PKK-Chef in Isolationshaft

Das Phantom im Sperrgebiet: 20 Jahre Öcalan-Prozess


Öcalan bei Prozessbeginn.

Öcalan bei Prozessbeginn.

Von Tabitha Nagy

1999 steht PKK-Chef Abdullah Öcalan auf der Insel Imrali vor Gericht. Bis heute sitzt er in Isolationshaft.

München - Wer die jüngere türkische Geschichte halbwegs kennt, erinnert sich an diese eine Szene am 15. Februar 1999. Drei Männer mit Sturmmaske sitzen in einem Flugzeug. Sie klatschen sich gegenseitig die Hände ab. Auch wenn man ihren Gesichtsausdruck nicht sehen kann, ist klar, dass sie sich gerade außerordentlich freuen.

Ein paar Sekunden später sieht man einen benommenen Mann auf einer Liege. Er trägt eine Schlafmaske über den Augen. Sein Oberlippenbart ist zu erkennen. Irgendwann wacht er auf. Einer der Männer mit Sturmmaske zieht ihm die Maske hoch. Er sieht aus wie der damalige Staatsfeind Nummer Eins: Abdullah Öcalan, Anführer der Kurdischen Arbeiterpartei und Guerilla PKK.

Durch Kommentare der Nachrichtensprecher wird klar: Es ist der damals 50-jährige Öcalan. Elitesoldaten des türkischen Geheimdienstes MIT (Milli Istihbarat Teskilati) hatten ihn in Kenia verhaftet. In den türkischen Medien lief dieses Video tagelang. Türkische Politiker und die Bevölkerung hatten das Gefühl: Jetzt ist der Spuk zu Ende. Ab jetzt muss niemand mehr sterben. Der Chef der feindlichen Terror-Organisation ist geschnappt. Aber der erhoffte Frieden kam nicht.

1997 Druck zur Herausgabe der PKK-Chefs

Etwa 13 Millionen Kurden leben in der Türkei. Der türkisch-kurdische Konflikt hat eine lange Geschichte. Die PKK (Partiya Karkerên Kurdistanê), von Öcalan 1978 gegründet, war eine marxistische Partei. 1984 rief sie zum bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat und für die Rechte der Kurden auf. Seit den 80ern starben etwa 40.000 Menschen bei dieser jahrzehntelangen Auseinandersetzung.

Öcalan wurde nach seiner Verhaftung 1999 auf die Insel Imrali gebracht, südlich von Istanbul im Binnenmeer Marmara. Dort ist er bis heute. Seiner Festnahme in James-Bond-Manier gingen spannende Jahre voraus. Der PKK-Chef befand sich in den 90ern häufig in Syrien, an der Grenze zur Türkei. Offiziell wusste Staatschef Hafiz al-Assad, Vater des heutigen Präsidenten Baschar al-Assad, nichts davon.

Am Ende waren es die türkischen Streitkräfte, die Syrien unter Druck setzten. Die Politik folgte. Ob die Drohgebärden abgesprochen waren oder ob sich das türkische Militär verselbstständigte, ist unklar. Der damalige türkische Generaloberst Atilla Ates jedenfalls hielt bereits im September 1997 an der syrischen Grenze eine Art Pressekonferenz in der Stadt Hatay ab. Im weitesten Sinne sagte er: "Unsere Geduld ist fast am Ende. Es muss aufhören, dass ein türkischer Staatsfeind wie Öcalan in einem Nachbarland Zuflucht findet. Entweder ihr liefert ihn aus oder wir holen ihn uns."

Ates hob ganz nebenbei die Größe und die Schlagkraft des türkischen Militärs hervor. Bis heute verfügt die Türkei innerhalb der Nato über das zweitgrößte Heer nach den USA mit etwa 500.000 Mann. Der türkische Präsident Süleyman Demirel hielt später eine ähnliche, etwas diplomatischere Rede.

Türkischer Staatsfeind: Seit 1999 in Isolationshaft

Der Druck zeigte Wirkung. Öcalan war 1999 auf der Flucht und suchte in einigen anderen Ländern Asyl, unter anderem in Italien, Russland, Griechenland und im Libanon. Alle Staaten lehnten sein Gesuch ab. Zu brisant war die Personalie. Am Ende landete Öcalan in Kenia, wo er mithilfe des US-Geheimdienstes gefasst wurde. Kurz zuvor hatte er das griechische Konsulat verlassen.

Ende Mai 1999 begann auf der Insel Imrali der Prozess. Öcalan verteidigte sich sehr vage, sprach davon, nur ein Spielball internationaler Mächte und deren Geheimdienste zu sein. Von Anfang an war für viele Beobachter klar, dass am 29. Juni 1999 nur ein Urteil gesprochen werden konnte: die Todesstrafe. 2002 wurde sie in Lebenslänglich umgewandelt. Seit 20 Jahren ist Öcalan, inzwischen 70 Jahre alt, ein Phantom, das auf einer eigenen Insel lebt. Sie ist ein militärisches Sperrgebiet.

Der frühere PKK-Anführer ist isoliert. Kein Internet, kein Telefon, kein Radio, nur ein Fernseher mit einem staatlichen Sender ist ihm angeblich erlaubt. Seit 2011 war Öcalan von der Außenwelt vollkommen abgeschnitten: Er geriet zuvor unter Verdacht, mithilfe seiner Besucher die Terror-Strategie der PKK weiterhin zu lenken.

Anfang Mai durften seine Anwälte mit ihm sprechen, einmalig, zum ersten Mal seit 2011. Manche türkischen Journalisten spekulieren, dass das ein Schritt zu einem neuen Friedenprozess mit der PKK sein könnte.

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