Kommentar zur Flüchtlingskrise
Liefern Sie endlich, Frau Merkel!
10. November 2015, 15:40 Uhr aktualisiert am 10. November 2015, 15:40 Uhr
"Wir schaffen das" - aber wie? Zu dieser Frage schweigt Kanzlerin Angela Merkel beharrlich. Ein Kommentar.
Unbeschreibliche Szenen spielen sich an der niederbayerisch-österreichischen Grenze ab. Erschöpfte, hungernde, frierende Flüchtlinge zu Zehntausenden, ausgepumpte Einsatz- und Hilfskräfte, verzweifelte Landräte und Bürgermeister, die angesichts der Migrationsflut kaum noch ein noch aus wissen, überfüllte Notunterkünfte, in denen es aus Platznot und weil die Nerven blank liegen zu Rangeleien oder handfesten Schlägereien kommt - und in Berlin wird mit ruhiger Hand regiert oder auch nicht regiert (so eindeutig ist dies nicht mehr unterscheidbar), als ob gerade eine paradiesisch-wohlige Großwetterlage der Weltpolitik angebrochen sei.
Ohne Generalplan ist die Massenzuwanderung für Deutschland unlösbar
Daran ändern auch die am Donnerstag vereinbarten "Berliner Entscheidungen" der Großkoalitionäre wenig bis nichts. Sie kurieren lediglich an den Symptomen herum, lösen aber die grundsätzlichen Fragen nicht.
Wir haben im September schon an dieser Stelle einen General- oder Masterplan von der Kanzlerin gefordert unter der Prämisse, dass ohne diesen Plan die Massenzuwanderung für Deutschland und die Integrationsfragen unlösbar sind. Einen Plan, der einerseits unmissverständlich beschreibt, wie die Flüchtlingszuwanderung sozialverträglich organisiert und gesteuert oder auch begrenzt werden kann, und als zweites ebenso unmissverständlich regelt, wie und aus welchen Geldtöpfen das alles zu bezahlen ist. Geschehen ist nichts - außer dass der gewichtige Kanzleramtsminister anstelle des blutleeren Innenministers auf Geheiß der Kanzlerin das Kommando in den Flüchtlingsangelegenheiten übernommen hat.
Ansonsten keinerlei Anzeichen eines planvollen, zentral gesteuerten Handelns, keinerlei Indizien einer Regierungskunst. Im Kanzleramt herrscht weitgehend Ruhe. Dafür geht es in den Rathäusern und Landratsämtern hierzulande umso heftiger zu. Der Landshuter Landrat Peter Dreier zumindest hat mit seiner Drohung, Flüchtlingsbusse künftig direkt vor ihr Amt dirigieren zu wollen, der Kanzlerin ein Telefonat abgerungen. Eine halbe Stunde lang, so verlautete es. Dreier möge aber dann bitte wenigstens tags zuvor im Kanzleramt Bescheid geben, wenn er seine Drohung in die Tat umsetzen und ihr die Flüchtlinge vor die Haustür karren wolle.
Immerhin hat Frau Merkel begriffen, dass es keine floskelhaft leere Ankündigung des Landshuter Landkreischefs war, sondern der Ordnungsruf eines Politikers, dem die Flüchtlingswelle auch bald bis zum Halse stehen könnte, wenn es so weitergeht - wie vielen anderen hierzulande auch.
Der Passauer Landrat Franz Meyer, in dessen Region die Migrationswellen ankommen, hat Brandbriefe nach Berlin geschrieben und kürzlich bei "Jauch" frisch von der niederbayerischen Leber weg beschrieben, was sich tut in Wegscheid und Neuhaus und Simbach am Inn. Der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter war zum Gespräch bei der Kanzlerin. Ergebnislos. Die gibt sich eisern und schweigt beharrlich zu jenen bohrenden Fragen, von denen die Menschen im Lande getrieben werden und auf die sie endlich plausible Antworten und ein paar Worte von höchster Stelle haben wollen.
Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder hätten längst gehandelt
Helmut Schmidt hat die Nordsee-Sturmflut und die RAF-Terroristen bezwungen, ohne lange zu fragen und zu fackeln. Gerhard Schröder wäre, ob mit oder ohne Gummistiefel, längst publicityträchtig an den Brennpunkten der Fluchtströme unterwegs und würde in staatsmännischer Ergriffenheit pathetisch verkünden: "So machen wir das! Und so bezahlen wir das! Basta!" Und Punktum.
In zehn Jahren würden die Deutschen Frau Merkel dankbar sein, dass sie mit der Zuwanderung dem Land unabsehbare Chancen eröffnet habe, hat dieser Tage der Migrationsforscher Rainer Bauböck prophezeit, weil alle europäischen Staaten über kurz oder lang zu Einwanderungsländern würden. Das mag sein. Momentan sehen die Menschen vor allem die Risiken, die ökonomischen, monetären, kulturellen und sozialen Gefahren.
Zu bedenken ist dabei, dass auch die Humanität Grenzen hat, dort, wo sie aus Überforderung nicht mehr in menschlicher Würde und materieller Freiheit helfen kann.
Wenn Frau Merkel also weder Lösungen noch Erklärungen anbietet, sondern einer überforderten Humanität nachhängt und im Gutmenschentum verharrt, wäre dies das Ende ihrer Kanzlerschaft. Die Menschen haben ohnehin längst das Gefühl, dass die Politik, insbesondere die Bundespolitik, nichts mehr im Griff hat. Ein optimaler Nährboden für Rechtspopulisten, Hetz- und Hassparolen, die wir in dieser angespannten Lage am wenigsten brauchen können - sondern Lösungen!
Sie müssen liefern, Frau Merkel! Endlich! Rufen Sie den gesammelten Sachverstand des Landes aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung, Kultur, aus den Institutionen, den Hilfs- und Sicherheitsorganisationen, wie beim Konklave zur Papstwahl in ihr Amt, lassen Sie dieses Sachverständigenkollegium wie die Kardinäle einsperren und so lange tagen, bis weißer Rauch aufsteigt und Ihr Kanzleramtschef Peter Altmaier dann laut verkünden kann: Habemus consilium! Wir haben einen Plan! Und den erklären und erläutern Sie uns, dem gemeinen Volk, und der ganzen Welt. Nicht mehr: "Wir schaffen das!", sagen Sie dann künftig vollmundig, sondern mit Überzeugung: "So machen wir das!"
Ein Ruck muss durch das Kanzleramt gehen, zum Donnerwetter!
Wie auch immer dieser Plan aussehen oder heißen wird, Masterplan, Generalplan, ob er in der Ausführung dem Prinzip von Versuch und Irrtum folgt, ob er aus einem Stück gewebt ist und das Ganze, nämlich die Zuwanderung und Integration bis hinein in die Kommunen, in die Schulen, die Behörden, das tägliche Leben, einheitlich im Auge hat, sei Ihnen überlassen. Aber wir, das Volk, wollen endlich eine Perspektive haben und wissen, wohin die Reise gehen soll. Darauf - und auf nichts anderes - warten wir. Durchregieren also, wie Sie das immer wollten, Frau Merkel, von oben bis unten. Es muss endlich ein Ruck durch das Kanzleramt gehen. Zum Donnerwetter!
Wir werden nicht an Flüchtlingen und Integration scheitern, sondern an der Verdruckstheit Ihrer Politik, Frau Merkel. Das größte Problem sind Sie selbst, weil Sie schweigen.