kosten wie bei der Terminplanung völlig aus dem Ruder laufe, erklärte die SPD-Landtagsabgeordnete Inge Aures.

Unternommen hätten die Bayern nichts, stattdessen sei "vertuscht" worden, wohl mit Blick auf die damals anstehende Bundestagswahl.

Weiteres Mega-Projekt auf der Kippe

Die zweite S-Bahn-Stammstrecke könnte nicht das letzte desaströse Großprojekt im Münchener Nahverkehr gewesen sein. Der Vorsitzende der Münchener Verkehrsgesellschaft (MVG) Ingo Wortmann führte als Zeuge den Ausschussmitgliedern vor Augen, dass die von der Landeshauptstadt geplante neue U-Bahnlinie U9 ein gewaltiges Risiko für den städtischen Haushalt darstellt.

Ohne definitiv zu wissen, ob diese Linie nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zuschussfähig ist, entschieden sich die Stadträte zuletzt im November vergangenen Jahres für ein "Vorhaltebauwerk", das unter dem Münchener Hauptbahnhof die Verknüpfung der neuen in Bau befindlichen S-Bahn mit einer neuen U-Bahn-Linie sicherstellen soll.

Sollte sich bei den weiteren Untersuchungen erweisen, dass die U9 einen zu geringen Kosten-Nutzen-Faktor ausweist und daher nicht förderfähig ist, würden die Münchener auf den mehr als 500 Millionen Euro für das Vorhaltebauwerk am Hauptbahnhof sitzen bleiben. Förderfähig gilt ein Faktor von mehr als 1,0.

Zuerst habe man bei der U-Bahn nur einen solchen Faktor von 0,1 ermittelt, berichtete Wortmann. Inzwischen ergäben neue standardisierte Berechungen zwar immer noch einen Faktor unter eins, man hoffe aber, darüber hinaus zu kommen, sagte Wortmann.

Der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte eine Förderung der neuen U-Bahn-Strecke in München auch bei einem Kosten-Nutzen-Faktor unter 1,0 in Aussicht gestellt, weil es sich um einen "Sonderfall" handele. Die Stadtrats-ntscheidung, trotz aller Unklarheiten das Vorhaltebauwerk in Auftrag zu geben, sei eben eine "Risikoabwägung" gewesen, sagte Wortmann. Ohne diese aufwendige Baumaßnahme wäre der Zug für die U9 schon vor Baubeginn abgefahren gewesen.