Flüchtlingspolitik
CSU entsetzt von Merkels Kurs
21. Januar 2016, 16:38 Uhr aktualisiert am 21. Januar 2016, 16:38 Uhr
Staatsregierung will Brief nach Berlin schicken - Seehofer droht erneut mit Klage.
Langsam kramt die CSU die Folterwerkzeuge hervor. Denn der Frust über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ist inzwischen grenzenlos. An der Verärgerung konnten gestern auch strahlender Sonnenschein und glitzernder Schnee in Wildbad Kreuth nichts ändern. Dazu hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beigetragen, die am Vorabend bei der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion noch einmal deutlich gemacht hatte, dass sie weiter zu ihrem Kurs steht, internationale Lösungen der Flüchtlingskrise sucht und nationale Maßnahmen ablehnt. Berlin müsse die "schweren Fehler" aus der Vergangenheit nun endlich korrigieren, forderte Ministerpräsident Horst Seehofer gestern zum Abschluss der Klausurtagung. Mit dieser Politik "stehen wir einsam und alleine da", mahnte Fraktionschef Thomas Kreuzer, der zuvor mit 97,5 Prozent im Amt bestätigt worden war.
Daher werde das bayerische Kabinett kommende Woche einen Brief an die Bundesregierung formulieren. Gestützt auf ein Rechtsgutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Udo di Fabio werde man darin fordern, die nationalen Grenzen wieder lückenlos zu kontrollieren. Dazu sei ein Land verpflichtet, wenn die Kontrolle der EU-Außengrenzen, wie derzeit, nicht gewährleistet sei. "Wenn die Bundesregierung nicht reagiert, werden wir klagen", drohte Seehofer. Eine Begrenzung der Zuwanderung "werden wir weiter massiv einfordern", sagte er. Er habe kein Verständnis dafür, dass der Bund weiterhin Grenzkontrollen durch die bayerische Polizei ablehne, und das, obwohl der eigentlich zuständigen Bundespolizei dazu die personellen Mittel fehlten. "Das ist der Bevölkerung kaum zu vermitteln." Im Vordergrund müsse die Sicherheit stehen. Auch der Rückstau beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sei auf ein Versäumnis der Bundespolitik zurückzuführen. 360 000 Anträge seien noch gar nicht bearbeitet, mehrere Hunderttausend Zuwanderer hätten noch gar keinen Antrag gestellt. Dieser Zustand mache jede Integration unmöglich und verhindere Abschiebungen. "Haupthindernis ist die Bundesregierung", sagte Seehofer und gab zu, dass er sich um den Zustand der großen Koalition in Berlin sorge. "Wir haben einen signifikanten Meinungsunterschied und der hat Auswirkungen auf unsere gesamte Arbeit." Auch die Zusammenarbeit mit Merkel sei seit vergangenem September nach vielen störungsfreien Jahren ein "mühsames Feld", räumte Seehofer ein.
Er zeigte sich darüber verärgert, dass die noch für 2015 versprochenen Hotspots nicht existierten. Diese sollten an den EU-Außengrenzen dazu dienen, Zuwanderer zu registrieren, jene ohne Bleibeperspektive zurückzuweisen und die übrigen nach Quoten in Europa zu verteilen. Auch das unter den Parteichefs der großen Koalition beschlossene Asylpaket II komme nicht voran, weil SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel es in seiner Partei nicht durchsetzen könne. Geradezu entsetzt zeigte sich Seehofer darüber, dass er - obwohl aufgrund eines grippalen Infekts im Bett liegend - zuletzt "stundenlang rumtelefonieren" musste, um eine Entscheidung des Bundeskabinetts zur Erleichterung des Familiennachzugs zu verhindern. Gerade dieser soll durch das Asylpaket II für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz - das sind insbesondere Bürgerkriegsflüchtlinge - erschwert werden.
Er sorge sich, da die Bundesregierung derzeit gegen den Willen der Bevölkerung agiere und am Ende "die kleinen Leute die Zeche" für diese Politik zu zahlen hätten. Wenn es so weitergehe, "bekommen wir ein anderes Land - das will die Bevölkerung nicht", machte Seehofer klar. Er erwarte auch kein Einlenken Merkels. Selbst ihre Ankündigung, nach einer Reihe internationaler Treffen Mitte Februar eine Zwischenbilanz zu ziehen, sieht er nicht als Anzeichen, dass die Regierungschefin dann zu einem Politikschwenk bereit sein könnte. Fraktionschef Kreuzer ergänzte, kein anderes Land erlaube eine völlig unkontrollierte und unbegrenzte Zuwanderung. "Nicht einmal die klassischen Einwanderungsländer", sagte er im Bezug auf die USA, Kanada, Brasilien oder Australien. Und jene, die es wie Schweden versucht hätten, seien "grandios gescheitert". Daraus solle Deutschland seine Lehren ziehen. Die CSU-Landtagsfraktion habe mit ihrem Zwölf-Punkte-Plan einen Weg gewiesen, wie das Problem zu lösen sei. Darin enthalten sind Obergrenzen, lückenlose Grenzkontrollen, aber auch Hilfen vor Ort. Denn internationalen Lösungen werde sich die CSU nicht widersetzen. Doch diese brauchen nach Kreuzers Überzeugung viel zu lang, um zu wirken. Und an der Zeit, die auch die Bundeskanzlerin immer wieder einfordere, mangele es. "Die Wahrheit liegt in den Zahlen", sagte Kreuzer mit Verweis auf die Menge an Flüchtlingen, die pro Tag die Grenze überschreiten, und die er mit derzeit um die 3000 angibt. Mit dem Ende des Winters erwartet er eine drastische Steigerung.
Die Fassungslosigkeit über Merkel war auch bei anderen Klausurteilnehmern zu spüren. "Die Zeit drängt", sagte Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Die von Österreich beschlossene nationale Obergrenze helfe Bayern nichts, da das Nachbarland Flüchtlinge weiter nach Deutschland durchschleuse. "Solange die EU-Außengrenzen offen sind, müssen wir die nationalen Grenzen sichern", meinte Aigner. Bedenken vonseiten der Wirtschaft könne sie zwar verstehen, doch die Grenzkontrollen dienten auch dem Ziel der Sicherheit und dies wiederum sei auch für die Wirtschaft ein wichtiger Standortfaktor.
Die Kanzlerin habe "wieder eine Chance zum Umschwenken" vertan, sagte Finanzminister Markus Söder mit Blick auf die österreichische Obergrenze. Für seinen Geschmack verlässt sich Merkel in der Flüchtlingsfrage außerdem zu sehr auf die Türkei, anstatt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Gestern Vormittag stand die Wiederwahl der Fraktionsspitze an. Neben Thomas Kreuzer wählten die Abgeordneten die Stellvertreter Gudrun Brendel-Fischer, Kerstin Schreyer-Stäblein, Karl Freller und Josef Zellmeier wieder. Zellmeier bleibt damit auch Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion.
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