Kommunen unter Druck
Flüchtlingsgipfel bei Faeser: Lokalpolitiker fordern Hilfe
16. Februar 2023, 5:11 Uhr
Eine Million Menschen aus der Ukraine und steigende Asylzahlen - viele Kommunen sehen sich unter Druck. Sie fordern verlässliche Finanzierung, die Begrenzung irregulärer Migration und mehr Abschiebungen.
Gernot Schmidt wird sofort ziemlich deutlich. "Das Kernproblem ist, dass Land und Bund es sich sehr einfach machen", empört sich der SPD-Landrat. 5000 Geflüchtete habe sein Landkreis Märkisch-Oderland östlich von Berlin seit 2015 aufgenommen. Vor allem Familien kämen und blieben bei ihm in der Region. Nun sei Wohnraum knapp, es fehlten Kitas und Schulen. "Es hängt alles am Ausbau der Infrastruktur", sagt Schmidt. Nötig seien mehr Investitionen und weniger Bürokratie, damit schneller gebaut werden könne.
Solche Hilferufe der Kommunen hört Bundesinnenministerin Nancy Faeser seit Wochen. Bei einem weiteren Flüchtlingsgipfel an diesem Donnerstag will die SPD-Politikerin mit Ländern und Kommunen beraten - zum zweiten Mal binnen vier Monaten. Kommunalpolitiker fordern eine verlässliche Finanzierung der Unterbringung der Geflüchteten, aber auch eine gerechtere Verteilung und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Einige hätten am liebsten gleich mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verhandelt. Doch Scholz überlässt die Lösungssuche erstmal der zuständigen Ministerin.
Die Union kritisiert das. CDU-Innenpolitiker Alexander Throm findet, Faeser habe "den Ländern und Kommunen nichts anzubieten". Das sieht die Grünen-Abgeordnete Karoline Otte, Mitglied im Bundestagsausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen, zwar anders. Aber auch sie erwartet, dass, um den Kommunen mehr finanzielle Planungssicherheit zu geben, wohl eine zweite Runde folgen muss.
Die Zahlen
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine kamen 2022 mehr als eine Million Menschen aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland. Darüber hinaus beantragten hier im vergangenen Jahr 217.774 Menschen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und anderen Staaten erstmals Asyl - so viele wie seit 2016 nicht. Im Januar 2023 kamen 29.072 Asylanträge hinzu. Faeser sagte Anfang der Woche bei einer Veranstaltung der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist sehr schwierig, aber es ist deshalb schwierig, weil Putin diesen Krieg angefangen hat. Acht von zehn Flüchtlingen kommen aus der Ukraine, das macht die große Zahl aus."
Die Unterbringung
"Viele Kommunen sind bei der Unterbringung von Geflüchteten bereits jetzt an der Belastungsgrenze angekommen", heißt es in einem Papier des Städte- und Gemeindebunds. Gerade die Geflüchteten aus der Ukraine seien oft zuerst in Familien oder Ferienwohnungen unterkommen, doch sei diese Kapazität "aufgebraucht", berichtete Landrat Onno Eckert aus dem thüringischen Landkreis Gotha vor einigen Tagen im Deutschlandfunk. Jetzt kämen Asylsuchende hinzu.
"Insgesamt ist es dann schon so, dass es eine Herausforderung ist", sagte der SPD-Politiker. Es gebe bei ihm 400 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften, aber wenig freie Wohnungen.
Seit März 2022 wurden nach einer Recherche des Mediendiensts Migration bundesweit fast 74.000 Aufnahmeplätze geschaffen. Insgesamt seien die Strukturen stark ausgelastet. Es gebe aber Unterschiede: In Bayern seien die Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen zu 90 Prozent belegt, in Hessen zu 50 Prozent.
Auch Faeser sagte: "Die Belastungssituation ist unterschiedlich, die ist in einigen Bereichen sehr prekär." Dazu zählte die SPD-Politikerin Leipzig, wo Zeltstädte errichtet werden. Faeser hat bereits zugesagt, mehr freie Gebäude des Bundes für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Nicht überall klappt das schnell. Einige Kommunalpolitiker hoffen zudem auf leerstehende Liegenschaften der Länder.
Die Verteilung
Grundsätzlich gilt: Regionen mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit werden relativ viele Schutzsuchende zugewiesen, sie haben aber oft wenig bezahlbaren Wohnraum. Genau aus diesem Grund forderten Kommunalpolitiker aus dem Main-Taunus-Kreis - in der Nachbarschaft von Faesers Wohnort in Hessen - von Bundeskanzler Scholz andere Kriterien für die Zuweisung neuer Flüchtinge.
Eine "gerechtere Verteilung" mahnten diese Woche aber auch Cottbus und angrenzende der Landkreis Spree-Neiße an. Die Stadt hätte laut Schlüssel 1120 Asylbewerber und aufnehmen müssen, hat aber bereits mehr als 1400 untergebracht. Grund ist wohl weniger die Wirtschaftsstärke als die Nähe zur polnischen Grenze. Eine andere, allseits als "gerecht" empfundene Verteilung in Deutschland dürfte also schwierig werden.
Der Städte- und Gemeindebund fordert deshalb neben schnelleren Asylverfahren und einer "Rückführungsoffensive" eine "zielgenauere Verteilung" von Schutzsuchenden in der gesamten EU. "Die Kommunen brauchen bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine "Atempause"", meint der Kommunalverband. Die Verteildiskussion auf EU-Ebene ist jedoch seit Jahren ergebnislos.
Was es sonst noch braucht
Vor allem die mit ihren Müttern geflüchteten Kinder aus der Ukraine brauchen Kitas und Schulen - wobei in Ballungsräumen ohnehin schon Lehrerinnen- und Erziehermangel herrscht. Landrat Schmidt aus Märkisch-Oderland verweist auf das Konfliktpotenzial: Die Kinder hätten einen Bildungsanspruch, aber wenn die Gruppen und Klassen zu groß würden, gebe es Unmut der übrigen Eltern.
Schmidt ist auch dafür, Asylbewerbern ähnlich wie den Geflüchteten aus der Ukraine sofort eine Arbeitserlaubnis zu geben. Immer wieder höre er die Klage von Bürgern, dass die Ankommenden über Jahre in Sozialsystemen blieben.
Ähnlich sieht das der evangelische Pfarrer Lukas Pellio aus dem brandenburgischen Spremberg, der sich seit Jahren um Geflüchtete kümmert. Ukrainer und Menschen aus anderen Staaten dürften nicht unterschiedlich behandelt werden, meint Pellio. "Da gibt es ja nun plötzlich die guten Flüchtlinge und die bösen." Auch Migrations- und Sozialpolitik dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.
In Sachsen, wo in einigen Orten erneut gegen die Unterbringung von Flüchtlingen protestiert wird, will der Landkreis Mittelsachsen neue Wege gehen: Er will selbst in die Rolle des Bauherrn schlüpfen, um preiswerten Wohnraum zu schaffen - für insgesamt 500 Menschen. Die Geflüchteten könnten so regional fairer verteilt werden. Bisher seien die Städte Freiberg und Hainichen überproportional belastet. "Das schafft Probleme, die vermeidbar wären", heißt es aus dem Landratsamt. Von Genehmigung bis Fertigstellung brauche ein solcher Neubau allerdings immer noch 16 bis 18 Monate.
Keine Ad-Hoc-Politik
Ein offener Brief des Hauptgeschäftsführers des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, und anderer riet diese Woche zu nachhaltigen Strukturen. Krisen und Katastrophen könnten immer überraschend auftreten:
"Unterkünfte für Geflüchtete müssen in ausreichender Zahl bereitgehalten werden, auch wenn uns bewusst ist, dass dies gegebenenfalls mit Kosten für Kommunen und andere Anbieter verbunden ist. Andernfalls flüchten Menschen in die Obdachlosigkeit, und das kann noch teurer werden." Container oder Turnhallen seien maximal eine kurzfristige Lösung.