AZ-Interview

Ambulante Pflege: "Wir sind der Puffer für die Intensivstationen"


Eine Pflegefachkraft kümmert sich um einen Bewohner einer sogenannten Beatmungs-WG.

Eine Pflegefachkraft kümmert sich um einen Bewohner einer sogenannten Beatmungs-WG.

Von Tabitha Nagy

In der Corona-Krise geht es um Krankenhäuser. Doch was ist mit jenen, die täglich Patienten versorgen, die künstliche Beatmung brauchen? Die AZ fragt nach.

München - Nur wenige Tage ist es her, seit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stolz verkündete, der Freistaat käme beim Ausbau der Intensivbetten und Beatmungsgeräte im Kampf gegen das Coronavirus voran. 4.400 Intensivbetten gebe es inzwischen, davon 3.050 mit Beatmungsmöglichkeiten. Vor der Krise seien es 3.600 gewesen. Zudem gibt es seit März eine Meldepflicht für Beatmungsgeräte, "notfalls müssen wir auch beschlagnahmen", sagte Söder damals.

Doch während die Regierung voll auf die Betreuung im Krankenhaus setzt, vergisst sie die daheim betreuten Intensivpatienten, die wegen ihrer Erkrankungen schon seit vielen Jahren auf Beatmung angewiesen sind, kritisieren Experten. Wie hat sich die Situation in der Intensivpflege seit dem Ausbruch der Pandemie verschärft? Ein Gespräch mit Dan Litvan, Chef der Deutschen Fachpflege Bonitas.

AZ: Herr Litvan, die Deutsche Fachpflege Bonitas ist der größte Anbieter von ambulanter Intensivpflege. Wie ist die Lage bei Ihnen?
DAN LITVAN: Wir arbeiten immer schon in einem anspruchsvollen Umfeld, weil wir Tausende von Patienten zu Hause oder in speziellen Wohngemeinschaften versorgen. Die meisten von ihnen sind schwer krank und auf Beatmung angewiesen. Deshalb durchlaufen alle Pflegekräfte bei uns eine besondere Schulung und eine spezialisierte Weiterbildung in der Fachpflege. Und trotzdem: Was wir derzeit erleben, stellt uns alle vor eine noch viel größere Herausforderung.

"Wir müssen peinlichst genau auf die Hygienevorschriften achten"

Woran hakt es besonders?
Unsere Aufgabe ist es, Zuhause oder in einer Wohngemeinschaft all das abzubilden, was diese schwerkranken Patienten auf einer Intensivstation im Krankenhaus benötigen. In dieser Corona-Krise müssen wir deshalb peinlichst genau auf die Hygienevorschriften achten - damit unsere Patienten geschützt bleiben, aber auch unsere Mitarbeiter.

Wie gut funktioniert das, auch mit Blick auf ausreichend Schutzkleidung?
Wir haben einen sehr hohen Bedarf an Masken, Handschuhen, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln. Das ist immer so bei uns, weil wir eben in einem besonders sensiblen Bereich arbeiten. Aber jetzt ist es enorm schwierig geworden, diese Dinge zu beschaffen. Wir sind weltweit mit unserem Einkauf unterwegs, zahlen zum Teil die zehn- bis fünfzehnfachen Preise und bekommen diese Mittel manchmal nur mit Verzögerung geliefert. Aber bisher bekommen wir das hin, weil alle in unserem Unternehmen ausnahmslos mit enormem Einsatz mitarbeiten. Jetzt kommt es mehr denn je auf unsere Mitarbeiter an.

Haben sie schon coronabedingte Ausfälle zu verzeichnen?
Leider ja. Deshalb ist es so wichtig, dass wir alle Vorsichts- und Schutzmaßnahmen treffen und Hygienestandards genau einhalten. Sie dürfen nicht vergessen, dass unsere Patienten alle an einer schweren Vorerkrankung leiden und ihre Lunge schon geschwächt ist. Sie sind einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt.

"Wir können nicht nur entlasten, wir tun es schon"

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat bereits gedroht, Beatmungsgeräte zu beschlagnahmen. Sehen Sie diese Bedrohung auch?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Beatmungsgeräte in Deutschland beschlagnahmt werden. Aber es ist richtig, dass es Anfragen gab, ob wir Geräte übrighaben. Nur: Die Patienten, die wir versorgen, sind ja auf diese Geräte angewiesen. Das zeigt vor allem, dass wir in der ambulanten Pflege jetzt mehr denn je gefragt sind.

Inwiefern?
Zum einen fragen Krankenhäuser und Gesundheitsämter regelmäßig bei uns an, ob wir Intensivpatienten aus der stationären Versorgung in die ambulante Pflege übernehmen können, damit die Krankenhäuser Intensivbetten für Corona-Fälle freihalten können. Zum anderen hängt es entscheidend von uns ab, dass ambulant versorgte Intensivpatienten nicht in die Krankenhäuser eingeliefert werden müssen und dort Beatmungsplätze auf den Intensivstationen belegen.

Sie können also die Intensivstationen entlasten?
Wir können nicht nur entlasten, wir tun es schon. Das ist ja Teil unserer Aufgabe.

Was erhoffen Sie sich von staatlicher Seite?
Im vergangenen Jahr gab es Bestrebungen, die ambulante Intensivpflege durch ein Gesetz namens IPREG (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz) so zu regulieren, dass die Versorgung zu Hause für Tausende von Beatmungspatienten infrage gestellt wird. Diesen Menschen droht, künftig in einem Heim leben zu müssen. Die Ironie des Schicksals will es, dass sich genau dieser Bereich als ein wichtiger Puffer für die stationäre Versorgung in den Krankenhäusern erweist. Ich wünsche mir, dass die Politiker jetzt wahrnehmen, welchen Beitrag wir Tag für Tag für die Sicherheit und die Stabilität unseres Gesundheitswesens leisten.

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