Gutachten vorgestellt
Expertenrat: Deutschland muss umsteuern für Klimaziele 2030
4. November 2022, 13:35 Uhr aktualisiert am 4. November 2022, 13:35 Uhr
Schlechte Noten für Deutschlands Klimapolitik: Experten sehen die gesteckten Ziele in weiter Ferne. Vor allem bei den Treibhausgasen müsste sich die Minderungsmenge mehr als verdoppeln.
Deutschlands Klimaziele für das Jahr 2030 sind nach Einschätzung des Expertenrats der Bundesregierung in großer Gefahr. "Im Moment sieht es nicht so aus, als könnten wir die Ziele erreichen", sagte die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf am Freitag in Berlin bei der Vorstellung eines Gutachtens zum Stand der deutschen Klimapolitik. "Mit einem "Weiter so" werden wir die Klimaziele für das Jahr 2030 definitiv nicht erreichen", warnte Knopf. Die Bundesrepublik will ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent senken im Vergleich zum Jahr 1990.
Zwei Tage vor dem Beginn der nächsten Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich übergab der Expertenrat für Klimafragen seinen Bericht zum Stand der deutschen Klimapolitik an Regierung und Bundesrat. Das unabhängige Gremium aus fünf Sachverständigen veröffentlichte dieses im Klimaschutzgesetz festgeschriebene sogenannte Zweijahresgutachten erstmals, weitere Gutachten folgen dann im Rhythmus von zwei Jahren.
14-fache Erhöhung beim Verkehr nötig
"Die jährlich erzielte Minderungsmenge müsste sich im Vergleich zur historischen Entwicklung der letzten 10 Jahre mehr als verdoppeln", erklärte Ratsmitglied Thomas Heimer mit Blick auf den deutschen Ausstoß an Treibhausgasen. "Im Industriesektor wäre etwa eine 10-fache und beim Verkehr sogar eine 14-fache Erhöhung der durchschnittlichen Minderungsmenge pro Jahr notwendig."
Zwischen 2000 und 2021 sei der Ausstoß klimaschädlicher Gase in Deutschland zwar temperaturbereinigt um rund 27 Prozent gesunken, konstatierte das Gremium. Die Hälfte dieser Minderung gehe auf das Konto der Energiewirtschaft. Es habe auch durchaus Entwicklungen hin zu einem sparsameren Einsatz von Energie gegeben.
Allerdings würden diesen ein stärkerer Verbrauch und Konsum entgegenwirken. "Effizienzgewinne wurden also beispielsweise durch das allgemeine Wirtschaftswachstum, größere Wohnfläche oder gestiegene Transportleistungen konterkariert", erläuterte der Vorsitzende Hans-Martin Henning. So sei der Bestand an Fahrzeugen ständig gestiegen. "Das wirkt natürlich kontraproduktiv." Wenn sich jemand ein Elektroauto mit besserer Umweltbilanz als Zweitwagen anschaffe und sein altes Auto daneben weiter nutze, sei "überhaupt nichts gewonnen".
Tempo bei Erneuerbaren dringend erforderlich
Nötig sei nun ein forcierter Ausbau erneuerbarer Energien. Bei Solaranlagen und Windparks auf See werde es schwierig, die Ziele zu schaffen, sagte Knopf, während es bei Windparks an Land besser aussehe. Geräte wie Heizungen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten, müssten ausgetauscht werden, aber auch die Menschen ihr Verhalten ändern, mahnt der Expertenrat.
Die Fachleute meldeten aber Zweifel daran an, dass ein Nachsteuern am bisherigen Kurs ausreichen werde. Beim Blick auf die vergangenen zwanzig Jahre sei fraglich, ob künftige Klimaziele ohne einen Paradigmenwechsel erreicht werden könnten, sagte Henning. Eine Möglichkeit seien etwa harte Grenzen für noch zulässige Emissionen. Für die dann noch erlaubten Mengen könnte ein Handelssystem aufgebaut werden. Für die Politik gehe es dann darum, den noch möglichen Verbrauch so zu organisieren, dass Wirtschaft und Gesellschaft damit zurecht kämen.
Umweltorganisationen sahen sich in ihrer Kritik an der Bundesregierung bestärkt. "Bei der COP27, die am Sonntag beginnt, wird Bundeskanzler (Olaf) Scholz den anderen Ländern erklären müssen, warum Deutschland nicht entschiedener gegen die Klimakrise vorgeht", erklärte die Vorständin der Klima-Allianz Deutschland, Christiane Averbeck, mit Blick auf die Weltklimakonferenz, die sogenannte COP. Anreize allein reichten nicht für den klimafreundlichen Umbau, unterstrich Tobias Austrup von Greenpeace. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien sei wichtig: "Öl- und Gasheizungen müssen früher aus den Kellern, Diesel und Benziner schneller von den Straßen verschwinden."
Die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae, erklärte, der nötige Zubau an erneuerbaren Energien sei machbar. Erste Weichen habe die Bundesregierung auch bereits gestellt, mehr sei aber nötig. "Um den Turbo zu zünden, brauchen wir dringend mehr Flächen für Erneuerbare, schlankere Verfahren und ein klares Bekenntnis zum Ausbau der regenerativen Energien auf allen staatlichen Ebenen." Auch das bisher noch in der Regierungsabstimmung befindliche Klimaschutzsofortprogramm müsse endlich kommen.