Politik

Debatte um Panzerlieferungen: Bundeskanzler Olaf Scholz zunehmend isoliert

Das Zögern des Kanzlers bei der Panzerlieferung animiert die Union dazu, FDP und Grüne zum Koalitionsausstieg aufzufordern. Zu Recht?


Bundeswirtschaftsminister RobertHabeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): In der Frage, ob sie Kampfpanzer an die Ukraine liefern sollen, sind sich ihreParteien uneins.

Bundeswirtschaftsminister RobertHabeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): In der Frage, ob sie Kampfpanzer an die Ukraine liefern sollen, sind sich ihreParteien uneins.

Von Bernhard Junginger

Berlin - Vielleicht denkt Olaf Scholz in diesen Tagen an das berühmte Schildchen auf dem Schreibtisch des einstigen US-Präsidenten Harry S. Truman. "The buck stops here" stand darauf, was etwa bedeutet, dass das Abwälzen von Verantwortung hier endet. Wer da sitzt, kann den sprichwörtlichen Schwarzen Peter nicht mehr weitergeben. Denn einer muss am Ende entscheiden.

Und dieser Eine ist in der brisanten Frage, ob Deutschland Kampfpanzer an die ukrainische Armee liefern soll, der deutsche Bundeskanzler. Alle blicken sie gespannt und immer ungeduldiger auf den 64-Jährigen: die Menschen in der Ukraine, die Verbündeten in Europa und Übersee, die Koalitionspartner. Sie erwarten ein rasches Ende der zunehmend konstruiert wirkenden Ausweichmanöver, mit denen der SPD-Politiker die seit Monaten und immer dringlicher von der Ukraine vorgebracht Bitte abwimmelt, ihren Kampf gegen die russischen Invasoren mit dem Leopard 2 zu unterstützen.

Jeder Tag des Zögerns kostet ihn politischen Kredit. Spätestens nach dem Ukraine-Gipfel von Ramstein wirkt Scholz isoliert. Die Union drängt Grüne und FDP sogar schon zum Bruch des Ampel-Bündnisses.

Wie der Kanzler sich verhält, ist in dieser brisanten Frage weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus von höchster Bedeutung. Insgesamt 13 europäische Staaten verfügen über den Kampfpanzer Leopard 2, eines der Glanzstücke der deutschen Rüstungsindustrie. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigte gerade wieder, wie sehr das Waffensystem seinem Land in dieser kritischen Phase des Krieges helfen könnte, die russischen Truppen zurückzudrängen. Länder wie Polen, Finnland oder Spanien hatten bereits signalisiert, dass sie bereit wären, Exemplare aus ihren Beständen abzugeben.

Doch ein Export ist nur mit deutscher Genehmigung möglich, von Scholz' Entscheidung hängt also ab, ob überhaupt "Leos" geliefert werden - egal ob aus Beständen der Bundeswehr, von anderen Armeen oder vom Hersteller direkt.

Die Partner in der Ampel-Koalition drängen den Kanzler zu einer Entscheidung. Trotz ihrer starken Wurzeln in der Friedensbewegung ist bei den Grünen die Geduld für das Zögern aufgebraucht.

Dass die grüne Außenministerin Annalena Baerbock am Sonntagabend erklärte, dass Deutschland der Lieferung polnischer Leoparden an die Ukraine nicht im Wege stehen würde, kommt schon fast einer Machtprobe gleich.

Gestern muss Scholz' Sprecher Steffen Hebestreit in der Bundespressekonferenz versichern, dass eine solche Entscheidung nicht getroffen würde, ohne dass der Kanzler sie mitträgt. Ob die Außenministerin ihren Vorstoß mit dem Kanzler abgesprochen hatte, bleibt offen. Eine konkrete polnische Anfrage aber lag laut Bundesregierung bis gestern Mittag nicht vor.

Hebestreit verweist darauf, dass Deutschland bereits viele Waffen geliefert und zuletzt auch die Weitergabe des Schützenpanzers Marder beschlossen hat. Es sei nicht gerade so, dass sich die Ukraine mit "Speer und Steinschleuder" gegen die russischen Angreifer verteidigen müsse. Er wiederholt die bekannten Argumente des Kanzlers, wonach es vor einer Leopard-Lieferung genauer Abstimmungen mit den internationalen Partnern bedürfe, führte Herausforderungen in Sachen Ausbildung, Logistik, Kompatibilität, Wartung und Munitionsversorgung ins Feld.

Gleichzeitig bekundete der Scholz-Sprecher Verständnis für die verzweifelten Panzer-Appelle aus der Ukraine: "Es geht im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod." Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hatte Scholz zuvor zu klaren Aussagen gedrängt (AZ berichtete).

SPD-Chef Lars Klingbeil appellierte an Grüne und FDP,
derartige
"Querschüsse" einzustellen. Er sprach von "aufgeregten Debatten bis hin zu Beleidigungen", die den Falschen nutzten. "Der größte Gefallen, den wir Wladimir Putin tun können, ist, dass wir uns im westlichen Bündnis, in der deutschen Politik gerade auseinanderdividieren", sagte Klingbeil.

Die Union versucht, den Ampel-Streit um die Leopard-Lieferungen noch weiter anzuheizen. So sagte CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, FDP und Grüne müssten sich fragen, ob sie bereit sind, "gegen ihre eigene Überzeugung die Verantwortung für dieses Versagen mit zu übernehmen". Die Bündnisblockade von Scholz und der SPD bedeute, "dass Deutschland in einer historischen Bewährungsprobe des Krieges in Europa an einem entscheidenden Punkt versagt".

Noch hält die Koalition, klar ist aber auch: Gibt der Bundeskanzler nicht endlich sein Jawort zum schweren Panzer für die Ukraine, droht sein Dreierbündnis immer tiefere Risse zu bekommen.

Zumal die USA klargestellt haben, dass es keinen irgendwie gearteten Zusammenhang zwischen eigenen Lieferungen von Abrams-Kampfpanzern und einer deutschen Ausfuhrgenehmigung für den Leopard 2 gibt.

Frei nach dem Truman-Leitspruch ist damit endgültig klar, wo die Verantwortung liegt und wo nun bald eine Entscheidung fallen muss, die auch kein "Vielleicht" mehr sein kann: am Schreibtisch von Olaf Scholz.