Nach verheerender Explosion
Wäre Beirut auch an bayerischen Häfen möglich?
6. August 2020, 14:22 Uhr aktualisiert am 6. August 2020, 14:22 Uhr
Nach der möglichen Ammoniumnitrat-Explosion im Hafen von Beirut stellt sich die Frage, ob eine ähnliche Katastrophe auch an den Häfen entlang der Donau in Bayern möglich wäre. Größere Lager mit Ammoniumnitratverbindungen gibt es auch hierzulande. Aber wie gefährlich sind diese tatsächlich?
Die Ereignisse von Beirut haben schmerzlich in Erinnerung gerufen, dass die vermeintliche Alltagschemie Tücken hat. Mehrere Tonnen einer als Komponente von Düngemitteln verwendeten Substanz werden plötzlich zu einer Bombe, die hunderte Menschen in den Tod reißt, tausende verletzt. Düngemittel und die Vorstufen der Produkte sind auch das Kerngeschäft der bayerischen Donauhäfen wie jenen in Straubing und Regensburg. Wie Andreas Löffert, der Geschäftsführer des Zweckverbands Hafen Straubing-Sand auf Anfrage von idowa bestätigte, werden am Hafen Straubing-Sand jährlich 60.000 Tonnen ammoniumnitrathaltiger Dünger umgeschlagen. Etwa 3.000 Tonnen lagern in der Regel gleichzeitig auf dem Hafengelände. An den eingelagerten Mengen habe auch die sogenannte Corona-Krise nichts geändert - der Bedarf an Dünger in der Landwirtschaft sei nahezu unabhängig von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage.
Dass es größere Lagerkapazitäten auf den Hafenarealen gäbe, bestätigt auch die Pressestelle von Bayernhafen. Das Unternehmen betreibt die Binnenhafen-Standorte Aschaffenburg, Bamberg, Nürnberg, Roth, Regensburg und Passau - vielerorts mit der regionalen Landwirtschaft als wichtigstem Kundenstamm.
Letzter großer Unfall in Deutschland bei den BASF-Werken
Ein ähnlicher Unfall wie in Beirut hat sich in Deutschland zuletzt vor mehr als 100 Jahren ereignet. Am 21. September 1921 explodierte auf dem BASF-Werksgelände in Oppau bei Ludwigshafen ein Düngemittel-Silo. 561 Menschen waren damals ums Leben gekommen, fast 2.000 wurden verletzt. Die Explosion verwandelte das Chemiewerk in ein Trümmerfeld und zerstörte rund 800 Wohnhäuser. Am Chemiewerk bei Ludwigshafen waren 4.500 Tonnen Ammoniaksulfatsalpeter explodiert.
Die Stoffmenge scheint also durchaus vergleichbar. Allerdings, wie Hafengeschäftsführer Andreas Löffert aus Straubing betont, sind die technischen und gesetzlichen Vorgaben zwischenzeitlich andere. Das Ammoniumnitrat werde an bayerischen Häfen nicht, wie etwa in jenem Lagerhaus in Beirut, in Reinform aufbewahrt, sondern in Form von Verbindungen, die weniger reaktiv, also auch weniger gefährlich sind. Ähnliches erklärte die Pressestelle der BayWa, die einen Standort am Straubinger Hafen betreibt, auf idowa-Nachfrage: "Das Risiko von Düngemitteln ist wesentlich von ihrem Gehalt an Ammoniumnitrat abhängig. In EU-Ländern darf kein ammoniumnitrat-haltiger Dünger in Verkehr gebracht werden, der einen Stickstoffgehalt von mehr als 28 Prozent im Verhältnis zu Ammoniumnitrat aufweist."
In Verbindung mit dem Kalk rutscht Ammoniumnitrat auf der Gefahrstoff-Skala zwei Positionen nach unten, von A nach C. Ganz ungefährlich ist es demnach nicht; viele dieser Verbindungen zählen als Umweltgifte. Allerdings sind die Stoffe der Gefahrengruppe C "weder explosionsfähig noch selbstentzündlich", wie Martin May, der Sprecher des Industrieverbands Agrar bestätigt. Ähnlich äußert sich die Pressestelle der BayWa: "Im Handelssortiment der BayWa befinden sich mehrere Düngersorten, die Ammoniumnitrat enthalten, schwerpunktmäßig Kalkammonsalpeter. Bedingt durch den Kalk als brandhemmenden Bestandteil sind die in Deutschland verwendeten Handelsdünger weder brennbar noch explosiv." Und weiter: "Unter Beachtung der Grenzwerte sowie der Lagervorschriften gemäß der technischen Regeln für Gefahrstoffe dürfte ein vergleichbares Unglück wie in Beirut hierzulande ausgeschlossen sein."
Verschärfte Bestimmungen im Zuge der Anti-Terror-Maßnahmen
Wenn auch von lagerndem Dünger in Bayern offenbar keine Gefahr ausgeht, können die Dünger-Rohstoffe in den falschen Händen durchaus gefährlich werden. "Unsere Kunden erfüllen deshalb strenge Auflagen für die Sicherung der Lagerstätten", sagt Andreas Löffert vom Straubinger Hafen: "Es ist durchaus möglich, dass sich jemand aus den Stoffverbindungen die explosiven Bestandteile herauszieht."
Zuletzt hatte Ammoniumnitrat 2012 bei einem Terroranschlag, der glücklicherweise verhindert wurde, eine Rolle gespielt. Im Dezember 2012 war auf einem Bahnsteig des Bonner Hauptbahnhofs eine Rohrbombe mit einem Gemisch aus Ammoniumnitrat und Nitromethan deponiert worden. Später zeigt sich, dass sie gezündet wurde, aber nicht detonierte.
Die Folge aus dem vereitelten Anschlag war ein noch strengeres Verkaufsverbot für die Stoffverbindungen: "Produkte wie Kalkammonsalpeter dürfen ausschließlich an berufliche Anwender verkauft werden, etwa Landwirte, Gartenbaubetriebe oder Wiederverkäufer", heißt es von der BayWa. An Privatanwender, die zum Beispiel ihren Garten düngen möchten, dürfen nur Produkte verkauft werden, die einen Stickstoffgehalt von unter 16 Prozent im Verhältnis zu Ammoniumnitrat aufweisen." Lager für die Düngemittel sind seitdem noch besser gegen Diebstahl gesichert.