Fossile Energieträger
Öl als "Geschenk Gottes"? - Gastgeber schockt Klimagipfel
12. November 2024, 10:12 Uhr
UN-Generalsekretär António Guterres sieht im Kampf gegen die Klimakrise die Zeit ablaufen. "Wir sind im finalen Countdown, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen", sagte Guterres auf der Weltklimakonferenz im aserbaidschanischen Baku. "Und die Zeit ist nicht auf unserer Seite."
Damit bezieht er sich auf das international vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Es sieht derzeit nicht gut aus für dieses Ziel: Dieses Jahr wird aller Voraussicht nach erstmals die Grenze reißen. Das Ziel gilt allerdings erst im mehrjährigen Schnitt als verfehlt.
Guterres bezeichnet 2024 als "Lehrstück für Klimazerstörung": Familien seien vor dem nächsten Hurrikan um ihr Leben gerannt, Arbeiter in unerträglicher Hitze zusammengebrochen und Kinder wegen Ernteausfällen hungrig ins Bett gegangen. "All diese Katastrophen sind durch den menschengemachten Klimawandel noch verstärkt."
"Dies ist vermeidbare Ungerechtigkeit", betonte Guterres. "Die Reichen verursachen das Problem, die Ärmsten zahlen den höchsten Preis." Der UN-Chef rief die Staaten der Welt dazu auf, ihre Versprechen einzulösen und aus den klimaschädlichen fossilen Energien auszusteigen.
Außerdem müssten sie Geld in die Hand nehmen, um entstandene Schäden und Verluste abzufedern, aber auch langfristig die Finanzierung von Klimaschutz und Anpassung in ärmeren Ländern zu unterstützen. Darüber wird in Baku auf der zweiwöchigen Konferenz verhandelt. "Entwicklungsländer dürfen Baku nicht mit leeren Händen verlassen. Ein Deal ist ein Muss - und ich bin zuversichtlich, dass wir einen bekommen", sagte Guterres.
In der Verantwortung sieht er vor allem die industriestarken G20-Staaten, die sich nächste Woche in Brasilien treffen. "Klimagelder sind keine Almosen, sie sind ein Investment. Klimaschutz ist keine Option, es ist eine Pflicht", betonte Guterres. "Die Uhr tickt."
In der Wissenschaft gibt es einen klaren Konsens: Sollen die katastrophalsten Folgen der Erderwärmung verhindert werden, dürfen keine neuen Projekte zur Förderung von Kohle, Öl und Gas mehr entstehen.
Auf der letztjährigen UN-Klimakonferenz in Dubai hatten sich alle Staaten erstmals grundsätzlich auf eine Abkehr von diesen klimaschädlichen Energieträgern verpflichtet.
Die Realität ist von diesem Ziel weit entfernt: Die Öl- und Gasproduktion der großen Förderunternehmen weltweit hat einer Analyse von Umweltorganisationen zufolge 2023 einen Höchststand erreicht. Das geht aus der "Global Oil & Gas Exit List" hervor, die die Organisation Urgewald gemeinsam mit mehr als 30 Partnern jährlich aktualisiert.
Demnach förderten die erfassten Unternehmen - die 95 Prozent der weltweiten Öl- und Gasproduktion ausmachen - im vergangenen Jahr 55,5 Milliarden Barrel Öl-Äquivalent. Dies lag den Angaben zufolge über den bisherigen Höchstwerten, die vor der Corona-Pandemie erreicht wurden. 2019 entsprach dieser Wert 55,01 Milliarden Barrel Öl-Äquivalent. Mit der Einheit werden Energieträger vergleichbar gemacht: Es geht um die Energiemenge, die beim Verbrennen von einem Barrel Erdöl freigesetzt wird.
Gestärkt wurde die Öl- und Gasindustrie auch durch einen Sieg vor Gericht, den der britische Konzern Shell gegen Klimaschützer erzielte: Der Konzern muss nach der Entscheidung der Richter doch nicht seinen CO2-Ausstoß drastisch reduzieren. Ein Zivilgericht in Den Haag hob ein Urteil der ersten Instanz auf und wies die Klage von Umweltschützern ab. Das Verfahren in Den Haag hatte nach dem historischen Sieg der Klimaschützer in erster Instanz weltweit Aufmerksamkeit erregt. Eine neue Verurteilung von Shell hätte Folgen auch für andere Unternehmen haben können.
UN-Generalsekretär António Guterres nannte es parallel in Baku "absurd", noch auf fossile Energie zu setzen. "Die Reichen verursachen das Problem, die Ärmsten zahlen den höchsten Preis." Der UN-Chef rief die Staaten der Welt dazu auf, ihre Versprechen einzulösen und aus den klimaschädlichen fossilen Energien auszusteigen. Besonders die Industriestaaten der G20-Gruppe sieht er dabei in der Verantwortung.
Aus diesen Staaten fehlten gleich mehrere Staats- und Regierungschefs auf der Bühne in Baku. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fehlten auch US-Präsident Joe Biden, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Am Tag, für den eigentlich sein Besuch in Baku geplant war, äußerte sich der im Regierungschaos gefangene Scholz lediglich schriftlich zu einem von ihm in den vergangenen Jahren angestoßenen Klima-Club aus einigen Dutzend Staaten.
Stattdessen äußerten sich vor dem Plenum in Baku Politikerinnen und Politiker aus Staaten, die die Klimakrise besonders heftig zu spüren bekommen: Die Präsidentin der vom steigenden Meeresspiegel bedrohten Marshallinseln, Hilda Heine, fragte etwa, ob und wann Staaten und Firmen zur Rechenschaft gezogen würden, die immer noch auf die Förderung von Kohle, Öl und Gas setzen. "Die Geschichte wird über diejenigen urteilen, die bei dem Übergang versagen." Manche dächten offenbar, sie seien selbst immun gegen die Zerstörungen vor ihrer Haustür.
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