Politik
Attacken auf Notfallsanitäter: "Es mangelt an Wertschätzung"
3. Januar 2023, 15:46 Uhr aktualisiert am 3. Januar 2023, 17:13 Uhr
AZ-Interview mit Martin Noß. Der 38-Jährige ist Leiter Rettungsdienst im Kreisverband Dachau des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK).Er ist schon seit mehr als 20 Jahren Notfallsanitäter.
AZ: Herr Noß, in Berlin und vielen weiteren Städten hat es in der Silvesternacht brutale Angriffe auf Einsatzkräfte gegeben, auf Sanitäter wurden unter anderem Feuerwerkskörper geworden. Wie geht es Ihnen, wenn Sie sowas sehen?
MARTIN NOSS: Zum Glück sind Angriffe wie in Berlin bei uns nicht so ein Thema gewesen. Unsere Leute sind sehr gut und deeskalierend geschult. In Bayern gab es wirklich nur Einzelfälle. Was wir häufig erleben sind Beleidigungen, die fallen dann oft von alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden Personen. Das nehmen die Kollegen dann aber nicht ganz so ernst.
Nach Angaben des BRK-Landesverbandes gab es in Bayern an Silvester keine nennenswerte Gewalt gegen Rettungskräfte. In Dachau war es also auch ruhig?
Ja, glücklicherweise!
Ist man in der Silvesternacht vielleicht auch besonders vorsichtig?
An Silvester ist man natürlich in erhöhter Alarmbereitschaft, es werden ja auch mehr Rettungswagen zur Verfügung gestellt, weil der Bedarf höher ist. Fasching und Silvester sind für uns die obligatorischen Tage, an denen wir mit mehr Betrunkenen rechnen und dann auch mehr brenzlige Situationen entstehen könnten. Aber, toi toi toi, in Dachau und auch in den Nachbarlandkreisen Fürstenfeldbruck, Starnberg und Landsberg haben wir nicht mitbekommen, dass etwas eskaliert wäre.
Stumpft man gegenüber Beleidigungen und Pöbeleien ein Stück weit ab?
Beleidigungen gehören leider einfach zum Geschäft. Wir begegnen Menschen fast immer in Ausnahmesituationen. Vielleicht sieht man uns aber auch in einer ähnlichen Rolle wie die Polizei, als die - in Anführungszeichen - böse Obrigkeit. Aber in den mit Abstand allermeisten Fällen werden wir als das gesehen, was wir sind: Menschen, die helfen.
Die Angriffe auf Rettungskräfte in Bayern sind laut der internen Statistik des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) 2022 spürbar zurückgegangen. Woran lieg das?
Einerseits eben an Schulungskonzepten. In der Berufsausbildung zum Notfallsanitäter ist Kommunikation ein großes Thema. Und auch das Bewusstsein für Gefahrensituationen ist gestiegen, sodass sich Kollegen und Kolleginnen im Zweifel schneller zurückziehen, wenn sie merken: Hier stimmt was nicht, wir probieren erstmal gar nicht, noch weiter Hilfe anzubieten, sondern warten auf die Unterstützung der Polizei. Schwierig wird es natürlich, wenn Personen alkoholisiert sind oder psychisch erkrankt und dann ausfällig werden oder um sich schlagen. Man muss aber generell Verständnis dafür haben, dass die Patienten und Angehörigen in einer Extremsituation sind.
Was halten Sie von Rufen nach einem Böllerverbot und härteren Strafen für Täter?
Für uns ist wichtig: Rettungs- und Einsatzkräfte sind kein Ziel. Ob es Verbote oder härtere Strafen bräuchte, müssen andere beantworten. Ziel muss doch sein, dass es gar nicht zu solch eskalierenden und explosiven Situationen kommt. Dafür braucht es das Bewusstsein der Leute, dass Einsatzkräfte einen wichtigen Dienst für die gesamte Gesellschaft leisten. An dieser Wertschätzung mangelt es und das muss man gesellschaftlich wieder stärken für die sozialen Berufe.
Wie kann das gelingen?
Es ist wichtig, den Rettungsdienst nicht als Dienstleister anzusehen. Wir sind für den Notfall da und nicht für die ganzen Bagatelleinsätze. Und die machen mindestens 50 Prozent aus. Wenn man seinen Husten dem Rettungsdienst vorträgt und dann eine Erwartungshaltung an die Einsatzkräfte heranträgt, können wir nur sagen: Wir fahren jetzt ins Krankenhaus, wir könnten Sie beatmen, aber das ist nicht notwendig, Sie sind bei uns an der falschen Adresse. Wir sind nicht der Hausarzt. Man sollte sich einfach überlegen, wann man den Notruf wählt und wann nicht. Da fängt Wertschätzung an. Zumal die Kliniken im Moment maximal überlastet und am Limit sind, gerade mit den ganzen Atemwegsinfekten plus Corona. Da ist einfach massive Anspannung im System, die auch die Kollegen und Kolleginnen spüren, weil die natürlich gerade einen Einsatz nach dem anderen fahren. Die Selbstverantwortung muss in der Gesellschaft wieder ein bisschen mehr ankommen.