Wolfsburg/Brüssel
VW-Skandal: EU-Kommission will nationale Behörden schärfer überwachen
5. November 2015, 8:59 Uhr aktualisiert am 5. November 2015, 8:59 Uhr
Der Fall Volkswagen ruft die EU-Kommission auf den Plan. Die zuständige Industriekommissarin Bienkowska sucht in Berlin das Gespräch mit der Bundesregierung.
Wegen des VW-Skandals will die EU-Kommission die nationalen Behörden und ihre Kfz-Zulassungsstellen schärfer unter die Lupe nehmen. "Die Genehmigungssysteme der Mitgliedstaaten haben versagt", sagte EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska der "Süddeutschen Zeitung" (Donnerstag). "Wir wollen künftig kontrollieren und überprüfen, ob die nationalen Behörden ordnungsgemäß arbeiten." Zudem sollten die Mitgliedstaaten die Ergebnisse von Fahrzeug-Tests untereinander austauschen.
Volkswagen drohen Milliardenkosten und - strafen. Europas größter Autobauer hatte jahrelang Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen manipuliert. Zudem hatte das Dax-Schwergewicht falsche Angaben beim CO2-Ausstoß und damit auch beim Spritverbrauch gemacht.
Die EU-Kommission werde im Dezember Details zu den Plänen vorstellen, die dann mit den EU-Staaten und dem Europaparlament abgestimmt werden müssen, sagte Bienkowska. Mit Blick auf VW betonte sie: "Es geht nicht darum, Geld zu zahlen und dann ist der Fall vorbei. Wir müssen Gewissheit haben. Es geht darum, das ganze System zu ändern." Dem Bericht zufolge will sich Bienkowska am Donnerstag und Freitag in Berlin mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sowie mit VW-Verantwortlichen treffen.
Wegen der falschen CO2-Werte könnten Volkswagen auch EU-Strafen drohen. Bevor die EU-Kommission über mögliche Geldbußen entscheide, müssten aber erst die Fakten geklärt werden, erläuterte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Seit 2012 gibt es für die Autohersteller CO2-Grenzwerte, die sie im Durchschnitt ihrer gesamten Flotte einhalten müssen. Wenn diese nicht erfüllt werden, können Strafzahlungen fällig werden.
Der Auto Club Europa (ACE) warf VW vor, trotz der Ankündigung des neuen Konzernchefs Matthias Müller zu mehr Transparenz weiter nicht mit offenen Karten zu spielen. "Mit dem jüngsten Eingeständnis verfälschter CO2-Werte tritt VW die Flucht nach vorne an, ohne die Fehler aber genau zu benennen - das wirft viele Fragen auf und verunsichert die Verbraucher weiter", sagte ACE-Sprecher Klaus-Michael Schaal.
Einige Tricks bei Labortests würden als rechtliche Grauzone gelten, sagte Schaal. "Dass VW nun von sich aus Fehler zugibt, deutet darauf hin, dass die Firma diese Grauzone hier eindeutig verlassen hat. VW macht das nicht aus Gutmenschentum, vielmehr geht man wohl davon aus, die Fehler würden irgendwann von externer Stelle entdeckt - also lieber jetzt von sich aus an die Öffentlichkeit."
Damit Autobesitzer von drohenden höheren Steuerzahlungen verschont bleiben, bereitet die Bundesregierung eine gesetzliche Regelung vor. VW sei in der Verantwortung und in der Pflicht, den entstandenen Schaden für die Kunden zu beheben, sagte Verkehrsminister Dobrindt am Mittwoch im Bundestag. Am CO2-Ausstoß hängt bei Pkw mit Erstzulassung ab 1. Juli 2009 auch die Kfz-Steuer.
An der Börse reagierte die VW-Aktie mit einem dramatischen Kursverfall. Das Papier sackte an der Frankfurter Börse zeitweise um mehr als 10 Prozent ab. Die Ratingagentur Moody's stufte angesichts der Ausweitung des Abgas-Skandals die Bewertung von Volkswagen herab.
Unter den 800.000 Fahrzeugen mit falschen CO2-Werten sind nach Angaben Dobrindts auch 98.000 Benziner. Damit sind erstmals seit Bekanntwerden des Abgas-Skandals Mitte September nicht mehr nur Diesel betroffen. Volkswagen betonte, die Unregelmäßigkeiten bei CO2- und Verbrauchsangaben seien nicht durch technische Hilfsmittel verursacht worden. "Es geht um Werte, die einfach zu niedrig angegeben wurden", sagte ein Konzernsprecher in Wolfsburg. Unter den betroffenen Autos seien viele Modelle mit dem Label "BlueMotion", mit Volkswagen Fahrzeuge als besonders schadstoffarm vermarktet.
Wenn CO2-Werte wie zu erwarten nach oben korrigiert werden müssten, habe dies Auswirkungen auf die Kfz-Steuer, sagte Dobrindt. "Das gilt auch rückwirkend." In Abstimmung mit dem Bundesfinanzministerium arbeite sein Ressort daher "an einer Gesetzgebung, die dafür sorgt, dass nicht der Kunde durch diese Mehrkosten bei der Kfz-Steuer belastet wird, sondern der Volkswagen-Konzern."
VW hatte am Dienstag mitgeteilt, es gebe "Unregelmäßigkeiten" beim CO2-Ausstoß. Dabei geht es um die Modelle Polo, Golf, Passat, Audi A1 und A3 sowie Skoda Octavia und Seat Leon und Ibiza. Volkswagen taxierte die zusätzlichen wirtschaftlichen Risiken der falschen CO2-Angaben in einer ersten Schätzung auf rund zwei Milliarden Euro.