Umbruch in Syrien
Aktivisten: Schwere Kämpfe bei Kobane in Nordsyrien
20. Dezember 2024, 05:00 Uhr
Nach dem Sturz des langjährigen syrischen Machthabers Baschar al-Assad sieht die internationale Diplomatie Chancen für eine friedliche Entwicklung des geschundenen Landes, aber auch Risiken. Bei einem Gipfeltreffen in Brüssel forderten die Führungsspitzen der EU-Staaten die EU-Kommission und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas dazu auf, Optionen für mögliche Maßnahmen zur Unterstützung Syriens zu erarbeiten.
UN-Generalsekretär António Guterres blickt jedoch zugleich mit Sorge auf die weitere Entwicklung des Landes: "Obwohl sich die Lage in Teilen Syriens stabilisiert hat, ist der Konflikt noch lange nicht vorbei", warnte er in New York.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock reist derweil heute zu Gesprächen über die Lage in Syrien in die Türkei. In Ankara ist ein Treffen der Grünen-Politikerin mit Außenminister Hakan Fidan vorgesehen. Baerbock dürfte die Türkei aufrufen, zur Stabilität in Syrien beizutragen. Die Türkei gilt seit dem Umsturz als bedeutendster ausländischer Akteur in Syrien. Sie hat Beziehungen zur islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), unter deren Führung eine Rebellenallianz Machthaber Assad am 8. Dezember gestürzt hatte.
Derzeit steht die HTS noch auf der Terrorliste der Vereinten Nationen und ist mit EU-Sanktionen belegt. Die Staats- und Regierungschefs der EU äußerten sich in ihrer Gipfelerklärung nicht dazu, ob sie sich eine schnelle Aufhebung von Sanktionen gegen die Islamistengruppe vorstellen können. Sie forderten die neuen Machthaber auf, die Achtung der Menschenrechte und den Schutz von Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheiten zu gewährleisten.
Kritiker warnen bereits, dass die EU einen enormen Imageschaden riskiert, wenn sich in einigen Monaten herausstellen sollte, dass die neuen Machthaber nicht so gemäßigt sind, wie sie sich derzeit geben. In der syrischen Hauptstadt Damaskus demonstrierten Hunderte Menschen für Demokratie, Frauenrechte und einen säkularen Staat. Aussagen des HTS-Sprechers Obaida Arnaut im libanesischen Fernsehen zur Rolle der Frauen hatten für Kritik gesorgt. Arnaut sagte unter anderem, Frauen seien wegen ihrer "biologischen Natur" für das Amt einer Verteidigungsministerin oder für Rollen in der Justiz ungeeignet.
Christen, Alawiten und andere Minderheiten fürchten nach dem Sturz Assads mögliche Repressionen. HTS-Anführer Ahmad al-Scharaa, der bis vor Kurzem unter seinem Kampfnamen Mohammed al-Dschulani aufgetreten war, gab sich zuletzt moderat und hatte ein Syrien für alle versprochen. Über den Schutz von Minderheiten in Syrien will Baerbock bei ihrem Besuch in Ankara sprechen.
Vor ihrer Reise in die Türkei hatte Baerbock im Bundestag auch die Rolle der Kurden beim Kampf gegen das gestürzte Assad-Regime gewürdigt. Der Türkei wird vorgeworfen, das Machtvakuum in Syrien nutzen zu wollen, um die unter Verwaltung kurdischer Milizen stehenden Gebiete in Nordsyrien zu zerschlagen. Von der Türkei unterstützte Rebellen waren in den vergangenen Wochen gegen die syrische Kurdenmiliz YPG vorgerückt. Ankara sieht die YPG als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation.
Die Kurden befürchten seit Tagen eine Großoffensive gegen die syrisch-kurdische Grenzstadt Kobane. Seit den Angriffen der protürkischen Milizen wurden mindestens 100.000 Menschen im Norden vertrieben. UN-Chef Guterres mahnte zur Einstellung der Kämpfe im Norden. Viele Mitgliedstaaten der EU erhoffen sich grundsätzlich, dass Syrien unter einer neuen Führung wieder ein sicheres Land wird und dann Syrien-Flüchtlinge freiwillig in ihre Heimat zurückkehren oder sonst auch abgeschoben werden können.
Zu den Optionen für mögliche Maßnahmen zur Unterstützung Syriens, die die EU-Kommission und die EU-Außenbeauftragte Kallas jetzt erarbeiten sollen, könnten etwa die Aufhebung der bestehenden Wirtschaftssanktionen sowie Wiederaufbauhilfen für die Zerstörungen durch den langjährigen Bürgerkrieg zählen. Bislang wird lediglich humanitäre Hilfe für die Zivilgesellschaft geleistet, da die EU die Gewaltherrschaft von Assad nicht unterstützen wollte.
Dieser Artikel ist Teil eines automatisierten Angebots der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Er wird von der idowa-Redaktion nicht bearbeitet oder geprüft.