Katastrophe in Urlaubsregion
"Spanien weint": Fast 100 Tote bei "Jahrhundert-Unwetter"
30. Oktober 2024, 2:21 Uhr
"Ich halte mich an dieser Pflanze fest, um mich herum gibt es aber nichts, nichts, nur Wasser, als wäre ich mitten im Meer": Per Handyvideo bat Maite Jurado Freunde und Verwandte mit angsterfüllter Stimme um Hilfe. Ihr Auto war zu dem Zeitpunkt in Paiporta nahe der Metropole Valencia längst von den Wassermassen weggespült worden. Die junge Spanierin erlebte einen Alptraum, wurde aber gerettet und kam mit dem Schrecken davon. Anders als mindestens 95 Menschen, die bei einer Unwetterkatastrophe in Spanien starben.
Mindestens 92 Tote gab es allein in der Region Valencia im Osten des Landes, wie der Notdienst der Region auf X mitteilte. Zwei weitere Leichen wurden in der benachbarten Region Kastilien-La Mancha geborgen, eine in Málaga im südspanischen Andalusien. Es wird derweil befürchtet, dass die Zahl der Opfer weiter ansteigen wird. Nach zahlreichen Vermissten wird intensiv gesucht. Allein in Paiporta könnte es Dutzende Tote geben, erklärte Bürgermeisterin Maribel Albalat gegenüber Medien.
Besonders schlimm ist die Lage in der auch bei Urlaubern sehr beliebten Region Valencia. Aber auch andere Mittelmeer-Anrainer-Regionen wie Andalusien und Murcia sind schwer betroffen. Die starken Regenfälle setzten unzählige Straßen, Gebäude und Felder unter Wasser. Straßen und kleinere Brücken brachen weg, Bäume, Autos und auch große Lastwagen wurden von den Wassermassen wie Spielzeug mitgerissen. Neben heftigem Regen gab es Hagel und starke Windböen. Aus der andalusischen Küstenortschaft El Ejido unweit von Almería berichteten Einwohner von Hagelkörnern "so groß wie Golfbälle".
Autobahnen und Landstraßen wurden gesperrt. Auch Flug- und Bahn-Verkehr wurden erheblich beeinträchtigt. Am Dienstag war ein Hochgeschwindigkeitszug auf dem Weg von Málaga nach Madrid wegen eines Steinsturzes entgleist. Verletzte gab es dabei nicht.
Zahlreiche Menschen waren in Häusern, Büros oder Einkaufszentren eingeschlossen und setzten wie Maite Jurado in sozialen Medien Notrufe ab. Viele riefen auch beim TV-Sender RTVE und anderen Medien an, weil sie Freunde und Verwandte nicht kontaktieren konnten. "Ich suche meinen 40 Jahre alten Sohn Enrique, der gestern mit seinem Van beruflich unterwegs war und von dem ich seitdem nichts mehr höre", sagte ein Rentner in RTVE den Tränen nahe.
Die Menschen suchten auf Dächern von Autos und Häusern Schutz, die völlig vom Wasser umgeben waren, wie auf unzähligen Videos in Medien und im Netz zu sehen ist. Bei den Such- und Rettungsarbeiten sind neben Feuerwehrleuten und Angehörigen des Zivilschutzes allein in Valencia über 1.000 Kräfte der Militärischen Nothilfeeinheit UME im Einsatz.
Eine RTVE-Reporterin sprach auf einer überschwemmten Straße, in der zerstörte Fahrzeuge teils übereinander gestapelt lagen, von "kriegsähnlichen Szenen". "Das ist wie die Hölle", sagte eine Anwohnerin. Ein eben geborgener Rentner sagte weinend vor laufenden Kameras: "Das war schrecklich, danke, danke an meine Schutzengel, die mich gerettet haben."
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sprach den Betroffenen Mut zu und versprach schnelle Hilfe. "Wir werden alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Wir werden euch nicht im Stich lassen." Er fügte an: "Ganz Spanien weint mit euch."
Die Europäische Union bot bereits Hilfe an. "Wir haben unser Copernicus-Satellitensystem aktiviert, um bei der Koordinierung der Rettungsteams zu helfen. Und wir haben bereits angeboten, unseren Katastrophenschutz zu aktivieren", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel.
Für die Katastrophe war der sogenannte "Kalte Tropfen" verantwortlich. Es handelt sich um ein Wetterphänomen, das vor allem in der spanischen Mittelmeerregion in den Monaten September und Oktober häufig auftritt und mit den stark unterschiedlichen Temperaturen von Meer und Luft zusammenhängt. Es entsteht, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben.
Der Wetterdienst Aemet in Valencia sprach in einer ersten Bilanz von einem "historischen Unwetter". Demnach fielen in einigen Ortschaften innerhalb eines Tages bis zu 490 Liter Regen pro Quadratmeter, so viel wie sonst in einem Jahr. Es habe sich um den schlimmsten "Kalten Tropfen" (gota fría) dieses Jahrhunderts in Valencia gehandelt, hieß es auf X.
Experten im In- und Ausland wiesen auch auf den vom Menschen verursachten Klimawandel hin. "Die Bilder aus Spanien sind erschreckend und zeigen in aller Klarheit: Der Klimawandel ist längst da und eine Gefahr für die Menschheit", sagte Klimaforscher Niklas Höhne, der Mitbegründer des NewClimate Institute. Verheerende Regenfälle würden durch die höheren Temperaturen immer stärker und wahrscheinlicher, warnte der Deutsche. Mit konsequenten Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes könne man aber noch die schlimmsten Folgen eindämmen und viele weitere Katastrophen zu verhindern.
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