Belastung für die Währung
Allein die Möglichkeit eines "Brexit" schwächt das Pfund
23. Februar 2016, 16:34 Uhr aktualisiert am 23. Februar 2016, 16:34 Uhr
Verlässt Großbritannien die EU, oder bekennt sich das Volk beim Referendum im Sommer zu Europa? Das Votum dürfte knapp werden. Schon jetzt wirft der Schicksalstermin Schatten auf die britische Währung.
Am 23. Juni heißt es im Vereinigten Königreich: für oder gegen Europa? Dann treffen die Briten "die vielleicht wichtigste Entscheidung, die sie in ihrem Leben an der Urne treffen müssen". So sieht zumindest Regierungschef David Cameron die Wahl zwischen einem Verbleib und einem Ausscheiden aus der Europäischen Union. Wie die Briten abstimmen werden, ist aktuellen Umfragen zufolge völlig ungewiss. Das Urteil der Finanzmärkte wird derweil fast schon vorweggenommen: Allein die Möglichkeit eines "Brexit" lässt das britische Pfund auf Tauchstation gehen.
Unter die Räder kam die Währung vor allem am Montag. Zum US-Dollar verlor sie so stark wie seit 2009 nicht mehr, mit etwas mehr als 1,40 Dollar war das Pfund so günstig zu haben wie selten zuvor. Nur zu Krisenzeiten sei die britische Währung so schwach gewesen, sagt Antje Praefcke von der Commerzbank. Die Debatte über den "Brexit" reihe sich aus Währungssicht nahtlos in die Finanzkrise oder in das Platzen der Internet-Blase am Aktienmarkt zu Beginn des Jahrtausends ein.
Doch warum sackt das Pfund ausgerechnet jetzt ab? Schließlich ist seit langem bekannt, dass die Briten mit ihrer EU-Mitgliedschaft hadern. Am Wochenende aber überschlugen sich die Ereignisse: Nachdem Premier Cameron erst Bedingungen für einen Verbleib Großbritanniens in der Union ausgehandelt hatte, stieß ihm Londons Bürgermeister Boris Johnson am Sonntag vor den Kopf. Der für sein unkonventionelles Auftreten bekannte und beliebte Politiker will den "Brexit", wie er medienwirksam erklärte. Neben ihm sprachen sich mittlerweile mehrere Regierungsmitglieder für einen Austritt aus.
"Aus unserer Sicht erhöht sich durch diese prominente Unterstützung das Risiko eines "Brexit"", urteilen die Ökonomen der BayernLB. Die starken Verluste des Pfund zeigten: Finanzmärkte mögen gewiss keine schlechten Nachrichten, und sie lieben gute Nachrichten. Was sie aber scheuen wie der Teufel das Weihwasser, ist Ungewissheit.
Das britische Analysehaus Capital Economics zieht einen Vergleich zum letztlich gescheiterten Versuch Schottlands, sich von Großbritannien loszusagen. Auch damals, im Jahr 2014, war das Pfund immer dann unter Druck geraten, wenn ein Verbleib Schottlands unsicherer wurde.
Zweifel gibt es auch heute - und das nicht zu knapp. So legen Umfragen noch keinen eindeutigen Trend nahe, ob sich die Briten im Frühsommer für oder gegen Europa aussprechen. Befürworter und Gegner einer EU-Mitgliedschaft liegen derzeit in etwa gleichauf, ein hoher Anteil der Bevölkerung ist unentschlossen. Nicht wenige meinen, dass Londons Bürgermeister in dieser Situation das Zünglein an der Waage spielen könnte - zumal bis zuletzt vollkommen unklar war, wie sich Johnson in der "Brexit"-Debatte selbst positionieren würde.
Schwer absehbar ist darüber hinaus, welche konkreten Folgen ein "Brexit" hätte. Fachleute verweisen darauf, dass ein EU-Ausscheiden Großbritanniens alles andere als ein Selbstläufer wäre. In diesem Fall müssten die Briten ihre Beziehungen zu Europa neu aushandeln, was mehrere Jahre dauern dürfte, sagt Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz. Dies würde mit hoher wirtschaftlicher und politischer Unsicherheit einhergehen und das Wirtschaftswachstum belasten.
Denn nicht nur die Finanzmärkte, auch Verbraucher und Unternehmen reagieren empfindlich auf Ungewissheit. In der Regel gehen dann ihre Konsumausgaben und Investitionen zurück, was das Wachstum drückt.
Aus Expertensicht spricht einiges dafür, dass das Pfund bis zum EU-Referendum im Juni unter Druck bleibt. Die Commerzbank hält einen Fall bis auf 1,35 Dollar für möglich. John Higgins von Capital Economics prognostiziert einen Rückgang auf 1,30 Dollar. Damit wäre das Pfund so schwach wie seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr.
Higgins begründet seine Einschätzung nicht nur mit der eher diffusen "Brexit"-Angst, sondern auch mit damit verbundenen Folgen. So könnten die seit langem erwarteten Zinsanhebungen der britischen Notenbank noch länger unterbleiben, was das Pfund zusätzlich belasten würde.
Und auch hier lautet die zentrale Begründung: Unsicherheit. Denn Notenbanker neigen wie viele Anleger, Unternehmen und Verbraucher dazu, auf Ungewissheit mit großer Vorsicht zu reagieren.