Fazialisparese

Mimik und Funktion von Augen und Mund retten

Transplantation von Nerv und Muskel gibt nach Gesichtslähmung das Selbstvertrauen zurück


Im Vergleich vor (li.) und nach (re.) zwei Operationen mit statischen und muskulären Maßnahmen fällt bei diesem 69-Jährigen stark auf: Augenbrauentiefstand, hängendes Unterlid, schlaffer Nasenflügel und Mundwinkel der linken Gesichtshälfte sind deutlich besser.

Im Vergleich vor (li.) und nach (re.) zwei Operationen mit statischen und muskulären Maßnahmen fällt bei diesem 69-Jährigen stark auf: Augenbrauentiefstand, hängendes Unterlid, schlaffer Nasenflügel und Mundwinkel der linken Gesichtshälfte sind deutlich besser.

Lächeln, blinzeln, den Mund schließen, die Stirn runzeln - das alles ist für uns selbstverständlich. Doch pro Jahr ist dies für rund 3.000 Menschen in Bayern plötzlich vorbei. Muskeln, die für die Mimik und Funktion von Mund, Wangen, Nase, Augen und Stirn zuständig sind, lassen sich nicht mehr bewegen - Diagnose: Fazialisparese.

Meist ist von der Lähmung des Gesichts, in der Fachsprache Fazialisparese, nur eine Seite des Gesichts betroffen. Die Muskeln, die vom siebten Hirnnerv, dem Nervus facialis, bewegt werden, erschlaffen. Die Augenlider schließen nicht mehr vollständig, Wange und Mundwinkel hängen schlaff herab, man schmeckt weniger und beißt sich häufig sogar in die Wangeninnenseite. Flüssige Nahrung im Mund zu behalten oder deutlich zu sprechen fällt schwer.

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Der achtjährige Junge mit angeborener Lähmung der rechten Gesichtshälfte (li.) kann wenige Wochen nach einer Muskeltransplantation schon wieder symmetrisch lächeln (re.). Die leichte Schwellung der Wange wird sich noch zurückbilden.

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Ein Fazialisnerv ist für Bewegung einer Gesichtshälfte zuständig - seine Äste führen zu den Muskeln.

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Dr. Andreas Kehrer

Lebensfrohe Menschen vermeiden nun Lachen und Mimik generell, damit die Asymmetrie ihres Gesichts nicht so stark auffällt. Mimik ist jedoch das stärkste nonverbale Kommunikationsinstrument und gleichzeitig ehrlicher Spiegel der Emotionen. Ihr Ausdruck ist das Alleinstellungsmerkmal des Gesichtsnerven. Daher leidet das Selbstbewusstsein, die Psyche liegt am Boden und in der Folge meiden Betroffene die Gesellschaft anderer. Sie isolieren sich.

Bleibt das Auge unzureichend behandelt, droht eine chronische Bindehautentzündung, die Hornhaut leidet und im schlimmsten Fall erblindet das Auge dadurch. "Einen solchen Fall hatte ich kürzlich. Die Patientin sieht nur noch schwarz-weiß", schildert Dr. med. Andreas Kehrer, Leitender Oberarzt der Abteilung Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Uniklinikum Regensburg (UKR). "Leider sind die vielfältigen chirurgischen Behandlungsmöglichkeiten vielen Betroffenen, Therapeuten und auch ärztlichen Kollegen nicht bekannt. Es gibt ein Riesen-Informationsdefizit. Denn wir können viel tun, um sowohl Symmetrie des Gesichts als auch Mimik und Funktion chirurgisch wiederherzustellen."

Die Ursachen für die Gesichtslähmung sind vielfältig: In etwa 30 Prozent der Fälle spielen angeborene Lähmungen, Unfälle oder Tumore eine bedeutende Rolle. Einer der häufigsten Tumore sei das Akustikusneurinom, ein gutartiger Tumor an der Schädelbasis, der oft spät entdeckt wird und dann meist viel Gewebe verdrängt hat.

Von heute auf morgen

In etwa 70 Prozent der Fälle tritt die Gesichtslähmung jedoch ohne erkennbaren Grund auf und kann jeden treffen, von heute auf morgen. Diese sogenannte Bell-Parese sollte unmittelbar nach Beginn vom Neurologen untersucht werden. Sie wird meist mit Cortison behandelt und vergeht bei etwa zwei Drittel dieser Patienten innerhalb von rund drei Monaten wieder. Ist eine Infektion wie die Borreliose schuld, wird auch mit Antibiotika behandelt. Dennoch bleibt in einigen Fällen unklar, wieso der Fazialisnerv anschwillt und sich an seinem engsten Durchlass im Schädel, im Felsenbein, wohl selbst die Blutversorgung abdrückt. Ein Drittel der Patienten behält trotz Behandlung, Ergo- und Physiotherapie sowie Logopädie Funktionsverluste zurück. Hier hilft die Plastische Chirurgie. "In den ersten sechs Monaten sind Abklärung, Therapie und regelmäßige Untersuchungen beim Neurologen der Standard", sagt Dr. Kehrer.

In dieser Zeit könne ein spontan gelähmter Nerv sich selbst wieder regenerieren. "Der noch vorhandene Nerv wächst selbstständig vom Gehirn aus nach: einen Millimeter pro Tag. Daher sollte nach drei Monaten die Strecke von zehn Zentimetern bis zum Muskelansatz überwunden sein und die mimische Muskulatur wieder angesprochen werden. "Wir warten dann sogar weitere drei Monate ab", verdeutlicht er die spontanen Heilungschancen. In dieser Zeit sei die rasche Versorgung des Auges wichtig. Tropfen, Uhrglasverbände oder sogar ein Platinimplantat, das das Oberlid zumindest vorübergehend nach unten zieht, seien üblich.

"Wenn sich in sechs Monaten der House-Brackmann-Score, eine Gradeinteilung für die Schwere der Funktionsbeeinträchtigung, nicht mindestens um eine Stufe verbessert, dann ist es äußerst unwahrscheinlich, dass noch eine weitere Besserung eintritt", zitiert Kehrer aus internationalen wissenschaftlichen Studien. Dann sollte die Überweisung zum Plastischen Chirurgen erfolgen, der das gesamte Leistungsspektrum der Fazialisbehandlung inklusive mikrochirurgischer Gewebetransplantationen anbietet. "Zwischen sechs und 15 Monaten nach Eintritt der Parese haben wir ein Zeitfenster, das für die Rettung der noch intakten Gesichtsmuskulatur zur Verfügung steht. Nach 18 Monaten sind die 21 Muskeln einer Gesichtshälfte passé, das Gewebe durch fehlende Reizung zu Fettgewebe umgebaut. Innerhalb dieser neun Monate jedoch können wir am UKR viel tun: Wir haben viel zu den Grundlagen geforscht, kennen die Nervenfaseranzahl an den Endästen des Fazialisnerven, seinen Durchmesser, haben Operationsmethoden optimiert und den Nerv dreidimensional genau beschreiben können." Der Patient soll mit allen Möglichkeiten der plastisch-chirurgischen sowie ästhetischen Behandlung Lebensqualität und Normalität zurückgewinnen.

Transfer und Transplantation

"Um der gelähmten Gesichtshälfte wieder Muskelspannung (Tonus) sowie Beweglichkeit (Muskelkontraktilität) zu verleihen, sind Nervenumlagerungen und -transplantationen immens wichtig. Beim Nerventransfer wird ein Ast des Kaumuskelnerven als Spendernerv verwendet, ohne funktionelle Konsequenzen für den Kauprozess. Bei Nerventransplantationen wird der funktionierende Fazialisnerv der Gegenseite in die gelähmte Gesichtshälfte verlängert. Hierfür entnehmen wir am Unterschenkel einen weniger wichtigen Hautnerv - fast ohne sichtbare Narbe -, transplantieren ihn ins Gesicht und verbinden ihn mit den Muskeln der gelähmten Seite", so Dr. Kehrer. Beide Verfahren werden häufig kombiniert. Dann können im besten Fall nach rund sechs Monaten, in denen die neuen Nervenfasern vollständig in die 21 mimischen Muskeln hineinwachsen, diese vollständig angesprochen werden und ihre Arbeit verrichten - symmetrisch. Bei manchen Patienten lässt sich auch die Augenschlussfunktion dynamisch wiederherstellen. Sämtliche Narben im Gesicht verheilen sehr unauffällig, ähnlich wie beim Facelift.

Ist die Muskulatur schon "verschwunden", kann auch diese ersetzt werden. Der Chirurg kann funktionierende Muskeln aus dem Oberschenkel frei transplantieren und dem Gesicht wieder Lächeln, Symmetrie und Dynamik verleihen. Häufig verbesserten sich Nasenatmung und Sprache. Auch wenn man Betroffene erst Jahre nach dem Eintritt der Lähmung erstmals behandelt, seien mit Teilumlagerungen der Kaumuskulatur und statischen Straffungen noch bedeutende Verbesserungen möglich, sogar nach 25 Jahren. Da der Mund-Ringmuskel ebenfalls schwindet, füllt Dr. Kehrer etwa die Lippen mit Eigenfett auf und kann so den Lippenschluss und damit eine orale Kontinenz herstellen.

Auch Kinder betroffen

"Ist eine Fazialislähmung angeboren, sollte das Kind im Alter von fünf bis sechs Jahren operiert werden, dann sind Nerven und Muskeln groß genug und dem Kind bleiben viele Hänseleien in der Schule erspart", erklärt der Spezialist für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie. Bislang nahmen sämtliche transplantierte oder umgelagerte Muskeln ihre gewünschte Funktion auf, bestätigt er.

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten, weil wesentliche Funktionen des Gesichts betroffen sind. Eine Ausnahme können Botox-Injektionen sein, die manchmal zum Angleich der Gesichtshälften nötig sind oder bei unwillkürlichen Zuckungen verschrieben werden. "Wenn nur ein Teil des Muskels ausfällt, ist die Gegenseite oft spastisch verkrampft", stellt Dr. Kehrer fest.

Alle kosmetischen und funktionellen Eingriffe haben große Auswirkungen auf die Psyche und das Sozialleben der Patienten - beruflich und privat. "Teilweise sind die Unterschiede dramatisch", schildert der Experte. "Das Gesicht wirkt wieder symmetrisch, das Auge schließt, die Nasenatmung ist freier, die Bindehautentzündung verschwindet, die orale Inkontinenz und die befleckte Oberbekleidung sind Vergangenheit - die Patienten gehen wieder unter Menschen, üben ihren Beruf aus, sind selbstbewusster und haben ihr Lächeln wiedergefunden."

Weitere Infos: www.fazialis.de