Leitartikel

Der Feind meines Feindes: Terror könnte EU und Russland wieder zusammenbringen


Die Anschläge von Paris könnten die EU und Russland wieder näher zusammenbringen - und so eine Allianz schmieden, die auch dem IS gefährlich werden kann.

Die Anschläge von Paris könnten die EU und Russland wieder näher zusammenbringen - und so eine Allianz schmieden, die auch dem IS gefährlich werden kann.

So schrecklich die Anschläge von Paris auch waren: Europa könnte gestärkt aus ihnen hervorgehen.

"Nehmen Sie direkten Kontakt mit den Franzosen auf und arbeiten Sie mit ihnen wie mit Verbündeten!" Diesen Befehl erteilte Wladimir Putin dem russischen Kreuzer "Moskwa" im Mittelmeer. Die blutige Spur von Gewalt, Angst und Schrecken, die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) durch den Nahen Osten und inzwischen auch durch Europa zieht, könnte Entwicklungen auslösen, die den radikalen Eiferern so gar nicht ins Konzept passen. Nach anfänglich doch recht zögerlichem und unkoordiniertem Vorgehen könnte nun eine Allianz entstehen, die auch für den IS existenzbedrohend wäre.

Mehr noch: Der Westen insgesamt und Russland könnten sich darauf besinnen, dass sie tatsächlich gemeinsame Feinde haben. Und auch die zuletzt angesichts der peinlichen Uneinigkeit zum Umgang mit der Flüchtlingskrise vor dem Bruch stehende EU rückt wieder zusammen. Dafür sorgt nicht zuletzt das Hilfegesuch aus Paris, womit die EU erstmals auch zu einem Sicherheits- und Verteidigungsbündnis geworden ist. Somit besteht nun eine Chance zum Umdenken: Das gilt für die Russlandpolitik ebenso wie für das Zusammenleben in der Wertegemeinschaft EU, aber auch für das Vorgehen im Nahen Osten. Und genau hier lauern zahlreiche Fallstricke.

Der islamistische Terror ist auch der Feind Russlands. Spätestens seit sich der IS damit brüstet, den russischen Ferienflieger über der ägyptischen Halbinsel Sinai mit einer Bombe in einer Getränkedose zum Absturz gebracht und damit 224 Menschen getötet zu haben, hat auch Putin seine Strategie geändert. Anstatt den syrischen Machthaber Baschar al-Assad im Kampf gegen Aufständische zu unterstützen, nehmen seine Kampfflugzeuge vermehrt Stellungen des IS ins Visier.

Dabei ist die Bedrohung durch den radikalen Islamismus in Russland schon lange traurige Realität. In einigen Regionen im Süden des riesigen Landes treiben unterschiedliche Radikalengruppen ihr Unwesen. Im Kaukasus geht Moskau immer wieder gegen radikale Islamisten vor und Russland ist bereits mehrfach Opfer islamistischen Terrors geworden. Mehrere Hundert Menschen starben bei Anschlägen, vor allem verübt von tschetschenischen Terroristen. Und das nach Unabhängigkeit strebende Tschetschenien stellt eine der größten ausländischen Unterstützergruppen für den IS.

Die Bedrohung hat dazu geführt, wieder etwas klarer zu sehen: Der Westen und Russland haben weit mehr gemeinsame Interessen, als sie zuletzt wahrhaben wollten. Aufgrund der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim hat der Westen Sanktionen gegen Russland in Gang gesetzt und Putin aus dem Kreis der G 8 ausgeschlossen. Doch je mehr der russische Präsident geschmäht wurde, umso mehr trieb er umgekehrt den Westen vor sich her: zündelte weiter in der Ukraine, suchte den Schulterschluss mit China, eskalierte die Situation in Syrien.

Ohne Russland werde es in vielen Konfliktregionen keine Lösung geben, war seither aus Kreisen internationaler Politiker immer wieder zu hören. Jetzt scheint der Westen wieder auf Russland zuzugehen. US-Präsident Barack Obama und Putin hatten zuletzt bei dem G 20-Treffen in der Türkei auffällig lang die Köpfe zusammengesteckt und der französische Staatschef François Hollande ergriff gerne die ausgestreckte Hand Putins: Beide vom IS angegriffenen Nationen wollen eng kooperieren und die Terrormiliz gemeinsam bekämpfen. Dass sich Frankreich vor wenigen Monaten noch weigerte, Hubschrauberträger an Russland zu liefern - Schwamm drüber.

Das eröffnet Chancen: Chancen darauf, nicht nur den IS effektiver zu bekämpfen, sondern auch in anderen Konflikten voranzukommen. So hatte sich in der Ukraine zuletzt recht wenig getan. Der Minsker Friedensplan lag de facto auf Eis und die Rebellen im Osten des Landes machten - auch gestützt durch Moskau - keine Anstalten zu Mäßigung. Im Gegenzug war auch die Regierung in Kiew nicht bereit, sich zu bewegen. Die Anfänge eines neuen Miteinanders zwischen Russland und dem Westen könnten nun die Möglichkeit bieten, in der Ukraine Fortschritte zu erzielen.

Die EU steht angesichts des Terrors in Frankreich ebenfalls zusammen. Die Hilfsanfrage Frankreichs tragen alle 28 Mitglieder mit. Das Entsetzen von Paris hat zunächst den Streit um Flüchtlingsquoten, Registrierungen oder sichere Drittstaaten in den Hintergrund treten lassen. Die EU muss erkennen, dass ihr klein karierter Streit nicht hilft. Europa kann nur gemeinsam stark sein, das gilt wirtschaftlich oder bei Verhandlungen mit den USA ebenso wie in der Sicherheit des Kontinents. Nun wird man sicher nicht erwarten können, dass alle Probleme von heute auf morgen erledigt sind. Doch kaum ein Staatenlenker will sich wohl angesichts drohender Anschläge vorwerfen lassen, er wolle politisches Kapital aus der Situation schlagen.

Es war zudem ein geschickter Schachzug Hollandes, sich auf die Beistandspflichten nach Artikel 42 des EU-Vertrags zu berufen und nicht etwa auf Artikel fünf des Nato-Vertrags. Denn wenn Europa zusammensteht, dürfte es auch leichter fallen, Russland und die arabischen Staaten im Kampf gegen den IS an Bord zu holen. Die laufenden Syrien-Beratungen in Wien könnten daher schon bald positive Ergebnisse liefern. Weder Europäer noch Russen können ein Interesse daran haben, diese Treffen scheitern zu lassen.

Dabei darf es aber nicht alleine bei dem Ziel bleiben, den IS entschiedener bekämpfen zu wollen. Die Erfahrungen des Eingreifens im Nahen Osten sind ernüchternd. Daher sollten die Verhandlungspartner neben den militärischen Erwägungen sich auch darüber einigen, wie die Zukunft Syriens aussehen soll. Mit Assad oder ohne? Darum hat sich zuletzt die Auseinandersetzung gedreht. Für Russland sollte eine mögliche Ablösung des Despoten am Ende eines Prozesses zur Befriedung des Landes stehen - Europäer und Amerikaner würden ihn lieber sofort aus dem Präsidentenpalast vertreiben. Darüber wird sich sicher Einvernehmen finden lassen. In keinem Fall darf der Westen nun den IS zurückdrängen und sich dann wieder von Syrien abwenden. Ständige Interventionen und anschließender Rückzug, ohne klare Konzepte für die Zukunft der Staaten - siehe Irak und Afghanistan - haben sich gerächt. Der IS ist unter anderem ein Produkt des arroganten westlichen Vorgehens nach dem Motto: draufhauen und schnell wieder weg.

Neben den Luftschlägen gegen den IS mag es daher erstrebenswert sein, eine Koalition aus arabischen Staaten zu schmieden. Das hätte Signalwirkung und könnte auch die arabische Welt zu mehr Miteinander zwingen. Viele dieser Überlegungen schienen bis vor Kurzem noch fast undenkbar. So schlimm der Terror auch ist: Neben allem Entsetzen bietet er die Chance zur Besinnung - auf die wirklich wichtigen Werte und Partnerschaften. Ein gutes Mittel gegen Terror.