Moutier
Der mit der Kuh tanzt: Schweizer Bergbauer kämpft für Hörner
12. Mai 2016, 10:41 Uhr aktualisiert am 12. Mai 2016, 10:41 Uhr
Heidi-Filme, Tourismus-Poster, Schokoladenpackungen - glückliche Kühe mit prächtigen Hörnern scheinen zur Schweiz zu gehören wie das Alpenglühen. Oder doch nicht? "Neun von zehn unserer Kühe haben keine Hörner mehr", bestätigt die Organisation Schweizer Tierschutz (STS). "Ziegen geht es nicht viel besser."
In der Schweiz - ebenso wie in Deutschland und anderen Ländern mit moderner Viehwirtschaft - werden diese Nutztiere systematisch enthornt. Unter anderem soll damit die Verletzungsgefahr in Großställen reduziert werden, wo Kühe oft dicht an dicht stehen. "Dafür raubt man ihnen die Würde und riskiert, dass sie dauerhaft Phantomschmerzen haben", schimpft der Bergbauer Armin Capaul. Seit fünf Jahren kämpft er dafür, dass Kühe und Ziegen ihre Hörner behalten dürfen.
Nun hat Capaul einen großen Erfolg errungen: Gemeinsam mit nur wenigen Helfern sammelte der 64-Jährige rund 120 000 als gültig anerkannte Unterschriften. Nach den Spielregeln der direkten Demokratie in der Schweiz sind das 20 000 mehr als erforderlich, damit über eine Volksinitiative abgestimmt wird. Von einem "basisdemokratischen Wunder" war in Zeitungen zu lesen - nachdem Capaul anfangs eher als "Hornkuh-Spinner" verspottet worden war.
"Ein Verbot wollen wir nicht"
Das Datum der Abstimmung muss zwar noch bestimmt werden. Klar ist aber, dass die Eidgenossen tatsächlich zu den Urnen gerufen werden, um über die Hörner von Kühe und Ziegen zu entscheiden. Genauer gesagt: Über die Frage, ob der Staat Bauern mit finanziellen Anreizen dazu bringen soll, auf das Enthornen zu verzichten.
"Ein Verbot wollen wir nicht", erklärt Capaul bei einem Besuch auf seinem Bergbauernhof unweit des Städtchens Moutier im Berner Jura. Mit seiner Frau Claudia und einem seiner Söhne kümmert sich Capaul in einer malerischen Wiesen- und Waldlandschaft auf rund 930 Meter über dem Meer um acht Kühe, zehn Kälber und einen Stier, zwei Hütehunde sowie um etliche Ziegen, Schafe, Esel, Hühner und fünf Katzen.
"Wer das Enthornen für richtig hält, soll das weiter tun dürfen", sagt der Viehwirt, den man sich mit seinem Rauschebart und der ewigen Strickmütze auch gut in einem Werbespot für Kräuterbonbons oder Bergkäse vorstellen könnte.
Die Meinungen gehen weit auseinander
Ihm und seinen Mitstreitern von der IG Hornkuh gehe es darum, die vorhandenen Agrarsubventionen der Schweiz ein wenig anders als bisher zu verteilen. "Weniger für die industrielle Landwirtschaft und dafür ein wenig mehr für Bauern, die aus Respekt vor der Natur ihren Tieren die Hörner lassen."
Konkrete Summen nennt die "Hornkuh-Initiative" nicht. Capaul schweben pro Jahr etwa 500 Franken (455 Euro) für jede Kuh und 100 Franken (91 Euro) für jede Ziege mit Hörnern vor. "Das sollte als Direktzahlung an Bauern gewährt werden, die ihren Tieren die Hörner lassen. Unter anderem weil sie dafür mehr Platz brauchen in einem Freilaufstall und entsprechend weniger Tiere halten können."
Da kämen leicht 25 Millionen Franken zusammen, konstatierte die Zeitung "Schweizer Bauer". Noch hat der Schweizer Bauernverband SBV keine offizielle Empfehlung für die Abstimmung ausgesprochen. Die Meinungen gingen in der Bauernschaft weit auseinander, es werde "sehr emotional" diskutiert, sagte SBV-Präsident Markus Ritter dem Zürcher "Tages-Anzeiger".
"Frauen bringen einfach mehr Gefühl für Tiere auf"
Dass es um Emotionen geht, ist für Capaul selbstverständlich. "Gefühle spielen eine große Rolle beim Umgang mit den Tieren", sagt der Bauer, der seine Kühe nicht nur oft und gern streichelt, sondern ihnen gelegentlich sogar etwas vortanzt. "Ich bin eine Art Alt-Hippie aus der Flower-Power-Zeit, mit "Peace and Love" und so", erzählt er. Beim Stallputzen legt Capaul schon mal die Beatles auf, auch Pink Floyd oder Deep Purple. "Die Kühe bewundern mich beim Tanzen."
Bei der Abstimmung rechnet Capaul fest damit, dass ihn die Mehrzahl der Schweizer Frauen unterstützen wird. "Frauen bringen einfach mehr Gefühl für Tiere auf", sagt er und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: "Wer unseren Sieg an der Urne verhindern will, der müsste vorher das Frauenstimmrecht wieder abschaffen."
Allen, die ernsthaft in der Hornfrage mitreden wollen, empfiehlt Capaul, einfach mal ein Kuhhorn anzufassen: Es sei warm, weil es durchblutet und nicht irgendein ein totes Anhängsel sei. "Wer jungen Kühen die Hörner mit dem Lötkolben wegbrennt, der schädigt sie für ihr Leben - und obendrein leidet darunter die Qualität der Milch und des Fleisches."
Forscher sind sich darüber allerdings nicht einig. Auch der Schweizer Tierschutz erklärt, es gebe bislang "keine wissenschaftliche Studie zu möglichen Spätfolgen einer Enthornung". Alt-Hippie Capaul gibt sich siegesgewiss und kämpferisch: "Wir nehmen die Schweizer Landwirtschaftspolitik auf die Hörner."