Auf den Fersen der Wehrmacht
Britischer Weltkriegsveteran berichtet: "Wie ich Deutschland befreite"
8. Mai 2020, 8:05 Uhr aktualisiert am 8. Mai 2020, 8:05 Uhr
Die AZ hat mit einem der Briten gesprochen, die vor 75 Jahren die Nazis besiegt haben. Seine Erinnerungen, sein Appell in diesen Zeiten.
Die Feier zu seinem 100. Geburtstag hat sich John Coombs anders vorgestellt. Am 8. Mai, drei Tage nach seinem Geburtstag, sollte sie stattfinden. Der 8. Mai heißt in England der "Victory in Europe Day". Eine große Sache in diesem Jahr, denn heuer feiert man das 75. Jubiläum des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg sein Ende fand.
Coombs hatte geplant, Familie und Freunde zu einem Umtrunk in ein Pub nach Corscombe einzuladen. Dann kam Corona. Jetzt fällt die Feier aus, aber der britische Kriegsveteran wird in Selbstisolation dennoch ein Glas heben. Er will auf die Rote Armee trinken, weil die seiner Meinung nach entscheidend dabei half, "die größte Kriegsmaschinerie der Welt zu zerstören".
Britischer Weltkriegsveteran kämpfte auch in Nordafrika
John Coombs selbst hat auch seinen Teil dazu beigetragen. "Im Jahr 1920 geboren zu sein", sagt er, "bedeutete, im Schatten des Ersten Weltkriegs zu stehen und bereit zu sein, im Zweiten zu kämpfen." Der Sohn eines Polizisten aus Manchester war der erste seiner Familie, der die Universität besuchen konnte. Zwei Jahre lang studierte er Deutsch, Englisch und Geschichte, bevor der 20-Jährige eingezogen wurde. Zuerst ging es nach Nordafrika.
Als einfacher Schütze in der 7. Panzerdivision, den legendären Wüstenratten, kämpfte er unter General Sir Bernard Montgomery, von dem er allerdings nicht viel hielt. Coombs machte die Schlacht von El Alamein mit, bevor es nach Italien ging und dann nach Nordfrankreich.
Erinnerungen an die Invasion in der Normandie: "Der Strand war zu verstopft"
Er nahm an der Operation Overlord teil, der alliierten Invasion in der Normandie. Am D-Day, 6. Juni 1944, erreichte das US-Schiff, auf dem er stationiert war, um drei Uhr nachmittags die französische Küste. "Aber wir konnten nicht landen", so Coombs, "der Strand war zu verstopft." Erst am nächsten Tag begann für ihn die Invasion. Seine Einheit rückte auf Hitler-Deutschland vor, immer auf den Fersen der Wehrmacht. Gelegentlich habe man, erinnert sich Coombs, die Truppenunterkünfte praktisch von den deutschen Soldaten übernommen, die sie wenige Tage zuvor geräumt hatten.
Bis zum Mai 1945 dauerte es, bis die 7. Panzerdivision Pinneberg bei Hamburg erreichte. Dort endete für John Coombs der Krieg ausgerechnet am Tag seines 25. Geburtstages. Hamburg war im Sommer 1943 zum Ziel der "Operation Gomorrha" geworden: Eine Reihe von Luftangriffen der Royal Air Force hatte einen Feuersturm entfacht, der die Stadt in Schutt und Asche legte und rund 34.000 Menschenleben forderte. "Die Trümmerlandschaft sah schrecklich aus", sagt er, "und die Menschen haben schrecklich gelitten."
Britischer Weltkriegsveteran wird Nazi-Jäger
Wie sinnlos das Schicksal und wie absurd der Krieg sein können, wurde Coombs deutlich, als ein Kamerad starb: "Er war ein Panzerfahrer vom 5. Panzerregiment, er kam die ganze Strecke von El Alamein bis Hamburg und hat es bis zum Kriegsende geschafft. Und dann wurde er von seinem eigenen Schützenkameraden versehentlich niedergeschossen."
Nachdem seine Vorgesetzten herausfanden, dass Coombs Deutsch sprach, wurde er zu einer Einheit des britischen Geheimdienstes nach Berlin versetzt, zum Sergeant befördert und sollte Nazis jagen. "Wir hatten eine Liste von eher unbedeutenden Funktionären, Gauleitern und so. Aber wir haben auch den Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, erwischt." Im Juni 1946 wurde er aus dem Militärdienst entlassen, kehrte zum Studium nach Manchester zurück und arbeitete später als Geschichtslehrer.
"Viele dachten, dass die Deutschen Monster waren"
Nach seiner Rückkehr war er entsetzt über die anti-deutsche Haltung der Briten. "Damals in Großbritannien dachten viele, dass die Deutschen Monster waren. Aber wenn man sie wie ich vor Ort erlebt hat, merkte man, dass es auch nur Leute waren, die klarkommen wollten - so gut es ging."
Lange hat der Veteran über seine Kriegserlebnisse nicht geredet, sagt sein Sohn Steve. Erst jetzt habe er sich erinnern wollen. "Seine vehemente Opposition gegen den Austritt aus der Europäischen Union", so Steve Coombs, "wurzelt in dem Horror des Gedankens, dass es einen neuen europäischen Krieg geben könnte."
Für den VE-Day hatte sich John einen Appell vorgenommen. Er wollte etwas "über Europa sagen und die Niederwerfung des Faschismus, die Boris Johnson und seine Freunde jetzt möglichst rückgängig machen wollen, indem sie Europa den Rücken kehren zu einer Zeit, wenn ein extremer Nationalismus in Frankreich, Ungarn und Polen triumphiert und in Teilen Deutschlands auf dem Vormarsch ist."
Corona hat seine Geburtstagstagsfeier verhindert. Aber seinen Appell nicht: John Coombs' Plädoyer für Frieden in Europa geht an die Gäste jetzt per E-Mail.
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