Politik
Christine Lambrecht: Abschied ohne Einsicht
16. Januar 2023, 18:53 Uhr aktualisiert am 16. Januar 2023, 18:53 Uhr
Christine Lambrecht wirft hin, doch das teilt sie nicht persönlich mit, sondern schriftlich. Ohne selbst öffentlich in Erscheinung zu treten, reicht die SPD-Politikerin gestern Vormittag ihren Rücktritt als Verteidigungsministerin ein.
Ihr Parteifreund, Bundeskanzler Olaf Scholz, nimmt die Bitte um Entlassung an und will nun "zeitnah" die Nachfolge regeln. Sie habe ihm mitgeteilt, so Scholz bei einem Besuch beim Rüstungsunternehmen Hensoldt in Ulm, "dass sie ihre Aufgabe nicht mehr fortsetzen will". Er habe "eine klare Vorstellung und es wird sehr schnell bekannt werden, wie es weitergeht", sagte er.
Schon heute könnte der Kanzler verkünden, wer Lambrecht im Bendlerblock nachfolgt. Die Zeit drängt: Denn bereits am Freitag trifft sich die Ukraine-Kontaktgruppe auf dem Militärflughafen in Ramstein, um über weitere Waffenhilfen für die Ukraine zu beraten. Dabei soll es auch um die mögliche Lieferung von Kampfpanzern gehen.
Mit dem Ukraine-Krieg ist das Verteidigungsministerium ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Dort gilt es, die "Zeitenwende" bei den über Jahrzehnte kaputt gesparten Streitkräften zu vollziehen. Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro steht bereit, doch bei der Bundeswehr herrscht Mangel an allen Ecken und Enden. Es fehlen funktionierende Hubschrauber und Panzer genauso wie warme Unterwäsche für die Soldatinnen und Soldaten. So drängen sowohl die Union als auch die FDP auf eine schnelle Nachbesetzung.
Wer Lambrecht folgen könnte, darüber wird bereits heftig spekuliert. Häufig fallen die Namen der Wehrbeauftragten Eva Högl und der Verteidigungsstaatssekretärin Siemtje Möller. Denn Scholz, so eine Regierungssprecherin, wolle weiter daran festhalten, sein Kabinett zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern zu besetzen.
Aber auch Männer sind im Gespräch, was dann womöglich größere Rochaden in der Riege der SPD-Ministerinnen und -Minister erfordern würde. Parteichef Lars Klingbeil ist Sohn eines Berufssoldaten und ausgewiesener Verteidigungsexperte, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt gilt als bestens vertraut mit allen Vorgängen rund um Rüstung und Armee.
Dann ist da noch Hubertus Heil, der Arbeitsminister, der als "Universalwaffe" mit der nötigen Zielsicherheit gilt.
Immer wieder hatte sich Scholz zuletzt hinter Lambrecht gestellt, sie gegen wachsende Kritik und wiederholte Rücktrittsforderungen aus der Opposition verteidigt. Nun zieht sie sich offenbar aus freien Stücken zurück. In einer knappen Erklärung legt sie ihre Gründe für den Schritt dar, der sich seit Tagen abgezeichnet hatte.
"Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu", heißt es darin.
So macht die 57-Jährige vor allem Rundfunk und Presse für ihr Scheitern verantwortlich - nicht etwa die eigenen Fehler, mit denen sie sich ein ums andere Mal selbst ins Kreuzfeuer der Kritik manövrierte.
Von Anfang an fremdelte die frühere Justizministerin mit der Truppe, hielt es vermeintlich nicht für nötig, deren Dienstgrade zu lernen. Als vor einem Jahr russische Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschierten, verkündete sie die Lieferung von 5000 Helmen - an ein Land, das sich Unterstützung durch schwere Waffen wünscht.
Im April, während in der Ukraine bereits der Krieg tobte, machte die Ministerin von sich reden, weil sie ihren volljährigen Sohn im Regierungshubschrauber mitnahm.
Schlecht aussehen ließ die Ministerin zuletzt ein peinliches Silvester-Video, in dem sie, ein krachendes Feuerwerk im Hintergrund, die Kurve vom Ukraine-Krieg zu "vielen Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen" nicht kriegt. Ein Kommunikationsdesaster zu viel - für Christine Lambrecht endet bald mit dem Großen Zapfenstreich eine nur gut einjährige Amtszeit.
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Knapp eine Viertelmillion für Lambrecht
Nach dem Rücktritt wird Lambrecht nicht mittellos dastehen. Laut Bundesministergesetz kann sie nach Ausscheiden aus ihrem Amt drei Monate lang volle Bezüge erhalten - dem Bund der Steuerzahler zufolge insgesamt 50 445 Euro. Das Übergangsgeld wird aber ab dem zweiten Monat mit privaten Einkünften verrechnet. Sollte Lambrecht keinen neuen Job aufnehmen, erhält sie nach den drei Monaten das halbe Amtsgehalt - bis zu 21 Monate lang. Das wären 176 557 Euro. Es steht ihr also ein Übergangsgeld von insgesamt 227 000 Euro zu.
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Lambrechts Pannen im Amt
Seit ihrem Amtsantritt als Verteidigungsministerin im Dezember 2021 stand Christine Lambrecht (SPD) unter besonderer Beobachtung. Dabei hat die SPD-Politikerin nicht immer eine gute Figur gemacht:
Die Dienstgrade: Ob sie sich alles sofort merken müsse, will Lambrecht gleich zu Amtsantritt gefragt haben. Gemeint sind damit Dienstgrade der Soldaten. Als zivile Ressortführung müsse sie nicht jeden sofort mit Dienstgrad ansprechen, sagt sie.
Die Pumps: Lambrecht ist bekannt dafür, dass sie gern Stöckelschuhe trägt. In manchen Situationen wird das als unangebracht angesehen - etwa im April 2022, als sie in Mali stationierte deutsche Truppen im Wüstensand besucht.
5000 Helme: Als Russland im Januar 2022 Truppen an der ukrainischen Grenze aufmarschieren lässt, verkündet sie im Verteidigungsausschuss des Bundestages, dass Deutschland 5000 militärische Schutzhelme an das bedrohte Land liefere. In der Ukraine kommt das nicht gut an: Sie fordert Waffenlieferungen im großen Stil aus Deutschland.
Sylt-Urlaub: Im April 2022 nimmt Lambrecht auf den Flug mit einem Regierungshubschrauber zum Truppenbesuch in Norddeutschland ihren Sohn mit. Am nächsten Tag geht es mit dem Auto zum Urlaub nach Sylt. Lambrecht schießt ein Foto ihres Sohnes im Helikopter, das dieser bei Instagram postet. Laut Ministerium hatte sie den Mitflug beantragt und die Kosten übernommen.
Hessen-Wahl: Ärger handelt sich Lambrecht ein, weil sie in einem Interview Mitte Mai 2022 SPD-interne Überlegungen über die Zukunft von Bundesinnenministerin Nancy Faeser ausplaudert. "Ich setze darauf, dass Nancy Faeser nicht nur Spitzenkandidatin wird, sondern auch die erste Ministerpräsidentin in Hessen", sagt sie. Spekuliert wird, ob sie selbst lieber Bundesinnenministerin sein wolle.
Silvester-Video: Kritik erntet sie mit ihrer Bilanz des Jahres 2022. Unter dem Heulen von Raketen an Silvester sagt sie: "Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte. Viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen." Die Botschaft wird zum Kommunikationsdesaster.