50 Jahre ohne "Fräulein"
Sprachwissenschaftler: "Ein Herrlein gab es nie"
14. Januar 2022, 19:02 Uhr aktualisiert am 14. Januar 2022, 19:17 Uhr
Vor 50 Jahren wurde die Anrede "Fräulein" abgeschafft. Das Fräulein war im Mittelalter ein positiv besetzter Begriff, sagt Alexander Werth, Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Passau. Das hat sich aber dann im Laufe der Zeit geändert.
Herr Werth, vor 50 Jahren wurde das "Fräulein" abgeschafft - ich bin weit unter 50, habe aber in meiner Jugend noch Briefe mit dieser Anrede bekommen. Wie kann das sein?
Alexander Werth: Naja, die sprachliche Norm, die man festlegt, entspricht nicht immer dem tatsächlichen Sprachgebrauch. Man kann etwas in einer Sprachnorm festlegen, etwa im Duden, und die Sprecherinnen und Sprecher einer Sprachgemeinschaft halten sich trotzdem nicht daran.
Von einem Tag auf den anderen kann man Sprache also nicht ändern.
Werth: Nein, Normen müssen sich erst durchsetzen. Es gibt eigentlich zwei Wege: Entweder man entwickelt aus dem Sprachgebrauch heraus Normen, oder man legt Normen fest und hofft darauf, dass die Sprecher diese umsetzen. Ein aktuelles Beispiel für Ersteres wären die weiblichen Formen, die im Duden aufgenommen worden sind, also Bäckerin, nicht nur Bäcker. Eben weil diese Formen verstärkt in unserem Sprachgebrauch verwendet werden, nimmt sie der Duden dann als Form auf.
Woher stammt das "Fräulein"?
Werth: Die Form "Fräulein" ist sehr alt, die gab es schon im Mittelalter, in einer etwas anderen Bedeutung - und hat sich dann eben sehr lange im Deutschen gehalten, bis Ende des 20. Jahrhunderts. Vielleicht in dialektaleren Kontexten noch ein bisschen häufiger als im Hochdeutschen. Ich persönlich kenne es auch noch aus der Gastronomie, da hat man auch noch relativ lange Fräulein zur weiblichen Bedienung gesagt.
Welche Bedeutung hatte das "Fräulein" im Mittelalter?
Werth: Historisch war das eine Adelsbezeichnung, es gab die Edelfrau und das Edelfräulein - das bezog sich auf nicht verheiratete Adelsfrauen. Dann wurde es im 18. Jahrhundert sehr viel frequenter verwendet, auch als Höflichkeitsbezeichnung. Aber in dem Moment, wenn Sprachformen häufig gebraucht werden, können sie einen Bedeutungswandel vollziehen und sind weniger exklusiv. Bei Fräulein kommt auch noch hinzu, dass Fräulein eine Verkleinerungsform ist - und die hat nicht nur die Bedeutung der Verkleinerung sondern auch der Verniedlichung. Vielleicht auch ein bisschen despektierlich gemeint. Solche Fragen untersuchen wir übrigens im Bachelorstudiengang "Sprach- und Textwissenschaften" an der Universität Passau.
Warum gibt es nun kein Herrlein?
Werth: Ein Herrchen gibt es ja interessanterweise. Aber eben als Besitzer eines Hundes. Aber das Herrlein gab es nie. Warum? Weil die Sprachgemeinschaft es nicht als notwendig erachtet hat, so eine Bezeichnung zu verwenden, womöglich, weil es historisch weniger wichtig war, den Heiratsstatus von Männern zu bezeichnen als den von Frauen.