Corona-Krise spitzt sich zu
Bund und Länder beraten am Sonntag über Lockdown
11. Dezember 2020, 21:16 Uhr aktualisiert am 11. Dezember 2020, 21:03 Uhr
Fast 30.000 Neuinfektionen, fast 600 Tote - die zweite Corona-Welle rollt unerbittlich. Immer mehr Bundesländer reagieren mit drastischen Maßnahmen. Auch der Bundespräsident meldet sich besorgt und mahnend zu Wort.
Immer mehr Bundesländer stemmen sich mit verschärften Einschnitten in das private und öffentliche Leben gegen die sich dramatisch ausbreitende Corona-Pandemie in Deutschland.
Bund und Länder wollen am Sonntagvormittag über weitere Maßnahmen in der Corona-Pandemie beraten. Ab 10 Uhr soll es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine Schaltkonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten geben. Erwartet wird eine Entscheidung über einen bundesweiten Lockdown. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holsteinkündigten bereits weitere Beschränkungen an.
Für die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel beschlossene Lockerungen stehen wieder auf dem Prüfstand. "Die Lage ist bitterernst", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitag in Berlin.
Die von den Gesundheitsämtern übermittelten Neuinfektionen in den vergangenen 24 Stunden schnellten von Donnerstag auf Freitag um über 6000 auf insgesamt 29.875 hoch. 598 Todesfälle wurden übermittelt. Beides war jeweils ein neuer Höchstwert.
Steinmeier sagte bei einer Online-Gesprächsrunde mit Bürgern: "Wenn sich, wie zur Zeit, jeden Tag Zehntausende Menschen mit dem Virus infizieren, wenn täglich Hunderte an dem Virus sterben, dann bedeutet das wohl auch, dass wir unsere Anstrengungen im Kampf gegen die Pandemie dringend weiter verstärken müssen." Dies gelte für die politischen Entscheidungen auf allen Ebenen, aber auch für das persönliche Verhalten. Jeder müsse sich fragen: "Was kann ich tun, damit sich das Virus nicht noch weiter verbreitet? Wie kann ich noch mehr Vorsicht für mich und noch mehr Rücksicht für andere üben?"
In Baden-Württemberg gilt ab Samstag eine Ausgangsbeschränkung. Für Ausnahmen müsse man "triftige Gründe" haben wie die Arbeit oder einen Arztbesuch, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Tagsüber dürften sich bis zu fünf Personen aus nicht mehr als zwei Haushalten treffen. Nachts ist auch das untersagt. Geöffnet bleiben sollen bis auf weiteres Schulen, Kitas, Hochschulen und Einzelhandel.
Auch in Schleswig-Holstein sollen statt zehn nur noch fünf Personen aus maximal zwei Hausständen zusammenkommen dürfen - auch an Weihnachten. Ausgenommen sei nur die engste Familie, hieß es. Schon von diesem Samstag an ist landesweit das Ausschenken und Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit verboten. Ab Montag soll es in dem Land für Schüler ab der 8. Klasse keinen Präsenzunterricht mehr geben.
In Nordrhein-Westfalen endet die Präsenzpflicht am Montag ebenfalls vorerst, wie Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) mitteilte. Ab Klasse acht wird auf Distanz unterrichtet, Schüler der unteren Stufen können von zu Hause aus am Unterricht teilnehmen. Die Schulferien werden um zwei Tage verlängert.
Sachsen verhängt zur Eindämmung der Corona-Pandemie von Montag an einen Lockdown und fährt das öffentliche Leben herunter. Die genauen Maßnahmen beschloss das Kabinett am Freitagabend in Dresden in seiner neuen Corona-Schutzverordnung. Schulen, Kitas und Horte bleiben demnach zu, ebenso zahlreiche Geschäfte im Einzelhandel. Der Lockdown soll bis zum 10. Januar dauern.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach sich eindringlich für einen bundesweiten Lockdown noch vor Weihnachten aus: "Wir müssen handeln, und zwar so schnell wie möglich."
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte bei einem gemeinsamen Termin mit ihm in Nürnberg, es brauche "ohne Zweifel auch bundesweit einheitlich zusätzliche Maßnahmen - besser früher als später". Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte dem "Spiegel" (Freitag): "Die einzige Chance, wieder Herr der Lage zu werden, ist ein Lockdown, der aber sofort erfolgen muss."
Laschet verteidigte die Entscheidung, es vor einigen Wochen zunächst mit einem Teil-Lockdown versucht zu haben: "Natürlich haben viele Wissenschaftler immer mal wieder etwas gesagt, aber ich kenne keinen, der uns vor acht Wochen gesagt hätte, macht jetzt einen totalen Lockdown", sagte er am Freitag RTL/ntv. Er sprach sich für ein gemeinschaftliches Vorgehen und für einen bundesweiten Lockdown noch vor Weihnachten aus. "Die Einschätzung, dass der Teil-Lockdown ausreicht, die hat sich leider nicht bewahrheitet und deshalb ist jetzt diese Entscheidung aus meiner Sicht erforderlich. Klar, schnell, am besten schon morgen."
Auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderten schärfere Regeln. Bereits am Mittwoch hatte Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag eine Verschärfung des Teil-Lockdowns noch vor den Feiertagen verlangt.
Vom 23. bis zum 27. Dezember sollten sich nach einem Beschluss von Bund und Ländern eigentlich zehn Personen treffen dürfen, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad und der Zahl der beteiligten Haushalte. Ministerpräsident Kretschmann sagte nun, er könne sich vorstellen, dass die Länderregierungschefs den Zeitraum der Lockerungen noch einmal verkürzen.
Konsens ist nach Einschätzung Kretschmanns, dass es nach Weihnachten bis mindestens zum 10. Januar einen bundesweiten Lockdown geben wird. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, hatte zuvor schon gesagt, es zeichne sich ab, "dass ab 20. es doch erhebliche Einschnitte gibt" und der Einzelhandel "deutlich" heruntergefahren werde.
Die Länder stellen sich auf eine Schließung von Schulen ein. Beim Beschluss eines harten Lockdowns am Wochenende seien die Bildungsminister "auch bereit, unseren Teil beizutragen", sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und rheinland-pfälzische Bildungsministerin, Stefanie Hubig.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stellte höhere Corona-Hilfen bei einem Lockdown in Aussicht - nämlich ab Januar einen höheren Förderhöchstbetrag bei den Überbrückungshilfen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versprach verstärkte Anstrengungen gegen Arbeitslosigkeit.