Wahlanalyse

Österreich ist kein anderes Land geworden über Nacht


Österreich hat gewählt, der Koalitionspoker beginnt: Sebastian Kurz (l.) kann sich seinen Partner aussuchen, die FPÖ von Norbert Hofer (r.) wird es vermutlich nicht werden.

Österreich hat gewählt, der Koalitionspoker beginnt: Sebastian Kurz (l.) kann sich seinen Partner aussuchen, die FPÖ von Norbert Hofer (r.) wird es vermutlich nicht werden.

Von Sven Geißelhardt

Österreich nach der Wahl. Die FPÖ ist an sich selbst gescheitert, Sebastian Kurz muss sich trotz seines überwältigenden Sieges neu definieren - und sollte nachschlagen bei Helmut Qualtinger.

Österreich hat seinen "Wunderwuzzi" Sebastian Kurz zurückgeholt, die Rechtspopulisten der FPÖ abgestraft und den grünen Klimaschützern ein "Sunday for Future"-Traumergebnis beschert. Schon ist die Rede von einer reinigenden Wirkung, von einem Signal an Europa, das die Wahl vom Sonntag aussendet. Das wäre wichtig für die Seele eines kleinen Landes, das traditionell zwischen Selbstzweifeln und Selbstüberschätzung mäandert und dem sein Ruf im Ausland so wichtig ist. Die FPÖ also entzaubert, ihr Gedankengut aussortiert? So einfach ist es nicht. So einfach wird es vor allem nicht.

Österreich ist kein anderes Land geworden über Nacht. Und es hat auch wohl kaum die salonfähig gewordenen Sympathien verloren, etwa für einen harten Kurs gegenüber Zuwanderern. Die FPÖ ist nicht an ihren rassistischen und xenophoben Positionen gescheitert, nicht an den seriellen Einzelfällen rechtsextremer Äußerungen von Mandatsträgern. Sie ist nicht einmal so sehr an der Ibiza-Affäre zerbrochen.

Bis zuletzt lag die Partei unter dem neuen Vorsitzenden Norbert Hofer in Umfragen bei über 20 Prozent. Schließlich war es die erst wenige Tage vor dem Urnengang bekanntgewordene Spesenaffäre um den ehemaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Erst dann folgte der Absturz. Und erst dann sorgten wütende FPÖ-Anhänger für einen Shitstorm auf Straches Facebook-Seite.

Immerhin noch 16 Prozent wählten die FPÖ

Für den Mitte-Rechts-Reformkurs von Sebastian Kurz ist die Zustimmung hingegen ungebrochen. Kurz hatte im Wahlkampf, den er zwar ohne formalen Kanzlerbonus, dafür aber mit maximal vielen persönlichen Kontakten führte (so gut wie jeder Österreicher besitzt heute ein eigenes oder weitergeleitetes Selfie mit dem Polit-Shootingstar), die Fortsetzung seiner Veränderungspolitik betont. Damit holte er eine Viertelmillion abgewanderter FPÖ-Wähler (bei 6,4 Millionen Wahlberechtigten) ins Lager der Volkspartei.

Immerhin 16 Prozent der Österreicher wählten die FPÖ. Das ist die Reduzierung auf eine ideologisch festgelegte Stammwählerschaft in beträchtlicher Größe. Und eine Basis dafür, dass die Freiheitlichen nach einer inhaltlichen und wohl auch personellen Neuaufstellung in der Opposition zum Comeback ansetzen könnten.

Wagt Kurz nun Schwarz-Grün?

Ohne den blauen Regierungspartner bleiben Kurz als Koalitionsmöglichkeiten eine Wiederauflage der für Stillstand stehenden großen Koalition mit der SPÖ oder das Premieren-Abenteuer eines Bündnisses mit den Grünen. In beiden Fällen wäre eine Mitte-Rechts-Politik für Kurz nicht zu realisieren. Er wird sich neu definieren müssen. Gerade im Falle von ÖVP und Grünen, die in konkreten Fragen des Klimaschutzes und bei der Zuwanderung weit auseinanderliegen, müssten sich beide Seiten deutlich bewegen. Nachschlagen können sie dabei beim großen Helmut Qualtinger: "Österreich ist ein Land, in dem der Kompromiss geschlossen wird, noch ehe der Konflikt erkennbar ist."