Jetzt geht die Post ab

Die wackelige GroKo-Wahl der SPD


Teilnehmer des Landesparteitages der SPD bei einer Abstimmung.

Teilnehmer des Landesparteitages der SPD bei einer Abstimmung.

Von Sven Geißelhardt

GroKo oder NoGroKo? Die SPD-Mitglieder gehen in diesen Tagen zum Briefkasten und schicken wichtige Post nach Berlin. Angela Merkel kann nur im Kanzleramt sitzen und hoffen. Denn geht das Votum schief, wird es auch nach 160 Tagen keine neue stabile Regierung geben.

Berlin - 2013 war alles anders. Euphorisch, weil der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Herzensprojekte wie 8,50 Euro Mindestlohn abgetrotzt hatte, stimmten 75,96 Prozent der SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag mit der Union zu. "Bei uns wird nicht von Basisdemokratie geredet, wir leben sie", bilanzierte Gabriel.

Nun gibt es eine Neuauflage - aber die SPD wollte eigentlich in die Opposition nach dem Absturz bei der Bundestagswahl auf 20,5 Prozent. Sie verlor Parteichef Martin Schulz bei den Geburtswehen der GroKo und es gibt, anders als 2013, eine große "Nein"-Kampagne. Juso-Chef Kevin Kühnert warnt, mit Schreckenszenarien eine Zustimmung erzwingen zu wollen. "Eine Partei, die Angst vor Neuwahlen hat, kann den Laden gleich zumachen. Wir müssen selbstbewusster auftreten", sagt er.

Wie läuft das SPD-Mitgliedervotum ab?

Es startet offiziell am Dienstag, bis dann soll auch das letzte Mitglied die Unterlagen im Briefkasten haben, viele haben diese bereits erhalten. Die nun startende Abstimmung dauert bis 2. März, 24 Uhr. Dafür muss man auch eine eidesstattliche Erklärung ausfüllen. Alle Briefe, die später im Postfach des Parteivorstands eingehen, werden nicht mehr berücksichtigt. Stimmberechtigt sind exakt 463.723 SPD-Mitglieder, die bis zum Stichtag 06. Februar Mitglied waren. Die Kosten belaufen sich nach SPD-Angaben auf rund 1,5 Millionen Euro.

Hat denn jedes Mitglied den Koalitionsvertrag erhalten?

Ja. Die Parteizeitung Vorwärts druckte eine Sonderausgabe mit dem 177-seitigen Koalitionsvertrag, die auch per Post verschickt wurde. Zudem kann der Vertrag online heruntergeladen werden. Die gestellte Frage an die Mitglieder lautet: "Soll die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) den mit der Christlich-Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) ausgehandelten Koalitionsvertrag vom Februar 2018 abschließen? - Ja oder Nein."

Kann man auch online abstimmen?

Nein. Eine Online-Abstimmung ist bislang nur für rund 2.300 im Ausland lebende SPD-Mitglieder möglich. Klappt dieser Test, kann eine Option mit Internetabstimmung beim nächsten Mal auch im Inland bei einem SPD-Mitgliederentscheid zum Einsatz kommen. Aber: Die Kosten wird das kaum reduzieren, viele SPD-Mitglieder über 60 Jahre alt sind und die Partei aus Verfahrensgründen die Unterlagen auch per Post zusenden muss. Daher lässt sich das Votum auch kaum beschleunigen.

Wo werden die Briefe ausgezählt?

Die Post wird die Briefe per Lastwagen zur Berliner SPD-Zentrale, dem Willy-Brandt-Haus, bringen. Anders als 2013 wird keine Halle für die Auszählung angemietet, damals fand sie in einem früheren Postbahnhof statt. Die SPD hat durch die schwierige Regierungsbildung hohe Kosten zu verkraften, unter anderem durch den Groko-Sonderparteitag. Hinzu kommt wegen des schlechten Bundestagswahlergebnisses weniger Geld aus der Parteienfinanzierung. Allein Sonderparteitag und Votum kosten die SPD rund 2,5 Millionen Euro extra. Die 120 Freiwilligen, die beim Auszählen im Willy-Brandt-Haus helfen, müssen ihre Handys abgeben, damit das Wahlgeheimnis nicht gefährdet wird. Zur Brieföffnung kommen Hochleistungsschlitzmaschinen zum Einsatz - sie können pro Stunde 20.000 Briefe öffnen. 2013 dauerte die Auszählung rund 14 Stunden.

Wann wird das Ergebnis verkündet?

Am Sonntag, den 4. März, wahrscheinlich am frühen Nachmittag. Und zwar nach bisheriger Planung nicht von dem kommisarischen SPD-Chef Olaf Scholz oder der designierten SPD-Chefin Andrea Nahles, die auf einem weiteren Sonderparteitag am 22. April in Wiesbaden gewählt werden soll. Beim letzten Mal verkündete das in ganz Europa erwartete Ergebnis Barbara Hendricks, weil sie Vorsitzende der Mandatsprüfungs- und Zählkommission war - dieses Mal wäre das Schatzmeister Dietmar Nietan. Das Ergebnis für Annahme oder Ablehnung der Koalition ist bindend, wenn mindestens 20 Prozent der Mitglieder abstimmen. Der 45-köpfige Vorstand kann sich nicht über das Ergebnis hinwegsetzen.

Wie viele Mitglieder stimmten 2013 ab?

Es wurden damals 369.680 Stimmen abgegeben. (77,86 Prozent), davon wirksam, also fristgerecht eingegangen, waren 337.880. Mit Ja stimmten damals 256.643 SPD-Mitglieder (75,96 Prozent). Gibt es ein Ja, will die SPD-Spitze danach die Besetzung der sechs SPD-Ressorts in der geplanten dritten großen Koalition unter Kanzlerin Merkel bekanntgeben.

Was stößt bei der SPD-Basis auf besonders viel Kritik?

Alle Koalitionen mit Merkel hätten gezeigt, dass kein Politikwechsel oder Aufbruch möglich sei. Es werde an Stellschrauben gedreht, aber nichts ganz Neues gewagt. Juso-Chef Kühnert kritisiert, es gebe über 100 Kommissionen und Prüfaufträge im Koalitionsvertrag, es fehle zudem an Maßnahmen gegen die ungleiche Vermögensentwicklung. Und so werde nun dfas Klimaziel 2020 aufgegeben und ein neues für 2030 auserkoren. "Das ist eine Politik, die Verantwortung weit in die Zukunft schiebt." Eine "NoGroko"-Initiative aus NRW, darunter auch Vorstandsmitglieder, meint: "Eine neue Zeit braucht eine neue Politik". Kernforderungen seien unerfüllt. So werde die grundlose Jobbefristung in Betrieben über 75 Beschäftigten zwar eingeschränkt. In kleineren Betrieben und im öffentlichen Dienst bleibe sie aber "vollumfänglich bestehen".

Darf eine Partei über die nächste Regierung bestimmen?

Wie schon 2013 hat das Bundesverfassungsgericht Eilanträge abgelehnt, dass das Votum nicht mit dem Prinzip der Freiheit der Abgeordneten und den Grundsätzen der repräsentativen Demokratie vereinbar sei. Dabei wird argumentiert, dass ein solches Votum der Mitglieder die frei gewählten Bundestagsabgeordneten binde. Aber es wird ja hier nicht direkt über ein Regierungshandeln oder die Zusammensetzung einer Regierung entschieden, sondern nur, ob eine Partei sich daran beteiligen will. So meint die Landeschefin von Baden-Württemberg, Leni Breymeier mit Blick auf FDP-Chef Christian Lindner: "So was entscheidet in der FDP ein Mann alleine". Bei der CDU werden nicht alle Mitglieder entscheiden, sondern ein Parteitag am 26. Februar.

Kann es zur Ablehnung und einer möglichen Neuwahl kommen?

Nach den Chaos-Tagen bei der SPD schlägt das Pendel eher Richtung GroKo aus. Denn laut ARD-Deutschlandtrend steht die SPD nur noch bei 16 Prozent, einen Punkt vor der AfD - bei einer Neuwahl müsste die älteste demokratische Partei Deutschlands ein Debakel fürchten. "Ich bin zuversichtlich: Am Ende wird es ein Ja geben", sagte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil. Ein Kenner der Parteiseele tippt auf ein Ergebnis von 60:40. Aber es ist keine Zustimmung mit dem Herzen, sondern nur aus kühler Ratio. Kanzlerin Merkel könnte dann in der ersten März-Hälfte wiedergewählt werden.

Und wenn es schief geht?

Die längste Regierungsbildung der Bundesrepublik wird in jedem Fall auch noch die 160-Tages-Schwelle reißen, also fast ein halbes Jahr. Sagt die Basis Nein, müssten die Karten ganz neu gemischt werden - dann drohen Verwerfungen, Merkel könnte versuchen, ohne feste Mehrheit zu regieren und sich für Auslandseinsätze oder den Haushalt unterschiedliche Partner für eine Mehrheit zu suchen - aber sie könnte jederzeit durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden.

Kann es bei einem SPD-Nein sofort eine Neuwahl geben?

Nein. Der Weg dahin ist schwierig, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier müsste erst jemanden zur Kanzlerwahl im Bundestag vorschlagen. Es würde mangels Koalition keine absolute Mehrheit etwa für Merkel geben - im dritten Wahlgang würde die relative Mehrheit reichen. Steinmeier müsste dann entscheiden, ob er sie zur Kanzlerin einer Minderheitsregierung ernennt - er könnte auch den Bundestag auflösen. Dann müsste binnen 60 Tagen eine Neuwahl stattfinden. Es gibt für dieses Szenario Spekulationen, eine Neuwahl im Bund zusammen mit der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober 2018 anzustreben.